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Wolfgang Hohlbein

Indiana Jones und das Schwert des Dschingis Khan

Ein namenloser Fluß an der russisch-mongolischen Grenze

Auf einen Ort zu stoßen, dessen Name auf keiner Karte verzeichnet war, das war an sich nichts Außergewöhnliches.

Schon gar nicht hier, in einem Winkel der Welt, von dem die allermeisten Menschen kaum wußten, daß er existierte; geschweige denn, wo er lag und wie es dort aussah.

Auch auf eine kleine Ansiedlung zu treffen, die man in den schon etwas detaillierteren Karten, die die Bewohner dieses Landes selbst von ihrer Heimat angefertigt hatten, vergebens suchte, wäre allerhöchstens ein bißchen überraschend gewesen. Ein bißchen, aber nicht sehr.

Und selbst ein Dorf, dessen Position und Name in den schon sehr viel genaueren militärischen Kartenwerken der Gegend fehlte, wäre noch vorstellbar gewesen; wenn auch schon schwerer. Selbst hier, am unbestrittenen Ende der zivilisierten Welt (und vielleicht schon ein bißchen dahinter), pflegte das Militär prinzipiell alles zu wissen, was es zu wissen gab — und nach Möglichkeit auch noch ein bißchen mehr. Trotzdem … es war denkbar.

Aber auf eine ganze Zeltstadt zu stoßen, die noch vor achtundvierzig Stunden schlicht und einfach nicht dagewesen war, das erschütterte Michail bis in die tiefsten Tiefen seiner Kosakenseele. So tief, daß er seit nunmehr gut zwei Minuten reglos im aufgeklappten Turmluk des T32 stand, auf die Ansammlung kunterbunter Zelte im Tal unter sich herabstarrte und weder den eisigen Wind registrierte, der wie mit dünnen gläsernen Klingen in sein Gesicht schnitt und sich mittlerweile anschickte, seinen sorgsam gestutzten Vollbart mit Eis zu verkrusten, noch die immer nervöseren Blicke, die das halbe Dutzend Panzerinfanteristen in seiner Begleitung abwechselnd ihm und der Kette pelzvermummter Gestalten zuwarf, die sich langsam den Hang hinauf und auf den Panzer zubewegten.

Er glaubte es einfach nicht.

Er glaubte es nicht, weil es nicht sein konnte, und es konnte nicht sein, weil es nicht sein durfte. Basta.

Unverschämterweise streckte die Wirklichkeit in Gestalt besagter Zelte und Männer seiner unerschütterlichen Überzeugung weiter beharrlich die Zunge heraus, und so tat Michail schließlich das, was er schon vor anderthalb Minuten hätte tun sollen — er ließ mit einem verwirrten Seufzer zuerst den Feldstecher und dann sich selbst zurück in das Turmluk des Panzers sinken. Natürlich stieß er sich prompt den Hinterkopf bei dieser Aktion, und er ließ auch jetzt den gleichen, unflätigen Fluch hören wie jedes Mal, wenn das passierte.

Michail haßte diesen Panzer. Da er Kosak mit Leib und Seele war, verachtete er prinzipiell, was nicht vier Beine, einen Schweif, eine Mähne und Nüstern hatte, aber diesem speziellen Panzer galt sein ganz besonderer Haß. Seit er dieses rasselnde, schnaufende, klirrende, stinkende Ding vor einem halben Jahr zum ersten Mal gesehen hatte, haßte er es, und er war überzeugt davon, daß dieser Haß auf Gegenseitigkeit beruhte, denn es verging kein Tag, an dem er sich nicht mindestens einmal daran stieß, schnitt, prellte, klemmte oder die Finger verbrannte. Michail wußte, daß seine Männer bereits hinter vorgehaltener Hand Wetten abschlossen, auf welche Weise er sich wohl das nächste Mal verletzen würde, wenn er das staubgraue Ungeheuer auch nur von der Seite ansah. Wer immer behauptet hatte, Maschinen hätten keine Seele, hatte entweder nicht alle Tassen im Schrank oder er log. Zumindest dieser T32 hatte eine Seele. Und sie war schwärzer als die des Teufels.

Nun konnte man nicht unbedingt behaupten, daß Michail unvoreingenommen gewesen wäre, was dieses Fahrzeug anging. Oder sein Kommando. Oder die Umstände seiner Versetzung hierher überhaupt. Von diesem Land ganz abgesehen.

Schon Michails Urgroßvater war Kosak gewesen. Wie sein Großvater. Und sein Vater auch.

Michail war es nicht.

