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«Nun«, meinte er,»einen Versuch war es wert.«

Indianas Augen wurden groß, als er begriff, was Erichs Worte bedeuteten.»Sie… Sie haben das gewußt?«ächzte er.

Erich verzog abfällig die Lippen.»Gewußt nicht direkt, Dr. Jones«, antwortete er.»Aber sagen wir: Ich habe mit der Möglichkeit gerechnet.«

«Das heißt, Sie haben ihn ganz bewußt umgebracht«, sagte Indiana haßerfüllt.

«Umgebracht!«Erich machte eine wegwerfende Handbewegung.»Was für ein dramatisches Wort. Es war ein Experiment, verstehen Sie? Gerade Sie als Wissenschaftler dürften doch wissen, daß für die Forschung auch Opfer gebracht werden müssen. Immerhin«, fügte er mit einem bösen Lächeln hinzu,»habe ich nicht darauf bestanden, daß Sie oder Dr. Rosenfeld als erste an Bord gehen.«

«Ungeheuer!«zischte Indiana gepreßt.»Sie verdammte Bestie. Ich werde — «

Die Wand hinter Erich barst. Eine Lawine aus Eisbrocken und — splittern regnete auf sie herab, und plötzlich erweiterte sich der gezackte Riß in der Eiswand zu einem mehr als mannshohen schwarzen Loch, in dem eine riesenhafte, gehörnte Gestalt erschien. Erich kreischte erschrocken auf und versuchte, sich mit einem Satz in Sicherheit zu bringen, und der Soldat riß seine Maschinenpistole hoch und legte auf das hünenhafte Wesen an.

Er führte die Bewegung nie zu Ende. Der Riese sprang vor, und in seinen Händen blitzte plötzlich ein ein Meter langes Schwert. Ein Schuß löste sich aus der Maschinenpistole des Soldaten, aber die Kugel fuhr hinter dem Giganten ins Eis, und dann fiel die Maschinenpistole samt der Hand, die sie gehalten hatte, zu Boden, und der deutsche Soldat brach mit einem röchelnden Laut in die Knie und stürzte nach vorne. Erich fingerte an seinem Gürtelhalfter herum und versuchte, seine Pistole zu ziehen, aber auch er war nicht schnell genug. Trotz seiner ungeheuren Größe wirbelte der Gigant schnell wie ein Schatten herum und schlug ein zweites Mal mit dem Schwert zu. Der deutsche Offizier begriff die Gefahr, in der er schwebte, im allerletzten Moment, duckte sich und versuchte gleichzeitig, einen Schritt rückwärts zu machen, aber beide Bewegungen kamen zu spät. Die Klinge des Riesen enthauptete ihn nicht, wie er es vorgehabt hatte, aber sie grub eine tiefe, blutige Spur in seinen rechten Oberarm, und dort, wo Erich den Fuß hatte hinsetzen wollen, war kein Eis mehr, sondern nur noch Wasser. Erich schrie vor Schreck und Schmerz, stand einen Moment lang in fast grotesker Haltung und mit hilflos wirbelnden Armen da und kippte schließlich rücklings ins eisige Wasser des Sees, nur eine Handbreit vom Rumpf des Nagelfahr entfernt.

Dann fuhr der Riese herum und stürzte sich auf Indiana und Mabel.

Indiana fühlte sich von einer unmenschlich starken Hand gepackt und wie ein Kind in die Höhe gerissen, als der Riese zuerst ihn, dann Mabel ergriff und sie sich wie leblose Gewichte über die Schulter warf. Mabel begann zu kreischen, mit den Beinen zu strampeln und mit beiden Fäusten auf das Gesicht unter den gewaltigen Hörnern einzuschlagen, und auch Indiana wand sich verzweifelt im Griff des Riesen, weil ihm dieser die Luft abschnürte. Aber ihr Widerstand war sinnlos. Der Mann mit dem Hörnerhelm fuhr herum, duckte sich — und verschwand in dem Loch in der Eiswand, aus dem er aufgetaucht war.

Es war der Eingang zu einem hohlen Stollen, den man ins Eis von Odinsland getrieben hatte und der im steilen Winkel nach oben führte. Gut hundert, hundertfünfzig Meter weit trug sie der Hüne in rasendem Tempo diesen Stollen entlang, dann zweigte sich der Gang. Er nahm die rechte Öffnung, rannte eine natürlich gewachsene Treppe im Eis hinauf und tauchte in einen weiteren Gang ein, der plötzlich vom Hauptstollen abzweigte. Unter der scheinbar so massiven Oberfläche schien Odinsland ein Labyrinth von Gängen und Stollen im Eis zu sein.

