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«Was um Gottes willen ist denn jetzt los?«fragte Indiana verwirrt.

Lobsang schwieg, und Tsangpo schien plötzlich etwas furchtbar Interessantes an seinen Zehenspitzen entdeckt zu haben, denn er starrte mit höchster Konzentration auf seine Füße herab.

«Ich glaube, Ihr neuer Freund hat tatsächlich eine Möglichkeit gefunden, sein Leben zu retten«, sagte Moto ruhig.

Indiana sah ihn fragend an, und Moto seufzte sehr tief.»Er hat Hondos besten Mann zum Zweikampf herausgefordert«, sagte er.

«Wie bitte?«murmelte Indiana fassungslos. Völlig ungläubig starrte er den kleinwüchsigen Tibeter an, der allenfalls die Statur eines kräftigen Kindes hatte. Seine Hände mit den schlanken, sehnigen Fingern waren ja möglicherweise in der Lage, eine Gebetsmühle zu drehen, aber kaum, ein Schwert zu halten.»Ist er lebensmüde?«fragte er.

Lobsang lächelte noch freundlicher, und Moto antwortete an seiner Stelle:»Sie mißverstehen die Lage, Dr. Jones. Nicht er oder Tsangpo werden gegen Hondos Krieger antreten.«

Er sprach nicht weiter, aber plötzlich hatte Indiana das sehr, sehr ungute Gefühl, zu wissen, was er sagen wollte.

Und er hatte recht damit.

«Sie werden gegen ihn antreten, Dr. Jones«, sagte Moto ruhig.

«Heute abend, bei Sonnenuntergang.«

Indiana verbrachte die nächste halbe Stunde damit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ihm Moto vor vier Tagen über den Orden erzählt hatte, dessen Mitglied er vorgeblich war; genauer gesagt, ob sein Gelübde nur das Versprechen beinhaltete, nicht zu reden oder auch das, niemandem den Hals umzudrehen.

Moto hatte noch eine ganze Weile mit Lobsang geredet; und danach mit Hondo. Aber Indianas Hoffnung, der Samurai könnte die in seinem Namen ausgesprochene Herausforderung irgendwie zurückgenommen haben, erfüllte sich natürlich nicht. Er hätte sie sich ohnehin sparen können. Die Vorstellung, eine einmal ausgesprochene Herausforderung wieder zurückzunehmen, war selbst für einen Europäer nicht leicht; für einen Japaner, der nach strengsten Ehrenregeln lebte, war sie einfach undenkbar.

Unter dem Vorwand, sich auf den Zweikampf vorbereiten zu müssen, hatte sich Indiana mit den beiden Tibetern in einen kleinen Raum im rückwärtigen Teil des Gebäudes zurückgezogen, und sie waren kaum allein, als er auch schon begann, Lobsang mit einer wahren Flut von Beschimpfungen und Vorwürfen zu überschütten, auf die dieser so reagierte, wie tibetische Mönche auf so ziemlich alles reagierten, was ihnen widerfuhr: mit einem milden, verständnisvollen Lächeln, das Indiana schier zum Wahnsinn trieb. Im übrigen beruhigte er Indiana damit, daß der Ausgang des Kampfes vom Schicksal vorausbestimmt sei und es keinen Grund gäbe, sich zu ängstigen.

Indiana verdrehte beinahe verzweifelt die Augen.»Na, wenn das so ist, ist ja alles in bester Ordnung«, knurrte er.»Alles ist vorausbestimmt, wie? Dann brauchen wir uns ja um nichts mehr Sorgen zu machen und können genausogut die Hände in den Schoß legen und abwarten, was passiert!«

«Wenn es das Schicksal so vorbestimmt, so wirst du auch das tun«, sagte Lobsang.

«Ja«, fauchte Indiana.»Und vielleicht bricht sich Hondos Mann auf dem Weg zum Duellplatz den Hals! Wofür zum Teufel hältst du mich? Für einen verdammten Ninja? Ich weiß nicht einmal genau, an welchem Ende man ein Schwert anfassen muß!«Vor seinem inneren Auge erschien noch einmal der schreckliche Anblick des Korridors in Motos Haus, der voller zerstückelter Leichen gewesen war. Wenn der Mann, den Hondo gegen ihn aufstellte, auch nur halb so gut war wie Moto, dann sollte er vielleicht jetzt schon damit beginnen, Zahlen auf seine Gliedmaßen zu malen, damit das Sortieren später nicht so schwierig war …

«Ich verstehe deine Sorge«, sagte Lobsang sanft.»Doch die Lage ist nicht ganz so aussichtslos, wie du vielleicht meinst.

