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Diesmal war es kein Kampfschrei, sondern ein Laut, in dem sich Schmerz und maßloses Entsetzen mischten.

Indiana machte sich nicht die Mühe, eine Tür zu suchen. Er sprang direkt durch die Wand.

Was er sah, als er in einem Hagel von Papierfetzen und dünnen Holzsplittern in Tamaras Schlafzimmer stolperte, ließ ihn vor Schmerz und Wut aufschreien.

Tamara mußte sich tapfer gewehrt haben. Vier oder fünf reglose Gestalten lagen auf dem Boden, aber die anderen hatten sie geschafft. Zwei von ihnen hatten Tamara gepackt, die bewußtlos — oder tot?! — sein mußte, und schleppten sie aus dem Zimmer. Die beiden anderen gingen sofort auf Indiana los.

Die Angst um Tamara verlieh ihm schier übermenschliche Kräfte. Indiana schleuderte den ersten Angreifer einfach beiseite, warf sich mit hoch erhobenen Fäusten auf den zweiten und ließ pfeifend die Luft aus, als dieser ihm etwas Hartes, Stumpfes in den Leib rammte.

Seine Kräfte versagten endgültig. Seine Knie wurden weich.

Er brach zusammen und spürte, daß er dem Griff der Bewußtlosigkeit diesmal nicht mehr widerstehen konnte.

Aber den Bruchteil einer Sekunde, bevor ihm endgültig die Sinne schwanden, sah er etwas, von dem er nicht sicher war, ob es sich nicht schon um ein Bild aus einem Alptraum handelte, der auf der anderen Seite der Ohnmacht auf ihn wartete: Ein blutbesudelter, brüllender Dämon sprang durch die vollends zerberstende Papierwand herein, in jeder Hand ein blitzendes Schwert schwingend.

Bevor die beiden Klingen den Mann, der ihn niedergeschlagen hatte, enthaupteten, verlor Indiana endgültig die Besinnung.

Er spürte, daß er nicht sonderlich lange bewußtlos gewesen sein konnte. Und wenn das letzte, was er gesehen hatte, tatsächlich der Anfang eines Alptraumes gewesen war, so schien dieser Alp auch jetzt noch anzuhalten, denn der Dämon war noch immer da: Er hockte neben ihm und starrte aus Augen wie glühenden Kohlen auf Indiana herab.

Dann erwachte er endgültig, und aus dem Dämon wurde ein japanischer Samurai-Krieger, der mit untergeschlagenen Beinen neben ihm saß, und aus den lodernden Dämonenaugen ein Paar ganz normaler Augen, in denen sich der rote Schein eines Feuers widerspiegelte.

Und die aus dem Gesicht Toshiro Motos auf ihn herabsahen.

Jedenfalls nahm Indiana an, daß es sich um Mr. Moto handelte.

Ganz sicher war er nicht.

Mit dem leicht vertrottelt wirkenden Hobby-Archäologen war eine schier unglaubliche Veränderung vor sich gegangen.

Den maßgeschneiderten Anzug hatte er mit einem weit geschnittenen, über und über mit kunstvollen Stickereien verzierten Kimono vertauscht. Sein vorher streng zurückgekämmtes Haar hing jetzt offen bis auf die Schultern herab, nur von einem schmalen weißen Stirnband zusammengehalten. Über seinen Knien lagen zwei unterschiedlich lange Schwerter.

Seine Hände, der Kimono und sein Gesicht waren mit eingetrocknetem Blut besudelt, das nicht sein eigenes war. Moto war nicht einfach nur gekleidet wie ein Samurai, begriff Indiana plötzlich. Die leicht dümmliche Angebervisage, die immer zu einem anzüglichen Grinsen bereit schien, hatte sich in das Antlitz eines Kriegers verwandelt.

Indiana setzte sich auf.»Tamara«, murmelte er.»Was ist mit Tamara?«

«Sie haben sie mitgenommen«, antwortete Moto. Selbst seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang jetzt hart, befehlsgewohnt, um mehrere Nuancen tiefer und zugleich auch … aristokratischer?» Aber keine Sorge. Sie werden ihr nichts tun. Noch nicht.«

Indiana sah ihn zweifelnd an, aber in seinem Kopf überschlugen sich zu viele Gefühle und Ängste, als daß er in der Lage gewesen wäre, wirklich über Motos Antwort nachzudenken. Mit klopfendem Herzen richtete er sich auf, zählte allein hier sechs Tote und trat unsicher durch die zertrümmerte Trennwand auf den Gang hinaus.

Indiana Jones war ganz gewiß nicht zart besaitet. Er hatte im Laufe seines Lebens Dinge gesehen, deren bloßer Anblick anderen im wahrsten Sinne des Wortes graue Haare beschert hätte.

