Aber es blieben immer noch zwei übrig.
Und endlich lief auch Tamara los. Aber die Angst schien sie blind gemacht zu haben. Statt ins Dunkel hinein, wo sie vielleicht sicher gewesen wäre, rannte sie direkt auf den dritten Angreifer zu!
Indiana blieb nicht einmal Zeit, ihr eine weitere Warnung zuzurufen, denn in diesem Moment war der vierte Mann heran, und er hatte plötzlich alle Hände voll zu tun.
Hätte der Knabe ihn mit ein bißchen mehr Überlegung angegriffen, hätte er vermutlich keine Chance gehabt. Er war einen guten Kopf größer als Indiana und mußte mindestens dreißig Pfund mehr wiegen — aber er verließ sich wie viele wirklich starke Männer völlig auf seine überlegene Kraft. Indiana tauchte unter seiner Faust hindurch, packte den Arm mit beiden Händen, drehte sich halb um seine Achse und zerrte gleichzeitig mit aller Kraft.
Seine Rechnung ging nicht ganz auf. Statt im hohen Bogen über seinen Kopf hinwegzusegeln und sich an der nächsten Laterne den Schädel einzuschlagen, kam der Bursche nur ins Stolpern und fiel auf alle Viere. Indiana verschränkte die Hände und schmetterte sie dem Burschen mit aller Kraft in den Nacken.
Der Kerl grunzte, wankte und fiel stocksteif aufs Gesicht.
Aber das verschaffte Indiana nicht einmal eine Atempause.
Der erste, den er niedergestreckt hatte, war wieder auf die Füße gekommen und stürmte mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten auf ihn los, und auch hinter sich hörte Indiana wieder Schritte. Offensichtlich war sein Peitschenhieb gerade fest genug gewesen, den Burschen richtig wütend zu machen, mehr nicht.
Indiana fuhr herum, sah, daß der andere schon viel näher war, als er befürchtet hatte, und überschlug blitzschnell seine Chancen, es mit beiden Kerlen gleichzeitig aufzunehmen; drei, wenn er den mitrechnete, der im Moment Haschen mit Tamara spielte. Aber er hatte keine Wahl. Wäre er allein gewesen, hätte er zu fliehen versucht, aber wenn er das tat, dann war Tamara so gut wie tot. Die Kerle waren hinter ihr her, nicht hinter ihm!
Er empfing den Kerl mit hochgerissenen Armen, tauchte unter einem blitzschnell nachgesetzten Fausthieb hindurch und brachte seinerseits eine gezielte Gerade auf das Kinn des Burschen an. Ein pulsierender Schmerz schoß durch Indianas Faust bis in die Schulter hinauf, aber den Angreifer schien der Schlag nicht besonders zu beeindrucken. Er wankte einen Schritt zurück, schüttelte einmal benommen den Kopf und stürmte sofort wieder heran.
Indiana duckte sich unter einem wahren Hagel ungeschlachter, aber wirkungsvoller Hiebe. Er rechnete jeden Moment damit, auch von hinten gepackt oder gleich niedergeschlagen zu werden, aber erstaunlicherweise geschah das nicht. Statt dessen hörte er Tamara schreien; hohe, spitze, abgehackte Schreie, die ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließen. Offenbar verließen sich die beiden Kerle voll und ganz darauf, daß ihr Kamerad allein mit Indiana fertig wurde, und waren zu zweit über Tamara hergefallen.
Und möglicherweise hatten sie damit nicht ganz unrecht. Indiana war eindeutig schneller als sein Gegner, was dazu führte, daß er selbst kaum getroffen wurde, umgekehrt aber eine ganze Serie harter, gezielter Hiebe anzubringen vermochte. Aber der Bursche mußte ein Kinn aus Stahl und einen Magen aus Beton haben. Er schien Indianas Hiebe gar nicht zu spüren, sondern taumelte manchmal nur unter der puren Wucht der Faustschläge zurück; allerdings nur, um sich sofort wieder auf ihn zu stürzen. Andererseits spürte Indiana, wie seine Kräfte allmählich nachzulassen begannen.
Schließlich kam es, wie es kommen mußte: Indiana brachte einen gezielten Faustschlag auf der Nase des Kerls an, aber der Bursche steckte den Hieb einfach weg und stürmte mit weit ausgebreiteten Armen auf Indiana los, der plötzlich von den Füßen gerissen und herumgewirbelt wurde, während sich die Arme des Kerls mit unbarmherziger Kraft um seinen Brustkorb schlossen. Seine Rippen knackten. Er bekam keine Luft mehr.
Er hörte Tamara immer noch diese hohen, spitzen Schreie ausstoßen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er sie und die beiden anderen Kerle, verzerrte Schatten, die einen wilden Tanz aufzuführen schienen. Großer Gott, was taten sie ihr an!
