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Hinter ihnen ragten die Klostermauern schwarz in einen sternenlosen Himmel. Indiana erschauerte. Obwohl sie ihrem Zeitplan ein gutes Stück voraus waren, konnte es nicht mehr sehr lange bis zum Anbruch der Dämmerung dauern. Trotzdem schien es dunkler als heller zu werden.

«Was ist das?«flüsterte Moto neben ihm, und Indiana begriff, daß er mit seiner Furcht nicht allein war. Selbst Lobsang schien ein kleines bißchen nervöser zu sein.

Der Samurai beantwortete seine eigene Frage mit einem Achselzucken und machte ein Zeichen, weiterzugehen.

Indiana atmete erleichtert auf, als sie durch das schmale Tor in der Klostermauer traten. Er hatte das Gefühl, von einer körperlichen Last befreit worden zu sein.

Allerdings hielt diese Erleichterung nicht besonders lange an, denn der Weg nach unten war keineswegs so schlimm, wie er geglaubt hatte.

Er war viel schlimmer.

Es war keine Straße; nicht einmal etwas, das auch nur die Bezeichnung Weg verdient hätte. Vor ihnen führte ein kaum handtuchbreiter, offensichtlich nachträglich in den Fels gehauener Pfad in einem solchen Winkel in die Tiefe, daß Indiana schon beim bloßen Hinsehen übel wurde. Überflüssig zu sagen, daß es so etwas wie ein Geländer nicht gab. Auf diesem Pfad bedeutete ein einziger Fehltritt den sicheren Tod.

Der vor ihm gehende Ninja zögerte denn auch, ihn zu betreten; allerdings aus anderen Gründen. Behutsam ließ er sich auf die Knie herabsinken, tastete mit den Fingerspitzen über den Boden und suchte die ersten drei Meter des Weges ab, ehe er sich aufrichtete und wieder zurückkam. Wortlos schüttelte er den Kopf. Dzo-Lin hatte offensichtlich darauf verzichtet, den Weg zu verminen.

Ein dumpfer Schlag erklang. Der Ninja keuchte, prallte mit hochgerissenen Armen gegen den Fels und drehte sich einmal um die eigene Achse, ehe er, einen Pfeil zwischen den Schulterblättern, lautlos über die Felskante kippte und in der Tiefe verschwand.

Indiana prallte zurück. Instinktiv duckte er sich, und den Bruchteil einer Sekunde danach zerbrach ein zweiter Pfeil klappernd über ihm an der Wand.

Jemand packte ihn an der Schulter und riß ihn grob zurück, so daß er das Gleichgewicht verlor; aber bevor er stürzte, sah er Bewegung in den Schatten am Ende des Weges. Etwas Dunkles, Großes flog an ihm vorbei und prallte hinter ihm auf den Boden.

Moto fluchte lautstark in seiner Muttersprache, dann zerriß das dunkle, abgehackte Rattern einer MP-Salve die Nacht. Jenseits des Tores spritzten Funken aus der Felswand, und ein gellender Schrei erscholl und wurde leiser, als der Getroffene in der Tiefe verschwand.

Indiana fühlte sich in die Höhe gerissen und so schnell zur Mauer zurückgezerrt, daß er mit verzweifelt rudernden Armen um sein Gleichgewicht kämpfen mußte. Jemand stieß ihn durch das Tor. Der überlebende Ninja gab einen zweiten, kurzen Feuerstoß ab, warf die Tür ins Schloß und legte gerade den Riegel vor, als sich etwas mit einem dumpfen Klatschen in die Tür bohrte, und plötzlich ragte die rasiermesserscharfe Spitze eines Speeres aus dem Holz, kaum einen Fingerbreit vor dem Gesicht des Soldaten.

Indiana rappelte sich umständlich hoch. Verwirrt sah er Moto an. Der Japaner sah zornig aus, aber auch deutlich betroffen.

«Dzo-Lin?«fragte Indiana.

Moto zuckte wortlos mit den Schultern. Er warf einen irritierten Blick auf die Speerspitze, die aus der Tür ragte, und Indiana konnte sich lebhaft vorstellen, was in ihm vorging. Der Angriff selbst hatte im Grunde niemanden überrascht. Aber Indiana konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Dzo-Lins Soldaten mit Speeren und Pfeilen ausgerüstet waren.