Als Herausforderer obliegt dir die Wahl der Waffen. Und Tsangpo und ich werden dir helfen. «Er warf einen raschen Blick zu seinem Begleiter, der an der Tür stand und zu meditieren schien. In Wirklichkeit lauschte er konzentriert, damit niemand sie überraschte. Es wäre einigermaßen peinlich gewesen, hätte man einen Bruder aus dem Orden der Stummen dabei überrascht, wie er wie ein Wasserfall redete.

«Helfen?«fragte Indiana verwirrt.»Wie wollt ihr mir helfen?«

«Es ist auch unser Leben, das auf dem Spiel steht«, sagte Lobsang lächelnd.»Und es ist nicht das Schwert, das den Kampf entscheidet, sondern die Hand, die es führt.«

«Wie tröstlich«, maulte Indiana.»Kannst du mir zufällig auch in zwei Stunden beibringen, wie ich mit einem ausgewachsenen Samurai fertig werde?«

«Ich kann es versuchen«, antwortete Lobsang.

Indiana blinzelte.»Wie?«

Lobsang lächelte wieder dieses nichtssagende, freundliche Lächeln, breitete die Arme aus und hob den Kopf in den Nacken.»Schlage mich«, verlangte er.

«Nichts, was ich lieber täte!«knurrte Indiana und schoß einen geraden Faustschlag auf Lobsangs Kinnspitze ab.

Jedenfalls versuchte er es.

Aber Lobsang war plötzlich nicht mehr da. Seine Faust schoß ins Leere, und Indiana hatte alle Hände voll zu tun, nicht von der Wucht seines eigenen Schlages von den Füßen gerissen zu werden.

Verwirrt blickte er den Tibeter an. Natürlich hatte er mit einem Trick gerechnet und Lobsang keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er hätte jeden Eid geschworen, daß Lobsang sich nicht bewegt hatte — und trotzdem stand er plötzlich gute zwei Meter von der Stelle entfernt, an der er gewesen war, als Indiana nach ihm geschlagen hatte.

Indiana holte zu einem gewaltigen Hieb aus — und trat dann warnungslos nach Lobsangs Beinen.

Diesmal gelang es ihm nicht mehr, seiner eigenen Kraft Herr zu werden. Er landete reichlich unsanft auf dem Hinterteil und starrte mit einer Mischung aus Erstaunen und Zorn zu dem Tibeter hoch. Lobsang lächelte — was auch sonst?

«Wie hast du das gemacht?«murrte Indiana, während er umständlich versuchte, auf die Füße zu kommen.

«Ich habe nichts gemacht«, antwortete Lobsang.»Die Kunst des lächelnden Kriegers besteht darin, die Kraft des Gegners gegen diesen selbst einzusetzen. «Er streckte Indiana die Hand entgegen, um ihm vollends aufzuhelfen. Indiana griff danach — und fand sich nach einem blitzartigen Salto auf dem Rücken liegend und nach Luft ringend am anderen Ende des Zimmers wieder. Zum Teufel, Lobsang hatte ihn kaum berührt!

Umständlich stand er auf, betastete seine schmerzenden Knochen und schüttelte hastig den Kopf, als Lobsang ihm hilfreich die Hand entgegenstreckte.

«Okay«, sagte er dann.»Zeigt mir, wie das funktioniert.«

Mit Einbruch der Dämmerung erschien Moto in Begleitung zweier weiterer Japaner in seiner Unterkunft, um ihn abzuholen. Der Samurai trug jetzt eine schneeweiße, mit goldenen Tressen und Borden verzierte Uniform, auf der ein ganzes Dutzend Orden glänzte und klimperte. Auch seine beiden Begleiter trugen Paradeuniformen.

Moto sah ihn einen Moment lang durchdringend an, dann wandte er sich an Lobsang. Indiana verstand die Antwort des Tibeters ebensowenig wie Motos Frage, aber was Lobsang sagte, schien Moto alles andere als zu erfreuen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, aber der Ausdruck von Sorge in seinem Blick vertiefte sich noch.

Wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht, dachte Indiana. Während der letzten beiden Stunden hatte sich Lobsang alle Mühe gegeben, ihn in die Kunst des» lächelnden Kriegers «einzuweisen — was im Klartext nichts anderes hieß, als daß er Indiana so oft durch das Zimmer geworfen, ins Leere hatte laufen und nach einem Phantom schlagen lassen, daß Indy nicht mehr ganz sicher war, ob sich alle seine Körperteile noch an dem dafür vorgesehenen Platz befanden. Besonders viel gelernt hatte er dabei nicht.

Was er eigentlich auch nicht erwartet hatte. Es wäre naiv, sich im Ernst einzubilden, in zwei oder drei Stunden eine Kampfkunst erlernen zu können, zu deren Beherrschung andere ein ganzes Leben benötigten. Aber wenigstens waren die vergangenen Stunden nicht langweilig gewesen …