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Es vergingen nur einige Minuten, bis auch die beiden anderen Ninjas sich zu ihnen gesellten; wenige Sekunden später tauchte eine weitere Gestalt aus der Nacht auf. Es war einer der beiden Tibeter. Indiana konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber sein kahlgeschorener Kopf schimmerte im blassen Licht der Sterne.

Etwas an seinen Bewegungen stimmte nicht. Er schlurfte mit weit nach vorn gebeugten Schultern und sehr langsam dahin, als koste ihn jeder Meter große Mühe, und seine Schritte wurden von einem raschelnden, unheimlichen Geräusch begleitet.

Dann sah Indiana, warum das so war, im gleichen Moment, in dem er erkannte, daß es Lobsang war, der da auf sie zukam. Er trug noch immer den Rucksack auf dem Rücken, in dem sich der Fallschirm befunden hatte. Und er bewegte sich so mühsam, weil er den kompletten Fallschirm hinter sich über die Felsen herzog.

Moto eilte auf den Tibeter zu und zog dabei sein Schwert. Mit einem einzigen Hieb kappte er die Taue, riß Lobsang unsanft an den Schultern herum und bedachte ihn mit einem Schwall unverständlicher, aber nicht sehr freundlich klingender Worte.

Auch Indiana eilte dem Tibeter entgegen.»Lobsang!«sagte er erleichtert.»Ich dachte schon, euch wäre etwas zugestoßen. Wo seid ihr …«

Plötzlich stockte er. Moto hatte ihn erschrocken angesehen, denn Hondo und die anderen waren ihnen nahe genug, um spätestens jetzt mitzubekommen, daß Indiana sich nicht an sein Schweigegelübde gebunden zu fühlen schien. Aber das war nicht der Grund für Indianas Erschrecken. Mit einem Mal fiel ihm der fehlende Schirm wieder ein. Moto und Hondo und er selbst waren hier, und auch die vier Ninjas hatten den Boden unbeschadet erreicht, und das bedeutete nichts anderes als …

«Tsangpo!«flüsterte er erschüttert.

«Sein Schirm öffnete sich nicht«, bestätigte Lobsang.

«Soll das heißen, er ist abgestürzt?«fragte Moto erschrocken.

«Nein«, antwortete Indiana gereizt.»Wahrscheinlich hat er die Arme ausgebreitet und ist wie ein Vögelchen zur Erde geflattert, Sie Narr!«

Moto wollte auffahren, aber Lobsang hob in einer beruhigenden Geste die Hand.»Ich bitte Euch, göttlicher Sohn«, sagte er.

«Das Schicksal hat es nun einmal so vorgesehen, daß nur einer von uns den Tempel des Dzo-Lin erreichen soll.«

«Verdammt, ich war gleich dagegen, daß die beiden mitkommen!«fuhr Moto unbeeindruckt fort.»Es ist ein Wunder, daß er noch am Leben ist. «Erregt starrte er Indiana an und deutete dabei auf Lobsang.

Aber Indiana hörte gar nicht hin. Die Nachricht von Tsangpos Tod erschütterte ihn, denn obwohl er den Tibeter vor kaum vierundzwanzig Stunden kennengelernt hatte, hatte er ihn gemocht.

Aber das war nicht alles. Sein Schirm hat sich nicht geöffnet, hatte Lobsang gesagt. Aber sein Schirm war nicht sein Schirm gewesen, sondern Indianas Fallschirm …

Voller Mitgefühl und ehrlich empfundener Trauer wandte er sich an Lobsang.»Wo ist er abgestürzt?«

Der Tibeter kam nicht dazu zu antworten, denn wieder mischte sich Moto mit einer herrischen Geste ein.»Wir haben keine Zeit für so etwas, Dr. Jones! Vor uns liegt ein langer Marsch, und Hondos Maschinen werden auf die Minute pünktlich sein. Wenn wir noch lange hier herumstehen, dann können Sie gleich ein Grab für uns alle schaufeln.«

Indiana verspürte einen Zorn, den er kaum noch beherrschen konnte. Und wieder waren es Lobsangs Augen, die ihn davon abhielten, irgend etwas Unbedachtes zu tun. Er schluckte alles, was er Moto in diesem Moment hatte sagen wollen, herunter, zwang sich zu einem Nicken und drehte sich mit einem Ruck herum.

Noch in der gleichen Minute marschierten sie los.