Indiana bäumte sich auf, schlug dem Burschen beide Fäuste ins Gesicht und krümmte sich vor Schmerz, als dieser daraufhin den Druck seiner Arme noch verstärkte. Er hatte das Gefühl, sein Rückgrat würde brechen, aber er hatte nicht einmal mehr Luft zum Schreien. Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen.
Mit dem letzten bißchen Kraft, das er noch in sich fand, riß er das Knie in die Höhe und rammte es dem Kerl in die Rippen.
Der entsetzliche Druck auf seinen Brustkorb lockerte sich um eine Winzigkeit.
Indiana stieß noch drei-, viermal hintereinander zu, und gerade als er spürte, daß er einfach nicht mehr die Kraft für einen weiteren Stoß haben würde, ließ der Angreifer ihn los, taumelte zurück und krümmte sich, beide Hände auf die Rippen gepreßt, die Indianas Knie bearbeitet hatte.
Indiana fiel, blieb einen Moment benommen liegen und versuchte dann, wieder auf die Füße zu kommen. Vergeblich.
Seine Arme spielten nicht mehr mit, als er sich hochstemmen wollte. Sein Gegner indes stand noch immer da; breitbeinig, mit stierem Blick und weit nach vorn gebeugt. Aber er tat ihm nicht den Gefallen, endlich umzufallen. Der Kerl hatte anscheinend nicht nur den Intelligenzquotienten, sondern auch die Konstitution eines Ochsen.
Endlich gelang es ihm, sich wankend auf die Füße zu erheben. Tamaras Schreie hatten aufgehört, aber Indiana wagte es nicht, einen Blick hinter sich zu werfen. Wahrscheinlich war es vorbei. Er empfand ein nur vages Gefühl von Furcht und einen tiefen Zorn auf das Schicksal, daß sein Leben so enden sollte. Er hatte gewußt, daß er weder im Bett noch an Altersschwäche sterben würde- aber dieses Ende, das war einfach nicht gerecht.
Seine Arme waren wie Blei, als er die Fäuste hob und auf den Mongolen zuwankte. Der Kerl hob ebenfalls seine geballten Riesenpranken — und kippte stocksteif nach vorn. Indiana konnte sich gerade noch mit einem Satz in Sicherheit bringen, um nicht unter ihm begraben zu werden.
Die nächsten zehn Sekunden verbrachte er damit, verdutzt auf die schlanke Gestalt zu starren, die hinter dem Mongolen aufgetaucht war.
«Ta … ta … mara!«stammelte er. Er wollte noch mehr sagen, brachte aber kein Wort hervor, sondern wandte statt dessen mit einem Ruck den Kopf und starrte hinter sich.
Die beiden Kerle, die Tamara angegriffen hatten, lagen nebeneinander. Der eine sah aus, als hätte er versucht, mit Kinn und Nase das Straßenpflaster zu polieren. Er stöhnte leise. Der andere rührte sich überhaupt nicht mehr. Sein Gesicht war relativ unbeschädigt, aber so, wie sein linker Arm dalag, mußte er mindestens ein zusätzliches Gelenk darin haben.
Noch immer vollkommen fassungslos wandte sich Indiana wieder um und starrte Tamara an.
Tamara ihrerseits starrte eindeutig wütend ihre rechte Hand an.»Verdammt, sieh dir das an!«maulte sie.»Ich habe mir drei Fingernägel abgebrochen!«Wütend versetzte sie der reglosen Gestalt vor sich einen Tritt.
«Wie … wie hast du das gemacht?«flüsterte Indiana.
«Gemacht? Was?«fragte Tamara harmlos.»Vielleicht hat sie mein Parfüm umgehauen. Es ist ziemlich stark, weißt du?«
Indiana riß die Augen auf.»Du — «
Tamara unterbrach ihn mit einer Geste.»Laß uns von hier verschwinden, ehe noch mehr von diesen Kerlen auftauchen. Ich weiß nicht, ob ich dich jedesmal beschützen kann.«
Den letzten Satz ignorierte Indiana vorsichtshalber.»Du meinst, sie sind nicht allein?«
Tamara lächelte.»Haben Sie schon einmal etwas von Dschingis Khans Horden gehört, Dr. Jones?«
Nach dem, was Indiana gerade erlebt hatte, zweifelte er eher daran, ob Tamara wirklich Grund hatte, sich vor einer Kompanie Hunnenreiter zu fürchten. Aber das sprach er sicherheitshalber nicht aus. Wortlos ging er die Straße hinab, hob seine Peitsche auf und befestigte sie wieder an seinem Gürtel, nachdem er sie zusammengerollt hatte.