«Er wird Shambala niemals finden«, beharrte Lobsang.
«Sei kein Narr, Lobsang!«antwortete Indiana heftig und deutete wieder gestikulierend auf die Maschine.»In das Ding passen mindestens zwanzig Mann! Du hast gesehen, wie gut seine Ninjas sind. Zwanzig von ihnen nehmen es mit einer ganzen Armee deiner Hunnenkrieger auf.«
«Es sind nicht meine Hunnen«, antwortete Lobsang beleidigt, und außerdem — «
Ein Schuß krachte, und der Tibeter verstummte erschrocken.
Auch Indiana fuhr herum und sah wieder aus dem Fenster.
Das Echo des Schusses war noch nicht ganz verklungen, und für einen winzigen Moment schien es, als wäre die Zeit stehengeblieben; alles Leben dort draußen war wie erstarrt, als blicke er auf einen gewaltigen Scherenschnitt aus lebensgroßen Figuren.
Dann krachten ein zweiter und in rascher Folge ein dritter und vierter Schuß, und im gleichen Moment brach draußen im Lager das Chaos los. Schreie gellten. Alle rannten ziellos durcheinander, und irgendwo begann ein Maschinengewehr zu hämmern. Ein Scheinwerfer flammte auf und schnitt eine Spur grellweißer Helligkeit in die Nacht; mit dem Ergebnis, daß die Dunkelheit dahinter nur noch undurchdringlicher wurde.
Indiana prallte vom Fenster zurück, fuhr herum und war mit einem Satz bei der Tür. Mit aller Kraft riß er am Riegel, aber umsonst. So baufällig das ganze Gebäude war, so massiv schien das Schloß zu sein, das Motos Männer nachträglich angebracht hatten.
«Lobsang!«schrie er.»Hilf mir! Tu’ irgend etwas!«
«Ich kann nicht zaubern, Dr. Jones«, sagte der Tibeter ruhig.
Indiana fuhr wütend herum und funkelte Lobsang an, beherrschte sich aber. Natürlich hatte Lobsang recht, aber sie mußten hier heraus! Ganz egal, ob das Lager nun angegriffen wurde oder es einfach falscher Alarm war — eine bessere Gelegenheit zur Flucht würden sie kaum bekommen!
Zornig ballte er die Hand zur Faust und schlug sie gegen die Wand neben der Tür — und kämpfte plötzlich mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht, als die morschen Bretter unter dem Hieb zersplitterten und er um ein Haar der Länge nach ins Freie gestürzt wäre.
Woran er im letzten Moment Halt fand, das war der Lauf des Gewehres, das ein japanischer Soldat aus der Dunkelheit heraus auf ihn richtete.
Offensichtlich war der Mann ebenso verblüfft wie Indiana, denn er verzichtete darauf, das Nächstliegende zu tun und einfach abzudrücken, sondern klammerte sich nur mit aller Kraft an seine Waffe, während Indiana ebenfalls daran zerrte und gleichzeitig verzweifelt versuchte, den Lauf nach unten zu drücken.
Es gelang ihm, wenn auch nicht ganz so weit wie er es gern gehabt hätte. Der Japaner zerrte mit aller Macht an seinem Gewehr, Indiana zerrte ebenfalls — und stieß die Waffe dann plötzlich vor. Der Kolben bohrte sich knirschend in den Leib des Japaners. Der Soldat keuchte, blies die Backen auf — und sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.
Indiana sprang mit einem grotesken Hüpfer in die Höhe, als die Kugel zwischen seinen Beinen hindurchsauste; so dicht, daß er ihren glühenden Lufthauch spüren konnte. Trotzdem ließ er den Gewehrlauf nicht los, sondern klammerte sich weiter daran fest und zog und zerrte, so fest er nur konnte.
Der Japaner drückte ein zweites Mal ab. Diesmal jagte die Kugel nur Millimeter an Indianas Schulter vorbei. Der Lauf der Waffe wurde warm.
Indiana warf sich herum, trat nach dem Schienbein des Japaners und sah aus den Augenwinkeln, wie zwei, vielleicht auch drei weitere Soldaten auf ihn zustürmten. Mit aller Kraft warf er sich zurück, wobei er das Gewehr samt des daranhängenden Japaners einfach mit sich zerrte. Ein dritter Schuß löste sich.
Die Kugel pfiff nur Zentimeter an seiner Hüfte vorbei, traf einen der heranstürmenden Soldaten und streckte ihn nieder.
Der Gewehrlauf in seinen Händen wurde allmählich heiß.
Wieder versuchte er, nach den Knien des Japaners zu treten.