Und ihr Weg war auch hier noch nicht zu Ende. Der Riese hetzte weiter, rannte in einen weiteren Seitengang, in noch einen, eine schräge Rampe hinauf, auf der seine Füße eigentlich gar keinen Halt hätten finden dürfen.

Dann, endlich, erreichten sie einen halbrunden, völlig aus Eis bestehenden Raum, und der Hüne hielt an. Hastig setzte er zuerst Ma-bel, dann Indiana zu Boden, fuhr herum und wälzte einen mannshohen, sicherlich eine halbe Tonne schweren Brocken aus milchigem Eis vor das Tunnelende, aus dem sie herausgekommen waren.

Erst dann entspannte er sich. Eine Weile blieb er einfach schwer atmend stehen, dann drehte er sich um, hob die Hände an den Kopf und nahm mit einem erleichterten Seufzer den gewaltigen Hörnerhelm ab.

«Mister Quinn!«rief Mabel ungläubig.

Und Indiana fügte hinzu:»Ich habe mich schon gefragt, wo du die ganze Zeit bleibst.«

Die Höhle konnte nicht sehr weit von der Außenwand des Eisbergs entfernt liegen, denn durch die rückseitige Mauer drang blasses, milchiges Licht. Wie alles hier, bestand die Höhle fast vollständig aus Eis. Und sie war voller Toter.

Es war Indiana nicht möglich, ihre Zahl zu schätzen. Einige wenige lagen auf dem Boden der Eishöhle, schon vor einem Jahrtausend gestorben und von der grausamen Kälte konserviert, die meisten waren im Eis eingeschlossen; einige nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche, so daß sie wie mitten in der Bewegung erstarrte Puppen dastanden und Indiana, Mabel und Quinn aus ihren weit aufgerissenen, leeren Augen anzustarren schienen, andere tiefer im Berg, nur noch als Schemen zu erkennen. Es waren Wikinger. Männer in zerschrammten Kettenhemden und Wolfs- und Bärenfellmänteln, aber auch Frauen, alte und junge, und Kinder — die Bevölkerung eines ganzen Dorfes. Viele von ihnen trugen Bündel bei sich, einige geflochtene Weidenkörbe, in denen Indiana sogar noch Obst und große runde Brotfladen erkennen konnte. Und der Tod mußte sie in Sekundenbruchteilen ereilt haben, so schnell, daß ihre Körper nicht einmal mehr Zeit gefunden hatten, zu Boden zu sinken, sondern auf der Stelle erstarrt waren.

Mabel betrachtete die entsetzliche Ansammlung seit einem Jahrtausend toter Wikinger mit unverhohlenem Entsetzen. Und auch Indiana konnte sich eines Schauders nicht erwehren, obwohl er schon oft in Gräbern gewesen und an den Anblick von Toten gewöhnt war. Aber das hier war etwas anderes. Er hatte Leichen gefunden, die zehnmal älter als diese und auf ungleich schrecklichere Weise ums Leben gekommen waren. Aber all diese Menschen hier schienen ihm… nicht wirklich tot. Natürlich wußte er, daß sie nicht im nächsten Moment aus ihrem eisigen Gefängnis treten und wieder zum Leben erwachen würden. Trotz allem Zauber der nordischen Äsen war dies nicht möglich. Aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, daß diesen Menschen Schlimmeres widerfahren war als der Tod. Sie waren betrogen worden von einem grausamen Schicksal, das ihnen das Tor zum Himmel gezeigt hatte, um sie dann im letzten Moment nur um so härter zu bestrafen.

Schaudernd wandte er sich ab und sah Mabel an.

«Sieh nicht hin«, sagte er.

Das war leichter gesagt als getan. Die Höhle war nicht besonders groß, und mit Ausnahme des Bereichs unmittelbar vor dem Eingang, vor den Quinn den Eisbrocken geschoben hatte, war sie mit Toten gefüllt.

«Großer Gott«, flüsterte Mabel.»Was ist hier nur passiert?«

«Das, was Erich uns auf der Dragon erzählt hat«, antwortete Indiana halblaut.»Erinnerst du dich? Er sagte, daß Odin sein Schiff geschickt hat, um die Bewohner der Neuen Welt zu holen. Sie haben es alle geschafft, bis auf die hier.«

«Aber wie konnten sie so sterben?«wunderte sich Mabel.»Sie sehen aus, als seien sie in einer Sekunde erstarrt.«

«So etwas kommt vor. Es ist selten, aber es ist schon passiert. Wenn ganz bestimmte meteorologische Voraussetzungen zusammentreffen, dann können die Temperaturen im Bruchteil einer Sekunde auf fünfzig oder hundert Grad unter Null sinken.«