«Komm weiter«, sagte er.»Ich zeige dir gern später die Aus-«
«Das ist nicht nötig«, unterbrach ihn Tamara.»Ich habe sie bereits gesehen.«
«Du warst hier? Im Museum?«
«Mehrmals. Man erfährt durch nichts soviel über einen Mann, als wenn man sich seine Arbeit ansieht.«
«Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«
«Daß du ein sehr interessanter Mann sein mußt«, antwortete Tamara.»Und ein bißchen verrückt.«
Indiana lächelte.»In einem der beiden Punkte gebe ich dir sogar recht«, antwortete er.»Komm weiter- ehe ich einem überraschten Nachtwächter ein riesiges Bestechungsgeld zahlen muß, damit mein Ruf nicht völlig den Bach hinuntergeht.«
«Was für ein Ruf?«
Indiana verdrehte übertrieben die Augen.»Ich sehe, du hast dich wirklich über mich informiert«, sagte er.»Und jetzt komm!«
Erst nachdem er die Vorhänge in seinem Zimmer zugezogen hatte, schaltete Indiana Jones das Licht ein.
«Gemütlich«, kommentierte Tamara und sah sich um.»Zumindest dann, wenn man sonst in Zelten lebt.«
«Eine Notunterkunft«, entgegnete Indiana.»Mir genügt’s.«
Er öffnete einen Schrank und zog eine Reisetasche aus gegerbtem Schweinsleder hervor.»Bitte entschuldige mich einen Moment.«
Mit diesen Worten verschwand er im angrenzenden Bad. Tamara ließ sich vorsichtig auf dem Feldbett nieder und sah sich um.
Keine Utensilien auf dem Hocker, der wohl als Nachttisch diente. Keine Kleidungsstücke über einem Stuhl. Nicht einmal Rasierzeug vor dem hohen Spiegel, den im unteren Drittel ein Sprung durchlief. Ein seltsamer Mensch, dieser Doktor Jones.
Entweder war es sein persönlicher Stil, keine privaten Ansatzpunkte zu offenbaren, oder er hatte damit gerechnet, schnell von hier verschwinden zu müssen.
Dann entdeckte Tamara doch noch etwas. Es hing gleich neben der Tür an einem Haken und hatte Ähnlichkeit mit einer mumifizierten Schlange. Seltsam …
Sie erhob sich und nahm das Ding näher in Augenschein.
Eine … Peitsche?
Was um alles in der Welt wollte ein Doktor der Archäologie mit einer Peitsche!
Das Knarren der Badezimmertür ließ Tamara herumfahren.
Fast hätte sie aufgeschrien. Es dauerte eine Sekunde, bis sie begriff, daß der Mann, der ihr gegenüberstand, Doktor Jones war, der den Raum gerade erst verlassen hatte.
Aber wie hatte er sich verändert! Im schwarzen Anzug hatte er fast genauso ausgesehen, wie sich Tamara einen charmanten, aber etwas verstaubten Gelehrten eben vorgestellt hatte.
Jetzt wirkte er wie ein … Dschungelkämpfer. Eine staubbraune Hose, ein grobgewebtes, beigefarbenes Hemd, darüber eine abgewetzte Lederjacke. Und der Hut: ein abenteuerlich aussehendes Ding mit breitem Band und leicht nach unten geneigter Krempe. Darunter blitzten Augen in einem Gesicht, das mit dem bisherigen wenig gemein zu haben schien. Irgendwie sah Indiana Jones härter aus. Plötzlich war da ein Hauch von Gewalt, von eiserner Entschlossenheit, der Tamara im gleichen Maße überraschte wie beeindruckte. Und ganz plötzlich wußte sie es: Er war ein Abenteurer, nicht in dem leicht anrüchigen Sinn, den dieses Wort bei den meisten Menschen hatte, sondern in seinem ursprünglichsten, ehrlichsten Sinn. Unter der Tünche des zivilisierten Mannes und Wissenschaftlers war Doktor Indiana Jones ein Mann wie vielleicht Scott oder Amundsen geblieben — und ein Stück von Sindbad dem Seefahrer spiegelte sich auch in seiner Erscheinung.
Er grinste breit, als er Tamaras fassungslosen Gesichtsausdruck bemerkte; und auf eine Weise, die ihr klar machte, daß er es gewohnt war, auf diese Weise angestarrt zu werden.
«So, ich bin soweit. Wir können …«
Jetzt endlich begriff Tamara.
«Sie sind nur wegen dieser … dieser Kleidungsstücke hierher gekommen?«fragte sie, hin- und hergerissen zwischen Fassungslosigkeit und allmählich aufkeimendem Zorn.
