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Als er zu Tamara zurückkam, hatte sie eine winzige Feile aus der Tasche gezogen und war dabei, ihre abgebrochenen Fingernägel zu bearbeiten. Indiana nahm auch das kommentarlos hin, und er geduldete sich sogar gute zehn Sekunden, bis Tamara die Feile wieder wegsteckte und ihn auffordernd ansah.

«Also dann — wir wollten zum Bahnhof, glaube ich.«

Indiana schüttelte den Kopf. Mittlerweile hielt er das für keine gute Idee mehr.»Wahrscheinlich warten sie dort auch auf uns«, sagte er.»Ich habe eine andere Idee. Sicherer, wenn auch ein bißchen unbequemer. «Er deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Kurz bevor sie in die Seitenstraße eingebogen waren, hatte er eine Telefonzelle ein Stück weit die Hauptstraße hinab gesehen.»Ich muß nur rasch einen Anruf erledigen.«

Ohne sich weiter um die vier Bewußtlosen zu kümmern, gingen sie los. Indiana war ein wenig erstaunt. Er hatte zumindest damit gerechnet, daß Tamara die Männer nach Papieren oder irgend etwas anderem durchsuchen würde, was auf ihre Herkunft schließen ließ. Aber entweder interessierte sie das nicht — oder sie wußte mehr über diese Männer, als sie zugeben wollte.

Sie erreichten unbehelligt den öffentlichen Fernsprecher. Es dauerte lange, bis sich am anderen Ende der Leitung jemand meldete.

«Keine Zeit für Erklärungen, Paul«, sagte Indiana rasch, noch bevor sein Gesprächspartner Zeit fand, darüber nachzudenken, wie spät es war.»Indy hier. Ich brauche deine Hilfe. — Ja, sofort. Ist die ›Flying Fish‹ startklar? — Okay, dann in einer halben Stunde am Hafen. — Und, Paul, bitte laß Nancy zu Hause, ja? Du weißt, ich hasse dieses Biest.«

Er legte auf und verließ die Telefonzelle. Tamara sah ihn fragend an, aber Indiana blickte sich zuerst einmal lange und sehr aufmerksam in alle Richtungen um, ehe er sich zu einer knappen Erklärung durchrang.

«Paul Webber ist der einzige, der uns ohne viel Aufsehen von hier fortbringen kann. Sein Wasserflugzeug liegt an Pier 13. Du bist doch nicht abergläubisch?«

«Solange diese Nancy nicht seine schwarze Katze ist …«

«Seine Schlange«, korrigierte Indiana und zog eine Grimasse.

«Was?«Tamara riß die Augen auf.

«Seine Lieblingsschlange«, bestätigte Indiana seufzend, und mehr an sich selbst als zu Tamara gewandt fügte er hinzu:»Gott, wie ich diese Viecher hasse!«

San Francisco. Am nächsten Morgen

Es gab tatsächlich kaum etwas auf der Welt, was Indiana Jones so sehr haßte wie Schlangen, obwohl ihre Größe oder Gefährlichkeit eine eher untergeordnete Rolle spielten. Es war die gleiche, irrationale Art von Furcht, die andere dazu brachte, beim Anblick einer Spinne hysterisch loszuschreien oder dem einer Maus auf den nächsten Tisch zu flüchten. Er konnte einfach nichts dagegen tun.

Um so entsetzter war er gewesen, als er feststellte, daß Paul Nancy natürlich nicht zu Hause gelassen hatte; allerdings nicht sonderlich überrascht. Paul Webber liebte Schlangen ebensosehr wie Indiana sie verabscheute. Er ging praktisch keinen Schritt ohne eines dieser Tiere aus dem Haus. Wenn er nicht gleich mehrere mitnahm.

Als sie nach einer gut dreiviertelstündigen Odyssee quer durch die Stadt endlich am Hafen ankamen und Indiana die vertrauten Umrisse der» Flying Fish «am Ende des Piers entdeckte, hielt seine Erleichterung gerade solange an, bis er feststellte, daß sich außer Tamara, ihm selbst und Paul noch ein vierter Passagier an Bord aufhielt; eben Nancy. Alle Vorhaltungen, alles Bitten und Flehen hatten nichts genutzt. Paul hatte entschieden darauf bestanden, sein schuppiges Kuscheltier mitzunehmen; und Indiana im übrigen beschieden, sich nicht so zimperlich anzustellen — schließlich sei Nancy nicht einmal giftig.

