«Und das wäre?«fragte Indiana, eigentlich wider besseres Wissen und sich darüber im klaren, daß er Moto nur ein Stichwort gab, das dieser von ihm erwartete.
Der Japaner lachte häßlich.»Sie und Ihren närrischen Freund am Leben zu lassen, Dr. Jones«, sagte er.»Vielleicht.«
Irgendwo im Himalaya Sonnenaufgang
Zumindest die Treibstoffanzeige hatte Indiana im Laufe der letzten Stunden ausgemacht. Der winzige Zeiger hatte sich während der Nacht fast unmerklich, aber unbarmherzig von rechts nach links bewegt. Jetzt hatte er die ›Null‹ erreicht. Indiana schätzte, daß sie noch Treibstoff für eine halbe Stunde hatten. Mit etwas Glück vierzig Minuten. Spätestens dann würde er Lobsang gestehen müssen, daß er keine Ahnung hatte, wie man ein Flugzeug landete.
Vielleicht.
Vielleicht auch nicht.
Er sah nämlich weit und breit nichts, worauf man ein Flugzeug hätte landen können.
Vor zehn Minuten hatte es begonnen hell zu werden, und seit der gleichen Zeit hielt er verzweifelt nach irgend etwas Ausschau, das zumindest vage Ähnlichkeit mit einer Landemöglichkeit haben mochte. Aber unter ihnen war nichts als scharfkantiger Fels, jäh aufklaffende, bodenlose Schlünde und Eis, dessen grelles Weiß in seinen Augen schmerzte.
Moto meldete sich wieder. In seine Stimme hatte sich eine leise, aber unüberhörbare Spur von Nervosität geschlichen. Indiana konnte das sehr gut verstehen. Ein einziger Blick auf die Treibstoffanzeige reichte, um auch ihn unruhig werden zu lassen; und das war noch vorsichtig ausgedrückt. Dabei war ihre Maschine weitaus größer als die beiden Zeros und bot somit mehr Platz für zusätzliche Treibstofftanks. Moto und der Pilot des zweiten Jagdflugzeuges mußten praktisch auf Benzinkanistern sitzen. Und wenn sich Indiana nicht sehr täuschte, dann saßen sie auch praktisch auf dem Trockenen.
Mit einiger Verspätung schaltete er das Funkgerät ein und meldete sich.
«Freuen Sie sich nicht zu früh, Dr. Jones«, begann Moto übergangslos.
Freuen! Aber worüber …! Indiana riß überrascht den Blick von Motos Flugzeug los und sah nach rechts.
Nichts. Die zweite Maschine war nicht mehr da.
«Ist Ihrem Freund das Benzin ausgegangen, oder hatte er einfach keine Lust mehr, spazierenzufliegen?«fragte Indiana. Der Spott in seiner Stimme klang müde.
«Statt dumme Witze zu reißen, würde ich Ihnen dringend raten, sich lieber auf die Karte und die Landschaft unter uns zu konzentrieren, Dr. Jones«, sagte Moto kalt.»Ich schätze, daß mein Treibstoff noch für fünf Minuten reicht. Bis dahin sollten Sie Shambala gefunden haben.«
«Fünf Minuten?«Indiana war nur zu froh, daß Moto seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte.»Meiner reicht länger.«
«Das ist mir klar, Dr. Jones«, erwiderte Moto ruhig.»Aber ehe Sie jetzt anfangen, gewisse Milchmädchenrechnungen anzustellen, bedenken Sie folgendes: Sobald auch nur das geringste Stottern des Motors einsetzt, schieße ich Sie ab. So vollgestopft mit Benzinfässern, wie Ihre Maschine ist, explodiert sie beim ersten Treffer wie eine Bombe. Mir bleibt danach immer noch genügend Zeit, mit dem Fallschirm abzuspringen.«
«Sie bluffen, Moto«, sagte Indiana nervös.»Ich glaube Ihnen nicht. Sie sind vielleicht heimtückisch, aber Sie sind kein Mörder.«
«Sind Sie bereit, Ihr Leben darauf zu verwetten?«fragte Moto.»Das werden Sie müssen.«
Indiana biß sich auf die Unterlippe. Trotz der schlechten Qualität der Funkverbindung spürte er, wie ernst es Moto meinte.»Verdammt!«sagte er.»Ich kann Shambala doch nicht herbeizaubern!«
«Das sollten Sie aber. Oder fragen Sie Ihren Begleiter. Meiner Schätzung nach hätten wir es längst erreichen müssen. «Eine winzige Pause, dann:»Noch drei oder vier Minuten, schätze ich. Sie haben nicht mehr sehr viel Zeit.«
Indiana sah Lobsang an. Der Tibeter hockte reglos wie eine Statue neben ihm und schien zu meditieren. Auf seinem Gesicht war nicht die mindeste Regung abzulesen. Indiana drückte die Sprechtaste.