Er traf auch jetzt nicht, aber der Soldat sprang hastig zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte, allerdings ohne sein Gewehr loszulassen, wodurch nun Indiana nach vorn gerissen wurde. Für eine halbe, gräßliche Sekunde deutete die Mündung des Gewehres direkt auf Indianas linkes Auge. Mit dem anderen konnte er sehen, wie sich das Gesicht seines Gegners zu einem hämischen Grinsen verzog, während sich sein Finger abermals um den Abzug krümmte.
Mit einer verzweifelten Bewegung warf er den Kopf zur Seite, drückte das Gewehr herunter und brachte den Lauf irgendwie unter seine Achselhöhle.
Die Kugel riß eine rauchende Spur in seine Jacke und traf den Japaner, der mit hoch erhobenem Schwert hinter ihm aufgetaucht war, und der Lauf der Waffe wurde so heiß, daß Indiana vor Schmerz aufstöhnte.
Allerdings ließ er das Gewehr trotzdem nicht los, preßte den Arm nur noch fester gegen den Leib, so daß die Waffe unter seiner Achselhöhle eingeklemmt war, so sehr sich der Japaner auch bemühte, sie loszureißen.
Der Soldat schlug nach ihm, aber da Indy praktisch auf ihm lag, hatten seine Hiebe keine nennenswerte Kraft. Aber Indiana bemerkte aus den Augenwinkeln, wie mehr und mehr Japaner in ihre Richtung gestürmt kamen.
«Lobsang!« brüllte er. »Hilf mir! Ich brauche ein kleines Ommerchen!«
Der Tibeter stand zwar kaum drei Schritte hinter ihm, schien aber plötzlich der englischen Sprache nicht mehr mächtig zu sein. Er blickte ihn nur fragend an, während die Japaner näher und näher kamen.
Indiana versuchte verzweifelt auf die Füße zu kommen und sich gleichzeitig aus dem Griff des Soldaten zu befreien, allerdings ohne die Waffe loszulassen, dieser wiederum klammerte sich mit ebensolcher Kraft an Kolben und Abzug seines Gewehrs und schlug mit der freien Hand vergnügt auf Indianas Gesicht ein. Die Hiebe waren nicht wirklich gefährlich, aber sie taten weh, und jeder kostete Indiana ein kleines bißchen mehr Kraft. Mit aller Gewalt warf er sich zurück und kam irgendwie auf die Füße, aber sein Gegner ließ ihn trotzdem nicht los, so daß er ihn wohl oder übel mit in die Höhe zerren mußte.
Indiana rammte ihm das Knie in die Rippen. Der Japaner keuchte, krümmte sich vornüber und dann den Finger um den Abzug der Waffe, und ein langer, höllisch heißer Feuerstoß jagte aus dem Lauf der Waffe, der Indiana vor Schmerz aufschreien und sich herumwerfen ließ. Er selbst, sein Gegner und der noch immer unter seiner linken Achsel eingeklemmte Lauf der Maschinenpistole vollführten eine Dreivierteldrehung, und endlich gelang es Indiana, seine rechte Hand in eine günstige Position zu bekommen und dem Soldaten einen wuchtigen Hieb auf die Kinnspitze zu versetzen. Der Japaner verdrehte die Augen und ging bewußtlos zu Boden. Indiana fing die Waffe gedankenschnell auf und vollführte eine neuerliche halbe Drehung, während er auf das rechte Knie herabfiel, das Gewehr im Anschlag und den Zeigefinger am Abzug.
Aber es gab nichts mehr, worauf zu schießen sich gelohnt hätte.
Einige Sekunden lang saß Indy einfach da und blickte verblüfft auf ein halbes Dutzend regloser japanischer Soldaten, die offensichtlich genau in die MP-Salve hineingelaufen sein mußten. Dann stieg ein unangenehmer verbrannter Geruch in seine Nase.
Alarmiert senkte er den Blick — und erst in dem Moment, in dem er den verkohlten, glimmenden Stoff seines Hemdes unter der linken Achselhöhle sah, spürte er auch den Schmerz.
Mit einem Schrei sprang er in die Höhe, schleuderte die Waffe von sich und schlug mit der flachen Hand immer wieder auf den Stoff ein, in dem immer noch kleine, rote Funken nisteten. Scharf riechender, ätzender Qualm stieg in seine Nase, und der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Es dauerte eine geraume Weile, bis er den Schwelbrand in seinem Hemd gelöscht und der Schmerz soweit nachgelassen hatte, daß er aufhörte, einen Kriegstanz auf der Stelle zu vollführen.
Das erste, was er erkannte, als er wieder halbwegs klar sehen konnte, war Lobsang. Der Tibeter stand unmittelbar vor ihm und sah ihn mit wie stets undurchschaubarem Ausdruck an.