Der Deutsche sah müde aus. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und seine Haut hatte einen grauen Schimmer. Seine Bewegungen wirkten fahrig, und Indiana fiel auf, daß die beiden Soldaten ängstlich ein Stück zurückwichen, als er sich ihnen näherte. Offensichtlich stand auch bei den Deutschen nicht alles zum besten.
«Guten Morgen«, begrüßte Erich sie.»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht.«
«Ja«, antwortete Indiana unfreundlich.»Ich schlafe besonders gut im Sitzen und mit zusammengebundenen Händen.«
«Es tut mir leid, wenn Sie nicht den gewohnten Service vorgefunden haben«, erwiderte Erich spöttisch.»Aber Sie haben es ja vorgezogen, den unbeugsamen Helden zu spielen, statt mein Angebot anzunehmen.«
«Was ist mit den anderen?«fragte Indiana. Er machte eine Kopfbewegung zu einer der beiden Wellblechhütten im Lager.»Die Männer, die Sie dort zusammengepfercht haben. Man wollte uns nicht zu ihnen lassen.«
«Wozu auch?«gab Erich zurück.»Wir haben einen Arzt dabei, der sich um die Verletzten kümmert. Oder suchen Sie nach jemand Bestimmtem?«
Indiana überlegte blitzartig. Erich wußte gut, wie er zu Quinn stand. Und die mißtrauische Art, in der er diese Frage stellte, konnte nur eines bedeuten.
«Nein«, antwortete Indiana.»Quinn habt ihr ja offensichtlich schon vorher erledigt.«
Erich zuckte mit den Schultern.»Was nicht unbedingt ein großer Verlust für die Menschheit ist«, sagte er lächelnd. Als er sah, wie es in Indianas Augen aufblitzte, fügte er kalt hinzu:»Es war schließlich nicht meine Schuld, daß er es vorgezogen hat, bei seinen Hunden zu bleiben, statt sich in Sicherheit zu bringen. «Er machte eine herrische Geste, die jeden Widerspruch im Keim erstickte, und begann, auf die beiden Konstruktionen am Rand des Kraters zuzugehen. Indiana und Mabel folgten ihm.
«Wie Sie sehen, Dr. Jones«, begann er,»waren wir nicht untätig. Die Arbeiten sind noch nicht ganz abgeschlossen, aber ich denke, daß es allerhöchstens noch zwei oder drei Stunden dauern wird. «Er legte eine winzige Pause ein und sah Indiana und Mabel bedeutungsvoll an.»Und ganz genau so lange gebe ich Ihnen noch Zeit, um über meinen Vorschlag nachzudenken.«
Indiana ersparte sich eine Antwort und ging vorsichtig weiter. Seine Schritte wurden automatisch langsamer, als er sich dem Kraterrand näherte, und einen halben Meter davor blieb er schließlich stehen. Erichs Soldaten hatten während der Nacht einen provisorischen Zaun rings um das gewaltige Loch gezogen, eine Anzahl meterhoher eiserner Stäbe, die in das Eis gerammt und zwischen denen rotweiße Bänder gespannt worden waren, die eher symbolischen Charakter hatten.
Erich machte eine einladende Bewegung. Indiana streckte den Arm aus, hielt sich an einer Metall Verstrebung des Gerüsts fest und beugte sich mit klopfendem Herzen nach vorne.
Was er sah, verschlug ihm für Sekunden im wahrsten Sinne des Wortes den Atem.
Was gestern abend nichts weiter als ein bodenloses schwarzes Loch gewesen war, das erwies sich jetzt, im hellen Licht des Morgens, als kreisrunder, sicherlich drei- oder vierhundert Meter weiter Schacht, dessen Wände aus spiegelblank poliertem Eis bestanden. Der ebenfalls runde See auf seinem Grund war so ruhig, daß das Wasser wie eine gewaltige Silberplatte glänzte. Und es war ganz genau so, wie Morton behauptet und die Fotos es gezeigt hatten:
Direkt unter ihnen, zu einem Teil ins Eis der Schachtwand eingefroren, lag ein gewaltiges Wikingerschiff mit einem rotweiß gestreiften Segel.
