Im letzten Moment erst wich er ihr aus, machte hastig einen Schritt zur Seite — und riß abermals verblüfft die Augen auf.
King Kong war nicht der einzige, der sich plötzlich wie in einem mit viel zu langsamer Geschwindigkeit ablaufenden Hollywood-Film bewegte … Auch die Zuschauer, allen voran Hondo, dessen Gesicht vor Blutgier zu leuchten schien, waren in diesem unheimlichen Zeitablauf gefangen. Arme, die jubelnd hochgerissen wurden, bewegten sich im Schneckentempo, aufgerissene Münder waren zu grotesken Grimassen erstarrt, einer der Soldaten hatte seine Mütze hochgeworfen, die sich jetzt plötzlich träge wie ein nasses Blatt bewegte, das von einer Sturmböe davongeweht wurde…
Einen Moment lang fragte sich Indiana ganz ernsthaft, ob das schon das Ende war. Hatte ihn King Kongs Fausthieb vielleicht auf der Stelle umgebracht, und das war es, was auf der anderen Seite wartete?
Unsinn. Außerdem konnte Indiana der Versuchung einfach nicht widerstehen. Als Kong wie in Zeitlupe an ihm vorübertaumelte und sich auf seinem Gesicht ein absurder Ausdruck der Verblüffung auszubreiten begann, trat Indiana ihm kräftig in die Kniekehle. Ohne Erfolg zwar, aber mit einer gewaltigen inneren Befriedigung.
Das letzte» m «von Lobsangs Ommm verklang, und von einem Sekundenbruchteil auf den anderen war alles wie vorher.
Lärm und Geschrei schlugen wie eine Woge über Indiana zusammen, King Kong machte einen torkelnden Schritt nach vorn und knickte plötzlich mit dem linken Bein ein, als Indianas Tritt mit einiger Verzögerung trotzdem noch eine Wirkung tat, und kämpfte Augenblicke lang mit wild rudernden Armen vergebens um sein Gleichgewicht.
Die Jubelschreie und Hochrufe der Japaner verstummten abrupt, als der Riese der Länge nach vor ihre untergeschlagenen Beine fiel. Hondos Augen wurden groß. Motos auch. Lobsang lächelte.
Kong lächelte nicht. Ganz im Gegenteil — sein Gesicht war zu einer Grimasse aus Wut und Mordlust verzerrt, als er sich mit einer ungeheuer kraftvollen Bewegung hochstieß und schnell wie eine Schlange zu Indiana herumwirbelte. Lobsang und Tsangpo beugten sich vor, und wieder durchdrang ein summendes, lang anhaltendes» Ommm «die Wirklichkeit und dehnte sie wie Kaugummi.
Indiana trat gemächlich einen Schritt zur Seite und betrachtete mit fast wissenschaftlichem Interesse Kongs Körper, der plötzlich fast waagerecht in der Luft lag und auf ihn zuglitt — ungefähr so schnell wie eine arthritische Landschildkröte, die einen Berg zu ersteigen versuchte. Kongs Technik war perfekt, das mußte er zugeben. Der Bursche war nicht nur groß, sondern mußte auch ein Meister im Kung Fu oder Karate oder irgendeiner anderen asiatischen Schlagetot-Technik sein. Seine vorgestreckten Füße waren leicht einwärts geknickt, so daß sie ihr Ziel mit der harten äußeren Fußkante treffen konnten; wahrscheinlich heftig genug, um einen Eichenbalken zu zertrümmern. Er war nur ein bißchen langsam …
Indiana ergriff sein rechtes Bein, riß es zur Seite und trat zurück, während Lobsangs mmm … allmählich leiser wurde.
Sehr viel lauter war eine halbe Sekunde später Kongs Schrei, als er kopfüber im Dreck landete, gute zwei Meter von Indianas neuer Position entfernt.
Selbst ohne die Hilfe der beiden Tibeter hätte Indiana in diesem Moment wahrscheinlich Zeit genug gehabt, einen wirkungsvollen Treffer anzubringen, denn der Japaner blieb geschlagene drei Sekunden regungslos liegen. Fassungslosigkeit, Schrecken, Unglaube und Wut spiegelten sich in seinem Gesicht — aber auch noch etwas anderes, das so intensiv war, daß er Indiana beinahe leid tat.
Allerdings war dies nicht der einzige Grund, aus dem er darauf verzichtete, seinem Gegner nachzusetzen und ihn die Faust spüren zu lassen. Er hatte keinen Beweis dafür, aber er war sicher, daß die Kraft, die ihm plötzlich half, sich nicht zu einem Angriff mißbrauchen lassen würde.