Ihr Pilot mußte den Orientierungssinn eines Maulwurfs gehabt haben, denn sie hatten kaum den nächsten Grat erklommen, als das Felsenkloster, in dem sich Dzo-Lins Rebellenarmee verschanzt hatte, unter ihnen lag. Statt einer guten Stunde Fußmarsch entfernt waren sie den Chinesen beinahe auf die Köpfe gesprungen …

Das Gefühl der Erleichterung, um eine Stunde lebensgefährliche Kletterei durch ein nächtliches Gebirge herumgekommen zu sein, wollte sich nicht so recht bei Indiana einstellen, denn vor seinem geistigen Auge erschienen plötzlich Bilder von chinesischen Rebellensoldaten, die Tontaubenschießen auf ihn und die anderen veranstalteten … Das Felsenkloster klebte wie ein Schwalbennest an einer fast senkrecht aufragenden Felswand, so daß sie von ihrer Position aus direkt auf den Giebel des geschwungenen Daches herabblicken konnten, und Indiana erschrak erneut, als ihm klar wurde, daß sie praktisch auf der Rückseite des Klosters vom Himmel gefallen waren. Wäre er auch nur eine halbe Minute später aus dem Flugzeug gesprungen, dann wäre er direkt im Innenhof gelandet — oder auf den Bajonetten der wartenden Chinesen!

Moto schien die Sache eindeutig von der praktischen Seite zu sehen. Er verlor kein Wort über die offensichtliche Unfähigkeit des Piloten, sondern zeigte sich sichtlich erfreut, fast eine Stunde Zeit gewonnen zu haben, ehe Hondos Flugzeuge kamen. Mit knappen Worten beschied er Indiana und Lobsang, in Deckung zu gehen und sich still zu verhalten, dann wandte er sich Hondo und seinen Ninja-Kriegern zu.

Indiana beobachtete ihn mit einem Gefühl, über dessen wahre Bedeutung er sich selbst nicht ganz im klaren war. Es fiel ihm immer schwerer, Moto weiter zu vertrauen. Sicher, er hatte sein Ehrenwort, und er wußte, daß ein Samurai eher Selbstmord begehen würde, ehe er ein gegebenes Versprechen brach. Und trotzdem …

Als er den Kopf wandte und in Lobsangs Gesicht sah, erblickte er einen Ernst darin, den er noch niemals auf den Zügen des Tibeters wahrgenommen hatte.

«Das mit Tsangpo tut mir sehr leid«, sagte er leise.

Lobsang sah ihn an und schwieg.

«Ich mache mir Vorwürfe«, fuhr Indiana fort.»Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß er mitkommt. Spätestens gestern nachmittag, nachdem er sich fast mit seinem eigenen Fallschirm erdrosselt hätte, hätte ich wissen müssen, daß ihr gelogen habt.«

«Es war nicht deine Schuld«, antwortete Lobsang.»Du hättest nichts ändern können. Wir wußten, daß nur einer von uns das Kloster erreichen würde.«

«Das hätte ich doch!«widersprach Indiana heftig.»Ich — «Er stockte, sah Lobsang einen Herzschlag lang verstört an und murmelte:»Was soll das heißen, ihr wußtet es?«

«Unsere Vision zeigte uns, daß der Tod auch von uns seinen Anteil fordern würde«, antwortete Lobsang.

«Jetzt reicht es!«sagte Indiana grob.»Hör endlich auf mit diesem blödsinnigen Gequatsche von Visionen und Vorahnungen. Was zum Teufel soll das heißen?!«

Lobsang blickte ihn weiter sehr ruhig und mit einem fast verzeihenden Lächeln an. Er wußte wohl, daß Indianas grober Ton nur Ausdruck seines Schreckens war. Er schwieg.

«Der … Fallschirm«, murmelte Indiana.»Es war der Fallschirm, nicht wahr?«

«Wir haben nicht gelogen«, sagte Lobsang ernst.»Sowohl mein Bruder als auch ich beherrschen die Kunst des Fliegens ohne Flügel. Tsangpos Schirm war defekt.«

«Sabotiert, meinst du wohl«, knurrte Indiana. Sein Blick suchte Moto, dessen Gestalt sich in der Dunkelheit in nichts von denen der anderen unterschied, so daß er ihn nicht genau identifizieren konnte. Vielleicht war es gut so.

«Es war … mein Schirm«, murmelte er nach einer Weile.

«Es spielt keine Rolle, wessen — «, begann Lobsang, aber Indiana unterbrach ihn sofort und nur noch so mühsam beherrscht, daß seine eigene Stimme ihm wie die eines Fremden vorkam.

«Bitte hör’ mit diesem Unsinn auf, Lobsang«, sagte er müde.»Warum habt ihr das getan? Moto hat meinen Schirm manipulieren lassen, nicht wahr? Er wollte, daß ich abstürze.«

«Ja«, sagte Lobsang einfach.

«Aber warum habt ihr nichts gesagt?«murmelte Indiana.»Ich … hätte den Schirm doch nur auszutauschen brauchen. Warum habt ihr mich nicht gewarnt? Tsangpos Tod war völlig sinnlos!«