Browning deutete mit einer halb einladenden, halb befehlenden, doch gänzlich ungeduldigen Geste auf die Türen, aber weder Jones noch einer der anderen bewegte sich.
«Sind das die neuen Gästewagen der Regierung?«fragte Jones spöttisch — was ihm einen weiteren giftgetränkten Blick Brownings eintrug. Aber er zögerte nicht mehr, sondern sprang mit einem federnden Satz in den Wagen hinauf und ließ sich auf eine der Bänke fallen. Von Ludolf und sein Assistent sowie Bates folgten ihnen, während die beiden Dänen noch zögerten.
Browning ging zu ihnen hinüber und begann leise mit ihnen zu sprechen, und Morton half Dr. Rosenfeld, auch van Hesling in den Lieferwagen zu bugsieren — was sich als gar nicht so einfach erwies. Der Wissenschaftler leistete zwar keinen Widerstand mehr, aber er unternahm auch nicht das geringste, um den beiden dabei zu helfen. Was zu einer einigermaßen grotesken Situation führte: Weder Dr. Rosenfeld noch Morton waren stark genug, den Hünen einfach in den Wagen zu heben, und als Morton schließlich ins Wageninnere sprang und einfach an van Heslings Arm zu zerren begann, da trug ihm das einen so giftigen Blick der Neurologin ein, daß er den Versuch unverzüglich wieder einstellte. Jones grinste fröhlich in sich hinein, betrachtete seine geschwollene Hand und sah weg.
Aber schließlich war auch der letzte im Wagen. Browning schloß die Türen, hantierte eine halbe Minute ärgerlich vor sich hinmurmelnd im Dunkeln herum, und dann glomm unter der Decke eine Glühbirne auf. Fast im gleichen Moment sprang der Motor an, und der Wagen setzte sich klappernd und holpernd in Bewegung.
«Wohin fahren wir?«erkundigte sich Dr. Rosenfeld.
Browning tat so, als hätte er die Frage nicht gehört, und Indiana sagte grinsend:»Warum schauen Sie nicht einfach aus dem Fenster?«
Dr. Rosenfeld schwieg, Bates und Morton grinsten, und van Hes-ling tat, was er immer tat, wenn er nicht gerade versuchte, über Regenbögen zu wandeln: Er lächelte dümmlich, während die Gesichter der beiden Deutschen unbewegt blieben und die beiden Dänen offensichtlich gar nicht verstanden, worum es ging. Browning schenkte Indiana einen weiteren wütenden Blick und knurrte irgend etwas von Geheimhaltung, das keiner von ihnen richtig verstand.
«Der Wagen hat keine Fenster«, sagte Indiana.
Browning schwieg beharrlich weiter.
«Nur wenn es nicht zuviel verlangt ist«, fuhr Indiana fort,»wäre die Frage gestattet, was das alles hier soll?«Er machte eine Bewegung mit der unverletzten Hand und sah Browning fragend an, so daß dieser nun keine Möglichkeit mehr hatte, so zu tun, als hätte er nichts gehört.
«Wir hatten leider nicht viel Zeit, für eine angenehmere Transportmöglichkeit zu sorgen«, sagte Browning zornig und fügte hinzu:»Woran Sie ja nicht ganz unbeteiligt waren, Dr. Jones.«
Jones lächelte.»Dieser Wagen macht keinen sehr improvisierten Eindruck«, meinte er. Browning bewegte sich unruhig auf seiner Sitzbank hin und her und suchte sichtlich nach Worten.
«Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«bot Jones freundlich an.»So, wie ich das sehe, gibt es nur zwei Erklärungen: Sie wollten nicht, daß man uns sieht — oder wir sollen aus irgendeinem Grund nicht wissen, wohin wir gebracht werden.«
«Unsinn«, murmelte Browning, entschieden zu rasch und zu überzeugt, um wirklich überzeugend zu wirken.
«Dr. Jones hat recht«, sagte von Ludolf mit seiner unangenehmen, näselnden Stimme.»Das ist nicht unbedingt das, was ich mir unter den Vorbereitungen einer wissenschaftlichen Expedition vorgestellt habe, Dr. Browning.«
Browning sah plötzlich aus wie eine Maus, die von einem ganzen Dutzend Katzen in die Ecke gedrängt worden ist. Nervös griff er nach seiner Brille, schob sie eine Weile auf seiner Nase hin und her, setzte sie ab, klappte sie zusammen und setzte sie wieder auf.»Das… ähm… ist richtig«, gestand er.»Ich muß mich auch im Namen meiner Regierung noch einmal entschuldigen, für die… ähm…«Er begann vollends zu stammeln, verlor den Faden und rettete sich in ein reichlich verunglücktes Lächeln.
«Das war eine wirklich erschöpfende Auskunft«, konstatierte Lu-dolf kalt.