«Aber das ist doch unmöglich!«flüsterte Mabel, die sich ebenfalls vorgebeugt hatte.
Erich lachte leise.»Nichts ist unmöglich, meine Liebe. Ich sehe schon, Sie haben dem bedauernswerten Mr. Morton ebensowenig geglaubt wie alle anderen. «Er lachte leise und spöttisch.»Sehen Sie, in diesem Punkt unterscheiden wir uns eben auch. Wir haben ihm geglaubt, sonst wären wir kaum hier.«
Indiana richtete sich überrascht auf und sah den Deutschen an.»Was meinen Sie damit?«fragte er.
«Sie enttäuschen mich, Dr. Jones«, sagte Erich.»Ich dachte, Sie wären schon von selbst darauf gekommen. Wir hatten von Anfang an keine Zweifel, daß es dieses Schiff und diese Höhle wirklich gibt.«
«Es ist der einzige Grund, warum wir dafür gesorgt haben, daß Sie diese Expedition unternehmen.«
«Dafür… gesorgt?«vergewisserte sich Mabel.
«Ich gebe zu, es war nicht einfach. Aber es hat sich gelohnt.«
«Dann… dann sind Sie nicht wegen dieser Raketenbasis hier?«fragte Indiana.»Ich meine, man hat Sie nicht an Bord geschmuggelt, um — «
«Raketenbasis?«Erich lachte heftig.»Was für eine Raketenbasis, Dr. Jones? Es gibt keine solche Basis. Sie existiert nur in den Köpfen dieser Narren Lestrade und Browning.«
«Aber die Beweise — «begann Indiana, wurde aber sofort wieder von Erich unterbrochen.
«Beweise! Papperlapapp! Papier ist geduldig, wie man so schön sagt. Brownings sogenannte Beweise waren nichts als Fälschungen, die wir ihm zugespielt haben. «Sein Blick wurde verächtlich.»Glauben Sie wirklich, wir würden amerikanischen Spionen gestatten, an Informationen über ein so streng geheimes Vorhaben zu gelangen?«
«Aber warum, um Gottes willen«, murmelte Mabel fassungslos.
Erich antwortete nicht auf ihre Frage, aber Indiana tat es mit leiser, zitternder Stimme und geballten Fäusten, um sich nicht einfach auf den Deutschen zu stürzen und auf ihn einzuschlagen.»Damit wir ganz genau das tun, was wir getan haben, Mabel«, sagte er.»Mein Gott, sie haben uns alle zum Narren gehalten.«
«Aber wozu dann all das?«fragte Mabel noch einmal.»Warum haben sie uns nicht einfach gesagt, was sie wollten?«
«Weil wir ein Luftschiff wie die Dragon niemals losgeschickt hätten, nur um das da zu finden. «Indiana deutete mit einer Geste auf das Wikingerschiff unter ihnen. Erich nickte zustimmend, schwieg aber und sah Indiana neugierig an.
«Sie wußten genau, daß die Regierung der Vereinigten Staaten ganz bestimmt nicht ein paar Millionen Dollar investiert und ihr modernstes Luftschiff losgeschickt hätten, nur um ein tausend Jahre altes Wikingerboot zu bergen. Um eine deutsche Raketenbasis aufzuspüren, schon.«
«Aber warum haben Sie es nicht einfach selbst getan?«
«Weil wir kein Luftschiff wie die Dragon hatten«, antwortete Erich in fast freundlichem Ton.»Und aus einem anderen höchst simplen Grund, meine Liebe. Wir kannten die Position dieses Eisbergs nicht.«
«Sie hätten ihn suchen können!» schrie Mabel plötzlich.»Sie… Sie haben Schiffe und U-Boote und Flugzeuge. Sie hätten ihn einfach suchen können, ohne daß all diese Männer hätten sterben müssen!«