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«Wieso sind Sie hier?«fragte er.

«Obersturmbannführer Erich war wohl der Meinung, daß ich hier besser aufgehoben sei«, antwortete von Ludolf ruhig.»Er hat mich vor die Wahl gestellt, mich an seinem Unternehmen zu beteiligen oder bei Dr. Browning und seinen Leuten zu bleiben.«

«Und das soll ich Ihnen glauben?«fragte Indiana mißtrauisch.

«Ich bin deutscher Wehrmachtsoffizier«, antwortete von Ludolf beleidigt.»Kein Mörder. Ich weiß nicht, wer diesen Einsatz geplant und Erich die Befehle gegeben hat. Aber solange ich diese Uniform trage, werde ich nicht dabei mithelfen, Kriegsgefangene und Zivilisten abzuschlachten.«

Indiana tauschte einen kurzen, fragenden Blick mit Morton — und drehte sich rasch wieder zu von Ludolf herum, um auch seine Fesseln zu durchtrennen.

Der Major starrte ihn ungläubig an.

«Habe ich Ihr Ehrenwort?«fragte Indiana eindringlich.

«Ich werde nicht gegen meine Kameraden kämpfen«, antwortete von Ludolf ernst.»Aber ich verspreche Ihnen, Sie weder zu verraten noch aufzuhalten.«

«Das reicht«, sagte Indiana.»Wir brauchen fünf Minuten. Und wenn ich Sie wäre, Major«, fügte er hinzu,»dann würde ich die Zeit nutzen, um von hier zu verschwinden.«

Er verließ als letzter das Zelt und deutete auf Mabel.»Folgen Sie ihr«, befahl er.»Sie bringt Sie weg.«

«Und Sie?«fragte Browning.

Indiana blickte kurz zum Lager zurück, ehe er antwortete. Der Tumult hatte weiter zugenommen, und wieder krachte ein Schuß, aber vor der Hütte mit den Gefangenen herrschte Ruhe. Es war auch kein Posten mehr dort.

«Ich helfe Quinn«, sagte er.»Er versucht, die anderen herauszuholen. Und jetzt verschwindet! Mabel zeigt euch den Weg. Wenn alles klappt, dann kommen wir später nach.«

Er gab Browning keine Gelegenheit, abermals zu widersprechen, sondern lief geduckt los. Er mußte einen gewaltigen Bogen schlagen, um nicht in Sichtweite der Deutschen zu geraten, die mittlerweile fast alle in der Mitte des Lagers zusammengeströmt waren, aber er hatte auch diesmal Glück. Ungehindert erreichte er die Wellblechhütte, preßte sich einen Moment lang schwer atmend gegen die Wand und lauschte. Geräusche und dumpfes Stimmengemurmel drangen aus dem Inneren des kleinen Gebäudes, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Für einen Moment schoß ihm der entsetzliche Gedanke durch den Kopf, daß er sich vielleicht geirrt hatte. Möglicherweise waren dort drinnen gar keine Gefangenen, ganz einfach, weil Erich seine Drohung wahrgemacht und sie bereits hatte hinrichten lassen, und Indiana würde sich nicht einem Dutzend erleichterter Gesichter, sondern ebenso vielen Gewehrläufen gegenübersehen, wenn er durch die Tür stürmte. Aber es gab nur eine einzige Möglichkeit, das herauszufinden…

Indiana zog das Wikingerschwert, rückte den viel zu großen, wackelnden Helm auf seinem Kopf zurecht — und rammte die Tür mit der Schulter ein.

Sie bot sehr viel weniger Widerstand, als er erwartet hatte, was wohl zum Großteil daran lag, daß sich dort, wo eigentlich ein massives Schloß hätte sein sollen, nur ein verbogenes Loch im Blech befand. Indiana stolperte hilflos ein paar Schritte weit in den Raum hinein, verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin. Der Helm rutschte von seinem Kopf und rollte davon.

Als er den Kopf hob, blickte er genau in Quinns schadenfrohes Grinsen.

Neben und hinter ihm drängte sich ein Dutzend schreckensbleicher Gesichter, die überrascht und zum Teil auch belustigt auf ihn herabblickten.

Indiana rappelte sich hastig hoch, hob seinen Helm auf und ließ ihn gleich darauf wieder fallen, als ihm klar wurde, daß diese lächerliche Verkleidung nun wirklich nicht mehr nötig war. Das Schwert behielt er. Es war immer noch besser als gar keine Waffe.