Moto deutete auf die Treppe.»Nach oben! Wir verschwinden auf demselben Weg, auf dem wir gekommen sind! Schnell!«

Einer der Ninjas blieb auf Motos Befehl zurück, um die Tür weiter zu verbarrikadieren, die beiden anderen stürmten mit gezückten Schwertern vor ihnen die Treppe hinauf. Sie benötigten nur wenige Minuten, um das Dachgeschoß wieder zu erreichen. Diesmal mußten sie sich nicht im Dunkeln vorwärts tasten. Einer der Ninja-Soldaten entzündete eine Fackel und ging voran. Im flackernden Licht der Flammen erkannte Indiana, daß sie durch einen gewaltigen, vollkommen leeren Dachboden in den Tempel eingedrungen waren. Aber er sah auch, daß nur das letzte knappe Dutzend Schritte über festen Boden geführt hatte. Das Loch, das die Ninjas ins Pagodendach des Tempels gebrochen hatten, befand sich in schwindelerregender Höhe über ihnen, und der Weg hinauf führte über ein Gewirr von hölzernen Trägern und Stützbalken, bei deren bloßem Anblick Indiana schon schwindelig wurde. Sie waren in der Dunkelheit vorhin hinuntergestiegen, ohne daß er es auch nur gemerkt hatte.

Während sie sich den Weg in umgekehrter Richtung wieder hinaufarbeiteten, kam Indiana mehr und mehr zu der Auffassung, daß das vielleicht gar nicht so schlecht gewesen war.

Es begann zu dämmern, als sie wieder auf das Dach hinaufstiegen. Von Osten her begann sich der Himmel mit blassem Grau zu überziehen, und es herrschte jenes sonderbare Zwielicht, in dem das menschliche Auge weniger sah als in der Nacht. Noch immer war kein einziger Stern am Himmel zu entdecken.

Rasch eilten sie auf die andere Seite des Gebäudes, wo das Dach mit der Felswand zu verschmelzen schien. Einer der Soldaten griff nach dem Seil, begann rasch daran in die Höhe zu klettern — und fiel mit einem unterdrückten Schrei zurück, während dreißig Meter daumendickes Tau von oben auf ihn herabprasselten. Auch Indiana sprang hastig beiseite, hob aber wie alle anderen den Kopf, um zum Gipfel hinaufzusehen.

Vor dem dunklen Grau des Himmels zeichnete sich scharf der Schatten einer einzelnen Gestalt ab. Es war ein Mann. Obwohl er nur als Umriß zu erkennen war, konnte man sehen, daß er nicht sehr groß und von schlankem Wuchs war. Völlig reglos stand er da und blickte auf sie herab. In seiner rechten Hand schimmerte das Messer, mit dem er das Seil durchgeschnitten hatte.

«Dzo-Lin«, murmelte Moto haßerfüllt.»Das ist Dzo-Lin! Ich bin sicher!«

Als hätte die Gestalt dort oben auf dem Fels seine Worte verstanden, hob sie plötzlich den Arm, salutierte spöttisch und verschwand hinter dem Felsen.

«Dzo-Lin!«sagte Moto noch einmal.»Dieser raffinierte Fuchs! Wir sind ihm wie die — «

Ein greller Blitz schnitt den Rest seiner Worte ab. Indiana fuhr herum und sah Flammen über die Mauerkrone züngeln.

Gedämpfte Schreie drangen durch die Nacht zu ihnen.

«Was war das?«fragte Moto erschrocken.

«Sie haben es doch selbst gesagt«, antwortete Indiana.»Anscheinend haben Dzo-Lins Männer dort unten alles vermint. «Er zögerte eine Sekunde, ehe er hinzufügte:»Ich frage mich nur, warum.«

Moto sah ihn verwirrt an. Aber er schien zu begreifen, was Indiana meinte. Das Kloster war in eine Falle verwandelt worden — aber sie galt ganz offensichtlich nicht Hondos Soldaten.

Hondo und seine drei übriggebliebenen Ninja-Soldaten begannen aufgeregt miteinander zu debattieren. Indiana verstand natürlich kein Wort — aber er begriff sehr wohl die Bedeutung der hektischen Gesten des Majors.

«Das würde ich nicht tun«, sagte er.

Hondo fuhr herum und funkelte ihn an, und auch Moto blickte fragend.»Was?«

Indiana deutete auf die Felswand.»Ich glaube Ihnen gern, daß Ihre Leute dort hinaufsteigen können«, sagte er.»Aber Ihnen ist doch klar, daß Dzo-Lin dort oben auf sie wartet, oder?«

Moto überlegte einen Moment angestrengt. Sein Blick glitt über die Felswand, wanderte dann wieder über das Dach und dorthin, wo noch immer Flammenschein vom Hof herauf loderte.»Sie haben recht«, gestand er widerwillig.»Wir müssen …«Er brach ab und sah sich wild um, bis er Lobsang in einigen Schritten Entfernung entdeckte.»Gibt es hier einen Keller oder einen anderen sicheren Raum?«

«Auch ich war noch nie hier, göttlicher Sohn«, erinnerte Lobsang.

Moto wischte seine Worte mit einer ärgerlichen Bewegung zur Seite.»Du kennst diese Art von Tempeln«, fauchte er.»Haben sie einen Keller oder nicht?«