Umständlich rappelte sich der Japaner wieder auf. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte so etwas wie Respekt über sein Gesicht — aber dann verdunkelte sich sein Antlitz, und er stürmte mit hoch erhobenen Fäusten heran.
Nach Lobsangs siebtem oder achtem Ommm hatte er kaum noch die Kraft, auf seinen eigenen Beinen zu stehen, und seine Hiebe hatten ebenfalls an Kraft und Schnelligkeit eingebüßt. Es war an der Zeit, dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten.
Lobsang schien das auch so zu sehen, denn er warf Indiana einen auffordernden Blick zu. Als Kong das nächste Mal in slow motion erstarrte, trat Indiana hinter ihn, packte seinen Arm und verdrehte ihn so, daß sich die Kraft des Riesen gegen sich selbst richtete. Ein häßliches Knirschen ertönte und gleich darauf der gellende Schrei des Japaners, der vor Indiana in die Knie brach.
Indiana ließ ihn los, trat einen Schritt vor und sah fragend zu Moto hinüber.
Das Gesicht des göttlichen Sohnes war zu einem Ausdruck völligen Entsetzens erstarrt, während sich auf Hondos Zügen ein zunehmender Ausdruck von Zorn und Haß ausbreitete, als er mit einem Ruck den Kopf wandte und Moto ansah.
Aber Hondo wäre kein japanischer Offizier gewesen, hätte er seine Fassung nicht binnen Sekundenbruchteilen wiedergefunden. Als er sich wieder zu Indiana herumdrehte, war sein Gesicht so ausdruckslos und beherrscht wie üblich.
Indiana hörte ein dumpfes Stöhnen und machte einen hastigen Schritt zur Seite, als King Kong sich mühsam zu bewegen begann; nur für den Fall, daß der Japaner sich zu einer Unbe-dachtsamkeit hinreißen ließ.
Seine Sorge war unbegründet. Der Japaner stand schwankend auf. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, während er die Hand auf die linke Schulter legte, die er sich freundlicherweise selbst ausgerenkt hatte. Aber in seinem Blick lag kein Haß, als er Indiana ansah, sondern beinahe so etwas wie Bewunderung; und ein Ausdruck tiefen, ehrlich empfundenen Respekts.
Auch Hondo und die anderen erhoben sich; alle mit Ausnahme Lobsangs und Tsangpos, die mit gefalteten Händen dasaßen und sich im Takt einer unhörbaren Melodie weiter vor- und zurückwiegten — vielleicht, vermutete Indiana, um notfalls sofort loszukommen. Der Gedanke an das, was geschehen war, jagte Indiana mit einiger Verspätung einen eisigen Schauer über den Rücken. Indiana Jones gehörte nicht zu den Menschen, die das Wort Magie von vornherein mit einem Lächeln abtaten. Dazu hatte er zuviel erlebt, was mit Logik allein nicht zu erklären war.
Aber das …
Er verscheuchte den Gedanken, als ihm klar wurde, daß Hondo sich mittlerweile zum dritten Mal mit den gleichen Worten an ihn wandte. Fragend sah er den Japaner an.
Moto übersetzte:»Major Hondo drückt Ihnen seine Hochachtung aus, Dr. Jones. Gleichzeitig versichert er Ihnen, daß es nicht in seiner Absicht gelegen hätte, in irgendeiner Form an Ihrer Ehre zu rühren, indem er Ihnen einen derartig unwürdigen Gegner zuwies. Er versichert, daß es nicht in seiner Absicht lag, einen derartigen Meister der Kriegskunst wie Sie zu beleidigen.«
Indiana sah Hondo an und lächelte, und der leicht verkniffene Ausdruck auf dem Gesicht des Japaners entspannte sich; allerdings nur ein wenig.
«Trotzdem ist Major Hondo natürlich bereit, für diese Schmach persönlich geradezustehen, sollten Sie Satisfaktion verlangen, Dr. Jones«, fuhr Moto fort.
Wieder lächelte Indiana Hondo an, und er gönnte sich den Spaß, den Offizier sekundenlang im eigenen Saft schmoren zu lassen, ehe er eine Kopfbewegung und eine eindeutige Geste machte. Hondo atmete deutlich erleichtert auf, richtete ein paar Worte an ihn, brach dann ab und wiederholte das ganze an Moto gewandt.
Wieder spielte der göttliche Sohn den Übersetzer:»Major Hondo«, sagte er,»dankt Ihnen für Ihren Großmut, Dr. Jones.
Er wird für den Rest seines Lebens in Ihrer Schuld stehen. Er bittet Sie jedoch, eine Frage stellen zu dürfen.«
Nur zu, dachte Indiana und nickte.