Hondo stellte keine Frage — das hatte er offensichtlich bereits getan —, denn Moto übersetzte seine Antwort sofort:»Ihre Art zu kämpfen hat ihn tief beeindruckt, Dr. Jones. Er möchte Ihr Schüler werden, soweit das Ihre Zeit zuläßt.«
Indiana hatte im Grunde überhaupt nichts dagegen, Hondo alles beizubringen, was er über fernöstliche Kampfkunst wußte — schließlich beschränkte sich sein Wissen auf die (amerikanische) Schreibweise von drei oder vier dieser Techniken. Aber natürlich konnte er das nicht sagen. So tat er das, was Moto und er für einen solchen Fall vorgesehen hatten: Er machte eine Reihe komplizierter, völlig sinnloser Handbewegungen, und Moto tat so, als hätte er ihre Bedeutung begriffen und gab Hondo eine Antwort auf japanisch. Der Offizier wirkte enttäuscht, lächelte aber trotzdem und verbeugte sich so tief, daß Indy beinahe damit rechnete, seine Stirn würde seine auf Hochglanz polierten Stiefelspitzen berühren.»Ich habe ihm erklärt, daß dies zu Ihrem großen Bedauern nicht möglich ist, Dr. Jones«, sagte Moto.»Ihr Eid verpflichtet Sie, das Geheimnis Ihrer Kriegskunst nur an Mitglieder Ihres eigenen Ordens weiterzugeben. «Etwas leiser und mit einem Blick, der kommendes Unheil versprach, fügte er hinzu:»Davon abgesehen — ich würde mich auch ganz gern mit Ihnen darüber unterhalten.«
Indiana grinste ihn an. Manchmal, dachte er, war es vielleicht ganz praktisch, nicht reden zu dürfen.
Indiana hatte weit mehr gewonnen als ein Duell. Von der Mischung aus Verachtung und Feindseligkeit war nichts, aber auch gar nichts mehr geblieben, als sie den Kampfplatz verließen und wieder ins Haus und das Zimmer zurückgingen, in dem Lobsangs ›Unterricht‹ stattgefunden hatte. Hatte er auf dem Weg hierher eine Art Spießrutenlauf hinter sich gebracht, so behandelten ihn die Japaner jetzt mit einer Ehrerbietung, die schon fast peinlich war. Moto mußte all seine Autorität und Überredungskunst aufbieten, damit sie allein gelassen wurden.
Als er sich jedoch dann zu Indiana umwandte, war in seiner Stimme sehr wenig Ehrerbietung, dafür jedoch ein Zorn, den er kaum noch zu unterdrücken vermochte, und den Indiana auch in seinen Augen las. Motos Wut war nichts, was er auf die leichte Schulter nehmen konnte. Er mußte auf der Hut sein.
«Finden Sie nicht, daß Sie mir ein paar Erklärungen schuldig sind, Dr. Jones?«schnauzte er.
«Selbst wenn das so wäre«, antwortete Indiana amüsiert, aber auch sehr vorsichtig,»wäre ich nicht in der Lage, welche abzugeben. «Er fing einen raschen, beinahe warnenden Blick Lobsangs auf, verstand, was der Tibeter ihm sagen wollte, und improvisierte den Rest seiner Antwort.»Ich habe ein Schweigegelübde abgelegt, Mr. Moto.«
Motos Hand fiel auf das Schwert herab und schloß sich so fest darum, daß Indiana seine Knöchel knirschen hören konnte.»Treiben Sie es nicht zu weit, Jones!«sagte er gefährlich leise.»Auch meine Geduld hat Grenzen.«
«Worüber regen Sie sich auf?«fragte Indiana ruhig.»Was habe ich getan? Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn mich dieser King-Kong-Verschnitt umgebracht hätte?«
Moto antwortete nicht darauf — aber Indiana las in seinen Augen, daß ihm diese Vorstellung nicht einmal so unsympathisch zu sein schien. Vielleicht sollte er sein Verhältnis zu Moto noch einmal überdenken. Sie hatten eine Art Waffenstillstand geschlossen; aber keine Freundschaft.
«Ich dachte, ich hätte Ihr Ehrenwort, daß wir offen zueinander sind«, sagte Moto.
«War ich das denn nicht?«erwiderte Indiana.
Moto machte eine zornige Handbewegung, bei der er wenigstens die Hand vom Schwertgriff löste.»Sie haben mir verschwiegen, daß Sie die Kunst des lächelnden Kriegers beherrschen«, sagte er.