Tamara hatte sich auch nicht gerade als Verbündete erwiesen. Im Gegenteil. Die junge Russin hatte sich schon nach wenigen Augenblicken mit Nancy angefreundet, und diese ihrerseits strafte den weitverbreiteten Irrtum Lügen, daß Reptilien dumm und zu keinerlei Gefühlen fähig seien. Sie verbrachte fast den gesamten Flug nach San Francisco zusammengerollt auf Tamaras Schoß und ließ sich genüßlich Kopf und Rücken kraulen, wobei sie Indiana von Zeit zu Zeit einen ebenso verschlagenen wie gehässigen Blick zuwarf.

Irgendwie überstand er den Flug, auch wenn er sicher war, dafür mit wochenlangen Alpträumen bezahlen zu müssen. Mit dem ersten Licht des Tages wasserte die ›Flying Fish‹ im Hafen von San Francisco, und Indiana und Tamara stiegen aus. In Anbetracht des unliebsamen Reisebegleiters fiel Indianas Abschied von Paul etwas frostig aus, aber Tamara machte das mehr als wett, indem sie ihm zum Abschied einen Kuß gab und ihm überschwenglich versicherte, wie reizend Nancy doch sei.

Paul strahlte wie ein Honigkuchenpferd, und Tamara verzichtete überraschenderweise darauf, auch der Schlange einen Abschiedskuß zu geben.

Sie suchten sich ein Taxi und ließen sich von dem Fahrer in ein nahe gelegenes Hotel bringen, wo sie sich erst einmal bis in den Nachmittag hinein ausschliefen.

Als Tamara erwachte, war sie allein. Eine Notiz sagte ihr, daß Indiana in der Hotelbar auf sie wartete. Sie duschte ausgiebig, zog sich an und fand ihn tatsächlich an einem der kleinen Tische über einer Tasse Kaffee und einem über und über bekritzelten Zettel brütend dasitzen. Auf dem Stuhl neben ihm befand sich eine gewaltige Papiertüte. Er sah müde aus.

Er war es auch. Und sehr besorgt. Anders als Tamara hatte er nur wenige Stunden geschlafen (und natürlich hatte er Alpträume gehabt, in denen Schlangen eine Rolle spielten), ehe er das Hotel verlassen hatte, um ein paar Besorgungen zu erledigen. Später hatte er ein Telefongespräch geführt. Das, was er dabei erfahren hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Seine Gedanken mußten ziemlich deutlich auf seinem Gesicht abzulesen sein, und Tamara hielt sich nicht lange mit einer Begrüßung auf, sondern sah ihn einige Augenblicke lang durchdringend an, ehe sie sich setzte und mit schräggehaltenem Kopf fragte:»Was ist los?«

Indiana zuckte mit den Schultern und lächelte wenig überzeugend.»Nichts. Ich bin müde. «Dann begriff er, wie wenig überzeugend diese Worte klangen, und setzte neu an.»Ich war in der Stadt. Ich habe uns ein wenig Geld besorgt und mich am Hafen nach einem Schiff erkundigt, das nach Osten fährt.«

«Hast du eines gefunden?«

«Nun … ja«, sagte Indiana ausweichend.»Dann habe ich noch mit Marcus telefoniert. In Washington ist die Hölle los.«

Er sah Tamara auf eine schwer zu deutende Weise an.»Kannst du eine schlechte Nachricht vertragen?«

Tamara sah ihn aufmerksam an. Sie wirkte sehr ernst.»Sicher.«

«Sverlowsk …«begann Indiana.»Dein Onkel. Es gab … ein zweites Attentat.«

«Ist er tot?«fragte Tamara erschrocken.

Indiana verneinte.»Schwer verletzt. Die Ärzte wissen noch nicht, ob er durchkommt. Außer ihm gab es vier weitere Opfer.

Sie sind alle tot. «Er schob Tamara den Zettel zu, der vor ihm auf dem Tisch lag.»Sagen dir diese Namen etwas?«

Tamara überflog das Blatt hastig und wurde noch ein wenig bleicher.»Ja«, sagte sie leise.»Das sind … alle, die wußten, weshalb ich wirklich hier bin.«

«Ganz sicher? Es fehlt keiner?«

«Keiner«, bestätigte Tamara.

Indiana machte ein Gesicht, als hätte er mit genau dieser Antwort gerechnet. Er seufzte.»Du weißt, was das bedeutet? Wer immer hinter diesen Attentaten steckt, schreckt nicht einmal davor zurück, seine eigenen Leute umzubringen. «Er deutete auf den Zettel.»Der Name des Verräters muß mit daraufstehen. Aber ihr könnt euch die Mühe sparen, nach ihm zu suchen.«