Das hatte verschiedene Gründe, hauptsächlich aber den, daß die Bolschewiken einen Preis auf die Köpfe von Männern wie ihn ausgesetzt hatten, so daß es Michail schon früh ratsam erschienen war, sowohl seinen Namen als auch gewisse Details in seiner Geburtsurkunde und seinen übrigen Papieren zu ändern. Zum anderen gehörte Michail unglücklicherweise zu jenen Menschen, die prinzipiell den Sand bildeten, der das Räderwerk jeder großen Organisation zum Knirschen brachte. Die Rote Armee war eine immens große Organisation, und wenn sie auch im Grunde nicht viel mehr tat, als sich selbst zu verwalten, so gab es doch eine Menge Zehen, auf die man treten konnte. Michail war auf ihnen allen nach Kräften herumgehopst — mit dem Ergebnis, daß er sich schneller am Ende der Welt wiedergefunden hatte, als er seinen eigenen Namen buchstabieren konnte. Einzig der Umstand, daß er neben allem anderen auch noch ein Kriegsheld war, dessen Taten nicht einmal der Oberste Sowjet in Moskau ohne weiteres ignorieren konnte, hatte ihn davor bewahrt, als einfacher Soldat statt als Offizier hier zu landen und den Rest seiner Tage damit zu verbringen, Latrinen zu säubern. Aber das war auch schon alles.

«Genosse Kommandant?«

Michail fuhr aus seinen düsteren Überlegungen auf und blickte an seinen Knien vorbei hinab ins Gesicht des Bordkanoniers, der eingezwängt wie in einer Sardinenbüchse unter ihm hockte. Sein Gesicht war rot vor Kälte. Das war eine weitere Gemeinheit, mit der dieser Panzer aufzuwarten wußte. Egal ob er stand oder fuhr, es war in seinem Inneren immer ein bißchen kälter als draußen. Natürlich nur im Winter. Im Sommer war es stets heißer.»Ja?«grunzte er.

Der Mann deutete mit einer Kopfbewegung auf den kaum fingerbreiten Sehschlitz vor sich.»Ich glaube, sie kommen näher. «Seine Stimme klang fast ängstlich.

Michail seufzte erneut und sehr tief, schob Kopf und Schultern aber wieder aus dem Turmluk heraus, wobei er sorgsam darauf achtete, sich diesmal nicht den Hinterkopf anzuschlagen. Es gelang ihm, aber dafür prellte er sich das rechte Knie.

Die Gestalten waren tatsächlich nähergekommen, nahe genug, daß er sie jetzt auch ohne Feldstecher erkennen konnte.

Michail spürte, daß ihre sonderbare Kleidung ihm eigentlich etwas sagen sollte. Zu diesem vagen Gefühl kam seine stärker werdende Beunruhigung.

Spürte etwas in ihm vielleicht eine Gefahr, die von den Männern in den langen, buntbestickten Wollmänteln ausging?

Einen Moment dachte er ganz ernsthaft über diese Frage nach, verneinte sie aber dann. Es waren vierzig, vielleicht sogar fünfzig, aber sie waren nicht — und wenn, dann allenfalls mit Messern, Speeren und lächerlich! — lederbezogenen Schilden — bewaffnet, während er selbst fünf mit Maschinenpistolen und Karabinern ausgerüstete Infanteristen draußen und zwei weitere Männer hier drinnen hatte. Außerdem saß er sicher hinter zweieinhalb Zentimetern bestem russischem Stahl und gebot über eine 7,5 cm-Kanone und zwei doppelläufige Maschinengewehre.

Nein — was ihn beunruhigte, das war nicht die Gefahr, die von diesen Männern ausging. Es war die Tatsache, daß sie hier waren.

Wenn er sich diese Zeltstadt dort unten ansah, dann mußte der Stamm aus mindestens zweihundert Nomaden bestehen — und wie zum Teufel hatten es zweihundert Menschen geschafft, mit Sack und Pack hierherzukommen, ohne daß er es gemerkt hatte? Und — viel interessanter — was wollten sie hier?

Wenn man dieses Zeltlager genauer in Augenschein nahm und seine Phantasie auch nur ein kleines bißchen spielen ließ, dann fiel einem sehr schnell zweierlei auf: erstens, daß es nicht den Eindruck machte, in aller Hast und nur für ein paar Tage errichtet worden zu sein. Und zweitens, daß es durchaus auf Zuwachs gebaut war. Was um alles in der Welt hatte dieses Gesindel vor? Sich hier häuslich niederzulassen oder vielleicht gleich einen eigenen Staat auszurufen? Nun, Michail würde sowohl gegen das eine als auch gegen das andere etwas unternehmen.