«Ich wußte nicht, daß es so wichtig für Sie ist«, antwortete er.»Außerdem: Ich denke, jetzt sind wir quitt, göttlicher Sohn.«
Moto starrte ihn an. Seine Lippen wurden zu dünnen, blutleeren Strichen, und für eine Sekunde war Indiana felsenfest davon überzeugt, daß er nun doch zu weit gegangen war. Aber dann entspannte sich Moto wieder — und zwang sich sogar zu etwas, das er selbst wahrscheinlich für ein Lächeln hielt.»Touché!«sagte er.»So sagt man doch bei Ihnen, nicht wahr, Dr. Jones?«
«Ja«, erwiderte Indiana ernst.»Obwohl ich nicht glaube, daß es angebracht ist. Ich werde den Verdacht nicht los, Mr. Moto, daß Sie mir immer noch einige Punkte voraus sind.«
Moto überging die Bemerkung mit diplomatischem Schweigen.
«Und wie geht es jetzt weiter?«fragte Indiana nach einer Weile, als ihm klar wurde, daß Moto nicht von sich aus das Wort ergreifen würde, sondern ihm die Initiative — und damit die Möglichkeit, Fehler zu machen — überließ.»Ich meine, nachdem wir uns alle köstlich amüsiert und ich eine Kostprobe der berühmten japanischen Gastlichkeit bekommen habe — was gedenken Sie jetzt zu Tamaras Rettung zu unternehmen?«
Moto antwortete auch jetzt nicht sofort. Er streifte die beiden Tibeter mit einem Blick, der alles andere als freundlich war, und Indiana rechnete eigentlich damit, daß er sie aus dem Zimmer schicken würde. Aber er tat es nicht. Statt dessen beantwortete er mit einiger Verzögerung Indianas Frage:»Major Hondo und zweihundertfünfzig seiner Männer brechen im Morgengrauen auf. Wir wissen jetzt, wo Dzo-Lins Lager ist. Es wird nicht leicht, den Fuchs aus seinem Bau herauszujagen.
Aber wir haben genug Männer und Waffen. Ich hätte Ihnen dringend geraten, hierzubleiben oder sich zumindest aus den direkten Kampfhandlungen herauszuhalten«, fügte er mit einem hörbaren Anflug von Gehässigkeit in der Stimme hinzu,»aber nach dem, was ich gerade gesehen habe, brauche ich mir ja wohl keine Sorgen um Sie zu machen. Sagen Sie, Dr. Jones — sind Sie zufällig auch noch kugelfest?«
Indiana war ein wenig irritiert. Er konnte sich zwar vorstellen, wie beeindruckt Moto und auch die anderen von der kleinen Vorstellung waren, die er mit Hilfe der beiden Tibeter gerade unten im Hof gegeben hatte, aber Motos Reaktion erschien ihm trotzdem völlig überzogen. Der Japaner war nicht nur beeindruckt und verwirrt — er war eindeutig verletzt. Aber warum?
«Bitte lassen Sie den Unsinn, Mr. Moto«, sagte er ernst.»Wir haben Wichtigeres zu besprechen.«
«Da bin ich nicht sicher«, antwortete Moto.»Ich habe lange mit Major Hondo und seinen Beratern gesprochen. Die Lage hat sich seit unserem letzten Gespräch ein wenig geändert.«
«Inwiefern?«fragte Indiana.
Moto machte eine wegwerfende Geste.»Dzo-Lin und seine Räuberbande sind kein Problem mehr«, sagte er.»Sie waren gefährlich, solange wir nicht wußten, wo sie sich verstecken. Aber wir kennen ihr Versteck jetzt. In spätestens vierundzwanzig Stunden gibt es diesen sogenannten Rebellengeneral nicht mehr.«
Indiana spürte einen neuen, tiefen Schrecken. Motos Worte bedeuteten mehr als das, wonach sie sich im ersten Augenblick anhörten. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie wenig diesem Mann ein Menschenleben galt, und er wußte auch, daß Moto in dieser Hinsicht keineswegs eine Ausnahme darstellte.
Zwanzigstes Jahrhundert oder nicht- die japanischen Soldaten unterschieden sich auch heute in ihrer Grausamkeit und Konsequenz kaum von den Samurai-Kriegern des Mittelalters.
Wenn ein Mann wie Moto sagte, daß er einen Gegner auslöschen wollte, dann meinte er das wortwörtlich. Vielleicht lag es an der Geschichte dieses Volkes, das, solange es existierte, stets darunter gelitten hatte, Massen von Menschen auf kleinstem Raum unterbringen zu müssen. Ein Menschenleben galt einem Samurai nicht viel; auch sein eigenes nicht.
«Sie dürfen Tamara auf keinen Fall in Gefahr bringen«, sagte er.
«Das liegt nicht in meiner Absicht«, antwortete Moto leise.»Aber ich fürchte, daß es nicht nach mir geht, Dr. Jones. «Er warf einen raschen, fast feindseligen Blick auf die beiden Tibeter, die neben der Tür saßen, ehe er fortfuhr:»Ich weiß nicht genau, wofür Sie mich halten, Jones. Aber so schwer es mir fällt, es zuzugeben, es ist so, daß ich hier nichts zu sagen habe.