Aber was er jetzt erblickte, das ließ ihn vor Entsetzen aufstöhnen.

Der Flur glich einem Schlachthaus.

Er zählte drei, fünf, sieben … neun Leichen, vielleicht auch nur acht oder doch zehn, ganz sicher war er da nicht, denn einige waren regelrecht zerstückelt; hier Inventur zu machen, würde eine ziemliche Puzzle-Arbeit bedeuten.

Indiana schluckte ein paarmal, ohne dadurch den bitteren Gallegeschmack auf seiner Zunge loszuwerden. Dann wandte er sich zitternd um und ging zu Moto zurück. Der Samurai saß in unveränderter Position auf dem Boden und sah ihn mit unbewegter Miene an. Er mußte nicht fragen, um zu wissen, daß Moto dieses Gemetzel allein angerichtet hatte, nur mit seinen Händen und Füßen und den beiden Schwertern, die er über den Knien liegen hatte.

«Warum … haben Sie das getan?«murmelte er. Es fiel ihm schwer zu reden. Sein Mund war trocken, und seine Zunge schien sich zu weigern, seinen Befehlen zu gehorchen.

«Wäre es Ihnen lieber, selbst dort zu liegen, Dr. Jones?«fragte Moto mit unbewegtem Gesicht.

«Sie hätten nicht alle umbringen müssen«, murmelte Indiana.»Sie hätten …«

«Ich verstehe Ihre Erregung, Dr. Jones«, unterbrach ihn Moto.»Aber sie ist unbegründet. Diese Männer waren gedungene Mörder, die es nicht besser verdient haben. Abschaum.«

Für einen Moment haßte Indiana ihn beinahe für diese Worte. Aber er war immer noch viel zu durcheinander und erschrocken, um irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Hilflos sagte er:»Wir hätten sie wenigstens verhören können, um herauszufinden, wohin sie Tamara gebracht haben.«

«Das ist nicht nötig«, antwortete Moto ruhig.»Ich weiß es.«

«Sie …«Indianas Unterkiefer klappte verblüfft herunter.

«Sie … wissen, wer diese …«Plötzlich verdüsterte sich sein Gesicht. Zum ersten Mal, seit Indiana das Bewußtsein wiedererlangt hatte, hatte er ein eindeutiges, klares Gefühclass="underline" Ein unbändiger Zorn auf Moto stieg in ihm hoch, daß er seinem Gegenüber am liebsten an die Kehle gegangen wäre.

«Sie wissen, wer diese Männer sind?«wiederholte er leise und mit mühsam beherrschter Stimme.»Dann wußten Sie wahrscheinlich auch, was passieren würde, wie?«

«Reden Sie keinen Unsinn, Dr. Jones«, antwortete Moto ohne jede Spur von Mitgefühl.

Und es war genau diese Kälte, die Indiana endgültig zur Explosion brachte. Mit einer blitzartigen Bewegung packte er Moto an der Brust seines kimonoähnlichen Kleidungsstückes und riß ihn auf die Füße. Moto wehrte sich nicht. Er zuckte nicht einmal mit der berühmten Wimper; auch nicht, als Indiana ihn wie wild zu schütteln begann und ihn anschrie:»Lügen Sie mich nicht auch noch an, Sie Dreckskerl! Sie haben genau gewußt, was hier passieren wird! Wahrscheinlich haben Sie Tamara und mich nur als Lockvögel benutzt!«

Moto antwortete nicht darauf. Sein Gesicht blieb wie Stein.

Er machte auch keine Anstalten, sich irgendwie zu wehren, als Indiana ihn immer heftiger schüttelte. Aber plötzlich erschien eine so kalte, unausgesprochene Drohung in seinem Blick, daß Indiana ihn von selbst losließ.

«Ich führe Ihr Verhalten auf Ihre Erregung zurück, Dr. Jones«, sagte er. Beinahe im Plauderton fügte er hinzu:»Wäre das nicht so, wären Sie jetzt tot.«

Indiana glaubte ihm. Selten hatte er sich in einem Mann derartig getäuscht wie in Toshiro Moto. Und ebenso selten war er jemandem begegnet, dem ein Menschenleben so wenig galt wie diesem Samurai. Er schluckte ein paarmal, suchte sekundenlang vergeblich nach einer passenden Erwiderung und trat schließlich wortlos an Moto vorbei, um den Boden zwischen den Toten mit Blicken abzusuchen.

Moto ließ ihn eine Zeitlang gewähren, dann sagte er:»Wenn Sie nach Miss Jaglovas Aktenmappe suchen, verschwenden Sie Ihre Zeit, Dr. Jones. Ich fürchte, sie haben sie ebenso mitgenommen wie Ihre angebliche Ehegattin.«