«Sie müssen Mr. Browning verstehen«, sagte Jones an Brownings Stelle.»Sehen Sie, ich weiß nicht, als was oder wer er sich Ihnen vorgestellt hat, aber er genießt einen gewissen… Ruf.«
Das Wort Ruf betonte er so, daß nicht nur Ludolf irritiert aufsah, sondern auch Bates die Stirn runzelte und die beiden Dänen plötzlich hellhörig wurden.
«Halten Sie den Mund, Jones«, polterte Browning grob.
Was Jones natürlich nicht tat. Statt dessen fuhr er mit einer Handbewegung auf den Regierungsbeauftragten fort.»Wissen Sie, wenn Dr. Browning nicht eine wundersame Wandlung mitgemacht und ein völlig neues Leben begonnen hat, dann können wir schon von Glück sagen, wenn die Hälfte von uns diese Expedition lebend übersteht. Ist es nicht so, Doktor?«fügte er mit einem freundlichen Lächeln in Brownings Richtung hinzu.
Brownings Lippen preßten sich zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen, während seine Augen unsichtbare Blitze in Indianas Richtung schossen.»Unsinn«, murrte er noch einmal.»Ich weiß nicht, warum Sie so agressiv sind, Dr. Jones, und solche Geschichten verbreiten, aber das ist alles ausgemachter Quatsch.«
«Trotzdem«, näselte Ludolf unbeeindruckt und noch immer mit einer Stimme, als lese er einen drei Wochen alten Wetterbericht vor,»wäre es vielleicht nett, wenn Sie uns jetzt erklärten, wo wir hingebracht werden.«
«Das… kann ich nicht«, sagte Browning gequält.»Jetzt noch nicht. Sie werden alles erfahren, sobald es soweit ist. Und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie weder in Gefahr noch in sonstigen Schwierigkeiten sind.«
Ludolfs Gesichtsausdruck war nicht anzusehen, ob er sich mit dieser Erklärung zufriedengab oder nicht, aber er sagte nichts mehr, sondern lehnte sich wieder zurück und erstarrte zur Statue eines deutschen Offiziers.
Und auch die anderen schwiegen jetzt. Mehr noch als das, was Browning gesagt hatte, war es die Art und Weise gewesen, wie er es gesagt hatte, die jeden seine eigenen — und wahrscheinlich düsteren — Überlegungen über den Sinn und das Ziel ihrer Autofahrt anstellen ließ.
Vor allem Indiana war plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, daß es wirklich eine gute Idee gewesen war, Mortons Drängen in Alaska nachzugeben. Aber im Grunde hatte er das ja auch gar nicht getan. Was ihn letztendlich dazu bewogen hatte, doch an dieser Expedition teilzunehmen, waren weder Brownings Appelle, noch seine Vaterlandstreue, noch die Aussicht auf eine große wissenschaftliche Entdeckung gewesen.
Indiana Jones war Wissenschaftler mit Leib und Seele, aber noch viel mehr war er ein Abenteurer. Vielleicht einer der letzten Abenteurer, die es noch gab. Er hatte sein Archäologiestudium nicht begonnen und mit der besten Note seines Jahrgangs abgeschlossen, weil ihn die Archäologie interessierte. Das natürlich auch — aber mehr, ungleich mehr interessierten ihn die Abenteuer, die damit verbunden waren. Ob sie nun tatsächlich stattfanden oder nur in seiner Phantasie, das spielte im Grunde keine Rolle. Für ihn war Archäologie niemals etwas Trockenes gewesen, weder vor Ort, noch in seinem verstaubten Arbeitszimmer in der Universität. Schon als Kind war er in den heimatlichen Bergen herumgekrochen, hatte nach Resten der alten Indianerkulturen und Hinterlassenschaften der Con-quistadores gesucht und dabei so ganz nebenbei manche Entdeckung gemacht, auf die mehr als ein gestandener Wissenschaftler stolz gewesen wäre. Schon als Kind hatte ihn alles, was die Jahrhunderte oder auch Jahrtausende überdauert hatte und als Zeugnis untergegangener Kulturen übriggeblieben war, fasziniert.
Und etwas von diesem kindlichen Staunen hatte er sich bis heute bewahrt. Das war sicherlich ein Grund, warum Dr. Indiana Jones eindeutig der beliebteste Professor an seiner Universität war, aber nicht alles. Etwas umgab diesen Mann. Eine Ausstrahlung, die schwer in Worte zu fassen war, die aber jeder spürte, der ihn nur kurz sah. Selbst wenn er mit seiner dünnen Brille und im maßgeschneiderten Anzug hinter dem Pult im Hörsaal der Universität stand oder im Laboratorium mit weißem Kittel und der Geschicklichkeit und Geduld eines Chirurgen zweitausend Jahre alte Tonscherben zusammensetzte, hatte er noch immer etwas von einem Abenteurer, einem Romantiker, der vielleicht noch Spuren von dem Pioniergeist in sich trug, der dieses Land groß gemacht hatte. Und das war der wirkliche Grund gewesen, warum er schließlich eingewilligt hatte, an der Expedition nach Odinsland teilzunehmen: das Abenteuer.