«Wie sieht es aus?«fragte er überflüssigerweise.»Was ist mit dem Wächter?«

Quinn deutete auf eine reglose Gestalt in einer weißen Jacke, die in der Ecke neben der Tür lag.»Hier drinnen ist alles in Ordnung«, sagte er.»Was geht dort draußen vor?«

Wie als Antwort auf diese Frage drang das Geräusch von drei oder vier weiteren Gewehrschüssen durch die Wand.»Ich hab’ keine Ahnung«, gestand Indiana.»Aber so, wie es aussieht, fallen sie im Moment gerade übereinander her. Eine bessere Chance bekommen wir nicht mehr.«

Rasch drehte er sich zur Tür und sah hinaus. Er hatte keineswegs übertrieben. Die Schüsse, die sie gehört hatten, waren alles andere als Warnschüsse gewesen. Auf dem Eis lagen zwei reglose Männer in weißen Jacken, und genau in diesem Moment krachte ein weiterer Schuß, und ein dritter deutscher Soldat brach tödlich getroffen zusammen. Was als Auseinandersetzung zwischen zwei Männern begonnen hatte und als Massenschlägerei weitergegangen war, drohte nun in eine regelrechte Schlacht zwischen den Deutschen auszuarten.

«Los!«befahl er.»Jetzt oder nie!«

Niemand rührte sich. Einzig Quinn machte eine Bewegung, um an ihm vorbei und aus der Hütte zu treten, führte sie aber nicht zu Ende, als ihm auffiel, daß keiner der anderen ihm folgte.

«Worauf wartet ihr?!«fragte Indiana unwirsch.»Eine bessere Chance kriegen wir nicht mehr.«

«Das stimmt«, antwortete einer der Männer.»Das ist die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben.«

«Ich weiß, wo sie unsere Waffen untergebracht haben«, sagte ein anderer.»Laßt uns die Schweine umbringen.«

«Genau«, fügte ein dritter hinzu.»Wir machen sie fertig!«

Andere nickten zustimmend, und einer wollte sofort an Indiana vorbeieilen, um die Worte in die Tat umzusetzen, aber Indiana versetzte ihm einen Stoß, der ihn rücklings und in die Arme seiner Kameraden taumeln ließ.

«Seid ihr völlig verrückt geworden?«fragte er fassungslos.

Er bekam keine Antwort, aber als er in die Gesichter der Männer blickte, wurde ihm klar, welch fürchterlichen Fehler er begangen hatte. Es war genau so, wie Mabel vermutet hatte: Es war der böse Geist dieses Eisberges, der Atem des Götterschiffs, der aus Menschen tobsüchtige Kampfmaschinen machte und dessen Wirkung er draußen im Lager der Deutschen beobachten konnte. Aber er beschränkte sich keineswegs auf die Nazi-Soldaten. Hatte er sich wirklich eingebildet, sie seien immun dagegen?

«Seid vernünftig, Männer«, sagte er.»Es ist völlig sinnlos, jetzt — «

Er kam nicht einmal dazu weiterzusprechen, denn der gleiche Mann, den er gerade zurückgestoßen hatte, warf sich jetzt mit einem wütenden Knurren auf ihn, riß ihn einfach von den Füßen und begann, wie besessen auf ihn einzuschlagen. Quinn wollte Indiana zu Hilfe eilen, aber er erreichte ihn nicht. Drei, vier, fünf Soldaten auf einmal warfen sich auf ihn und zwangen ihn zu Boden, während die anderen an ihnen vorbei und aus der Hütte stürmten.

Als wäre dies ein Signal gewesen, ließen nun auch die übrigen Männer von ihm und Quinn ab und folgten ihren Kameraden. Das Schreien und Stimmengewirr draußen wurde lauter; dann plötzlich krachten mehrere Schüsse, und Indiana sah durch die offenstehende Tür, wie einer der Navy-Soldaten getroffen zusammenbrach. Die anderen stürmten unbeeindruckt weiter. Indiana beobachtete, wie ein zweiter Soldat von einer Gewehrkugel in die Schulter getroffen wurde und taumelte. Aber er stürzte nicht einmal, und seine Schritte wurden auch nicht langsamer.

Indiana konnte regelrecht fühlen, was geschah: Die latente Gewalttätigkeit, die bisher wie eine unsichtbare dräuende Wolke über der Insel gelegen hatte, entlud sich in einer fürchterlichen Explosion. Es war, als griffe irgend etwas nach seinem Bewußtsein und schaltete sein logisches Denken aus. Plötzlich war in ihm nur noch Zorn, ein lodernder, glühender Haß auf alles, was sich bewegte und lebte, was dachte und in der Lage war, etwas anderes zu empfinden als Haß und Wut. Mit einem Schrei sprang er auf, ballte die Fäuste und stürzte sich auf Quinn.