«Sagte ich nicht, daß ich diese Wohlstandsklamotten hasse?«entgegnete er.»Für das, was wir vorhaben, muß ich mich bewegen können.«
«Und Sie glauben nicht, daß wir so eher auffallen werden?«
«In Washington — vielleicht. Aber der Rest der Welt wird einem geschniegelten Universitätsprofessor wohl kaum auch nur einen Fallschirm leihen.«
«Einen … Fallschirm?«stammelte Tamara.»Was haben Sie vor, Doktor — «
«Bleiben wir doch bitte beim ›Indiana‹«, unterbrach Indiana sie.»Bitte glaub mir, ich mußte hart arbeiten für dieses Image.
Helden in Bundfaltenhosen leben nicht lange.«
«Ach. Ist das deine persönliche Philosophie?«
«Nein, das steht im Drehbuch, Schätzchen. «Indiana grinste wieder.»Aber genug gescherzt. Machen wir, daß wir hier weg … oh, oh.«
Mit den letzten Worten hatte Indiana Jones den Vorhang ein Stück zur Seite geschoben und auf die Straße hinabgesehen.
Was er dort entdeckt hatte, schien ihn nicht eben zu begeistern.
«Da haben wir den Salat. CIA oder FBI, jede Wette.«
Mit zwei schnellen Schritten war Tamara am Fenster und lugte ebenfalls hinaus. Unten auf der Straße drückten sich gerade zwei Männer in grauen Anzügen in den Hauseingang, den sie eben noch selbst als Deckung benutzt hatten.
«Oder die, die hinter mir her sind«, ergänzte sie seine Liste.»Was jetzt? Glaubst du, die wissen, daß wir hier sind?«
«Anzunehmen. Die Burschen sind flinker, als ich dachte. Wir müssen improvisieren.«
Er zog den Hut tiefer in die Stirn und griff nach seiner Peitsche, zögerte aber dann noch einmal, sie von ihrem Haken zu nehmen.»Wenn das wirklich deine Leute sind, sehe ich nicht ein, warum wir uns nicht einfach von ihnen aus der Stadt bringen lassen.«
«Weil ich nicht sicher bin, daß es meine Leute sind«, antwortete Tamara.»So wenig wie du, daß es deine sind.«
«Und außerdem bist du nicht sicher, daß deine Leute auch wirklich deine Leute sind«, vermutete Indiana. Es war ein Schuß ins Blaue, aber er sah an Tamaras fast unmerklichem Zusammenzucken, daß er einen Treffer gelandet hatte.
Er nahm die Peitsche vom Haken, befestigte sie an einer Schlaufe an seinem Gürtel und trat auf Tamara zu.»Mal ehrlich«, sagte er.»Dieses vorgetäuschte Attentat — das galt doch nur dem Zweck, mich neugierig zu machen.«
«Woher … weißt du das?«fragte Tamara erschrocken.
«Ich spüre so etwas«, antwortete Indiana.»Allerdings hätte ich nicht gedacht, daß ihr so weit geht.«
«Das wollten wir auch nicht«, murmelte Tamara.
«Wie?«
Tamara wich seinem Blick für einen Moment aus.»Nun, ich meine … die Bombe und all das, das war schon geplant. Es war nicht meine Idee«, fügte sie hastig hinzu.»Sverlowsk kam auf den Gedanken. Er meinte, das wäre genau der Köder, nach dem ein Mann wie du schnappen würde.«
Indiana blickte sie finster an, beschloß aber im stillen, seine vielleicht etwas vorschnell gefaßte Meinung über Graf Dimitri Sverlowsk bei Gelegenheit noch einmal zu überdenken.
«Was nicht geplant war, war, daß sich in dem Paket wirklich eine Bombe befand«, fuhr Tamara fort.»Es sollte eine Attrappe sein. Ein bißchen Knetmasse, mehr nicht.«
«Knetmasse?«ächzte Indiana.»Soll das heißen, daß … du nicht gewußt hast, daß in dem Paket eine richtige Bombe war? Die ganze Zeit, während du daran herumgefummelt hast?«
Tamara deutete ein schüchternes Kopf schütteln an.
«Aber du … du weißt, wie man so etwas macht?«fuhr Indiana unsicher fort.»Ich meine, du … du verstehst etwas von … von Bomben?«Sein Gaumen fühlte sich plötzlich trocken und rauh an. Er hatte das ebenso ungute wie todsichere Gefühl, die Antwort auf diese Frage zu kennen.
«Um … um ganz ehrlich zu sein — nein«, gestand Tamara.»Ich habe eigentlich nur ein bißchen daran herumgezupft und — gezerrt.«
«Herumgezupft?«keuchte Indiana.»An einem Pfund Dynamit?«