«Dr. Jones!«begrüßte er Indiana. Er deutete auf das Funkgerät.»Ich habe Neuigkeiten. Gute Neuigkeiten!«
«So?«Indiana runzelte die Stirn. Er gab sich jetzt nicht einmal mehr Mühe, Höflichkeit zu heucheln.»Für Sie oder für mich?«
Moto wirkte irritiert.»Für uns beide, denke ich doch«, antwortete er in einem Ton ehrlicher Verwirrung.»Höre ich da einen Unterton von Feindseligkeit in Ihrer Stimme?«
«Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Indy sarkastisch.»Das müssen Sie sich einbilden, göttlicher Sohn. Wir sind doch Verbündete, oder?«
«Ich … denke schon«, antwortete Moto zögernd.»Allerdings verstehe ich nicht ganz …«Er brach ab, zuckte mit den Schultern und deutete abermals auf den Funkempfänger.»Das war der Kommandant des Suchtrupps, den ich hinter Dzo-Lin hergeschickt habe.«
«Haben sie ihn erwischt?«fragte Indiana. Hoffnungsvoll fügte er hinzu:»Was ist mit Tamara?«
«Nicht so schnell, Dr. Jones«, sagte Moto beruhigend.»Dzo-Lin selbst ist unseren Männern leider entkommen, aber ein paar seiner Banditen sind ihnen in die Hände gefallen. Sie befinden sich bereits auf dem Weg hierher und werden in spätestens zwei Stunden hier eintreffen.«
«Wie schön«, sagte Indiana kalt.»Darf ich dann vor Ablauf dieser Frist mit meiner Hinrichtung rechnen oder heben Sie sich diesen Spaß für später auf?«
«Ich verstehe Ihre plötzliche Feindseligkeit nicht, Dr. Jones«, sagte Moto. Er stand auf, kam um den Tisch herum auf Indiana zu und sah ihn ernst an.»Sie haben mein Wort, daß wir Waffenstillstand halten, bis wir diese Angelegenheit erledigt haben.«
«Ja«, sagte Indiana.»Deshalb ist Tsangpo auch mit meinem Fallschirm abgestürzt, wie?«
Moto erschrak.»Wie? Ihr Fallschirm? Ich verstehe nicht …«
«Oh, Sie verstehen ganz gut, glaube ich«, sagte Indiana.»Tsangpo und ich haben die Rucksäcke getauscht, ehe wir in die Maschine gestiegen sind. Er ist nicht aus Dummheit oder Ungeschick abgestürzt. Sein Schirm hat sich nicht geöffnet. Mein Schirm, um genau zu sein.«
Motos Miene erstarrte.»Und jetzt glauben Sie, daß ich Sie ermorden lassen wollte.«
«Der Verdacht liegt nahe, nicht?«
«Für diese Behauptung allein schon sollte ich Sie töten, Jones«, sagte Moto kalt.»Aber ich werde es nicht tun. Sie haben mein Wort, und außerdem brauche ich Sie noch, so ungern ich das auch zugebe.«
«Ach?«sagte Indiana.»Wozu?«
«Das fragen Sie noch?«Moto schnaubte ärgerlich.»Also gut. Wenn Sie unbedingt meine und Ihre Zeit verschwenden wollen: Vielleicht denken Sie einfach einmal darüber nach, daß Sie nicht als einziger in eine Falle gegangen sind. Wir alle wären um ein Haar ums Leben gekommen. Ich gestehe Ihnen gern zu, daß Sie in einem Punkt recht haben: Es gibt einen Verräter unter uns. Aber ich bin es nicht. Ich werde Sie töten, Dr. Jones, aus verschiedenen Gründen. Aber erst, wenn einer von uns Temujins Schwert in Händen hält. Und auf ehrenhafte Weise, nicht durch einen heimtückischen Mord!«
Es war seltsam — aber Indiana glaubte ihm. Die Entrüstung in seiner Stimme war nicht gespielt, sondern durch und durch echt. Aber wenn nicht Moto hinter dem Anschlag auf sein Leben steckte, wer dann? Im Grunde war jeder, der von dem Einsatz gewußt hatte, auch dabei gewesen. Jeder mit Ausnahme des Piloten.
Indiana sprach diese Vermutung laut aus, aber Moto schüttelte den Kopf.»Der Mann wußte nichts von seinem Einsatz«, sagte er.»Er wurde ohne Vorwarnung aus dem Bett geholt und erfuhr unser Ziel erst, nachdem wir schon in der Luft waren. Nein …«Er seufzte tief und schüttelte besorgt den Kopf.»Die Sache ist höchst mysteriös, Dr. Jones. «Er sah Indiana ernst an.
«Auch auf die Gefahr hin, daß Sie jetzt wieder wütend werden und mich beschimpfen — aber nach dem Stand der Dinge bleibt außer uns beiden und dem unglückseligen Hondo eigentlich nur ein einziger Verdächtiger übrig: Ihr tibetischer Freund. «Er hob die Hand, als Indiana auffahren wollte.»Wenngleich ich zugeben muß, daß auch ich mir nicht erklären kann, wie er irgendwelche Nachrichten an General Dzo-Lin geschickt haben könnte.«
«Vielleicht brauchte er das gar nicht«, sagte Indiana leise.
Moto sah auf. Eine steile, fragende Falte erschien zwischen seinen Brauen.
Indiana zögerte noch einen Moment. Die Zusammenhänge waren ihm selbst noch nicht ganz klar, aber gleichzeitig spürte er, daß er auf dem richtigen Weg war. Ausführlich erzählte er von dem Mongolen, den er zuerst in Washington und dann in Dzo-Lins Bergfestung wiedergesehen hatte, enthielt sich aber jeder Wertung, sondern überließ es wohlweislich Moto, irgendwelche Schlüsse aus seinen Worten zu ziehen.
Was dem Japaner offensichtlich ebenfalls alles andere als leicht fiel. Er schwieg eine geraume Weile, während sich sein Gesichtsausdruck mehr und mehr verfinsterte.
«Wir haben ein paar der Toten untersucht, die wir unter den Trümmern des Klosters fanden«, sagte er schließlich.»Natürlich ist das im nachhinein schwer zu sagen — aber ich bin ziemlich sicher, daß es sich tatsächlich um Mongolen handelt, nicht um Chinesen, die Dzo-Lin als Hunnenreiter verkleidet hat, um uns an der Nase herumzuführen.«
«Das bedeutet, Dschingis Khans Horden sind bereits wieder auferstanden«, sagte Indiana.
«Ich weiß nicht, was es bedeutet«, antwortete Moto achselzuckend.»Was ich weiß ist, daß wir es noch mit einer weiteren Partei zu tun haben, die hinter dem Schwert her ist.«
«Na wunderbar«, maulte Indiana.»Jetzt fehlt eigentlich nur noch, daß die Russen und die Deutschen auftauchen.«
«Was die Russen angeht, so sind sie bereits da«, antwortete Moto.»In Gestalt Ihrer entzückenden Freundin Tamara Jaglova. Und wir sind nicht mehr allzu weit von der sowjetischen Grenze entfernt.«
«Ich hoffe, sie ist noch am Leben«, sagte Indiana.
«Ich denke schon«, beruhigte ihn Moto.»Sie ist für Dzo-Lin ebenso wichtig wie Sie für mich, Dr. Jones. Er ist zwar mein Feind, und ich halte ihn für einen Narren, weil er für die falsche Seite kämpft, aber er ist kein Dummkopf. Ich bin sehr sicher, daß Miss Jaglova noch am Leben ist. «Er sah auf die Uhr.»In einer guten Stunde wissen wir es genau. Vielleicht erweisen Sie mir solange die Ehre, eine Tasse Tee mit mir zu trinken?«
Aus der einen Tasse Tee wurden fünf oder sechs, und aus der guten Stunde zwei, schließlich beinahe drei, bis das Flugzeug mit dem gefangenen Chinesen endlich auf der winzigen Landebahn aufsetze. Moto ließ den Gefangenen sofort zu sich bringen, und er erhob keine Einwände, als Indiana bat, bei dem Verhör anwesend sein zu dürfen.
Indiana fieberte vor Ungeduld, etwas über Tamaras Schicksal zu erfahren, aber der Gefangene erwies sich als äußerst unkooperativ. Erst als Moto seine gute Erziehung vergaß und eine Verhörmethode anwandte, die Indiana zu einem geharnischten Protest veranlaßte (mit dem Ergebnis, daß Moto ihn hinauswerfen ließ), brach er sein Schweigen und beantwortete die Fragen des Japaners.
Soweit er dazu überhaupt in der Lage war.
Es zeigte sich, daß der Mann nicht allzuviel wußte, was ihnen weiterhalf. Er hatte zu den letzten gehört, die das Felsenkloster durch den geheimen Fluchttunnel verlassen hatten, und er hatte kurz danach den Anschluß an den Rebellengeneral und seine Leute verloren, so daß er mutterseelenallein durch das Gebirge geirrt war, als ihn Motos Männer aufgegriffen hatten.
Aber immerhin wußte er zwei Dinge zu berichten, die sowohl Moto als auch Indiana aufhorchen ließen: Zum einen, daß Tamara offensichtlich noch am Leben war, denn ihr Gefangener hatte sie in Dzo-Lins Begleitung gesehen, als sie das Kloster verließen. Und zum anderen, daß Dzo-Lin eine Stunde vor dem Heranrücken der Hunnen Besuch von einem Mann in der Kleidung eines Lama-Priesters bekommen hatte.