«Warten Sie einen Moment, Moto«, bat er.»Ich rede mit Lobsang. «Er streifte die Kopfhörer ab, vergewisserte sich, daß das Flugzeug sicher auf Kurs lag und auch in den nächsten Minuten nicht die Gefahr bestand, daß sie unversehens gegen einen Berg prallten, dann berichtete er Lobsang mit wenigen, knappen Worten, was Moto ihm gesagt hatte.»Hat er recht?«schloß er.
«Ich meine: Sind wir schon an Shambala vorbei?«
Für ein paar Sekunden war er nicht einmal sicher, ob Lobsang seine Worte überhaupt gehört hatte. Aber dann drehte der Tibeter ganz langsam, als müsse er große Kraft für diese winzige Bewegung aufwenden, den Kopf und sah Indiana mit einer Mischung aus Trauer und tief empfundenem Mitleid an.»Und wenn es so wäre?«fragte er.
Das rote Licht auf dem Funkempfänger begann wieder nervös zu blinken, aber Indiana ignorierte es.»Ich verstehe«, sagte er.
Der Anteil von Mitleid in Lobsangs Blick wurde größer, aber er sagte nichts.
«Du glaubst, es ist so am besten, nicht wahr?«fragte Indiana.
«Du glaubst, alles wäre vorbei, wenn Moto abstürzt. Auch, wenn er uns vorher abschießt.«
«Es tut mir leid, Dr. Jones«, sagte Lobsang.»Aber es ist der einzige Weg.«
«Du irrst dich«, sagte Indiana ruhig.»Nichts wird vorbei sein. Du und ich werden sterben, aber Moto wird Shambala trotzdem finden. Und wenn nicht er, dann die, die ihm folgen.«
Er konnte sich täuschen — aber Lobsang schien ganz leicht zusammenzufahren. Er schwieg auch jetzt, aber Indiana konnte die erschrockene Frage in seinem Blick lesen.
«Hast du wirklich geglaubt, es wäre so leicht?«fragte er. Mit einer Kopfbewegung deutete er nach links, wo Motos Zero wie ein schwarzer Raubvogel neben ihnen durch die Luft schnitt.
Die beiden Maschinen waren sich jetzt so nahe gekommen, daß er das Gesicht des Japaners erkennen konnte. Moto blickte aufmerksam zu ihnen herüber. Offensichtlich sah er, daß Indiana auf den Tibeter einredete.»Was glaubst du, hat er in der halben Stunde getan, bis sie uns gefolgt sind?«fuhr er fort.
«Das weiß ich nicht, Dr. Jones«, antwortete Lobsang.
«Ich auch nicht«, gestand Indiana.»Aber ich vermute, daß er sich nicht nur mit den Hunnen herumgeschlagen hat. Wenn er auch nur halb so klug ist, wie ich ihm unterstelle, dann hat er Anweisungen für den Fall zurückgelassen, daß er nicht wiederkommt. Und zwar präzise Anweisungen. Selbst wenn er mit uns ums Leben kommt, dann habt ihr allenfalls ein paar Tage gewonnen. Wahrscheinlich nur Stunden.«
Lobsang verzog keine Miene, aber Indiana konnte in seinen Augen lesen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
«Bitte, Lobsang«, sagte er eindringlich.»Ich kann dir nicht einmal versprechen, daß ich diese Kiste in einem Stück herunterbekomme, aber wir haben vielleicht eine winzige Chance, ihn aufzuhalten.«
Gut ein Drittel ihrer kostbaren Zeit verstrich, ohne daß Lobsang auch nur atmete, aber dann nickte er ganz schwach und sagte leise:»Also gut. Vielleicht ist es besser zu leben und zu hoffen, statt zu sterben und zu hoffen.«
Das Flackern des roten Lämpchens vor Indiana schien hektischer zu werden, und Indy beeilte sich, die Sprechtaste zu drücken und die Kopfhörer wieder überzustreifen.»In Ordnung, Moto«, sagte er.»Folgen Sie mir.«
Die Zero fiel tatsächlich ein Stück zurück, aber es dauerte nur eine Sekunde, bis Indiana begriff, daß Moto dies aus dem einzigen Grund tat, das Flugzeug direkt vor die Läufe seiner Maschinengewehre zu bekommen. Eine einzige falsche Bewegung, eine winzige Ungeschicklichkeit, die Moto falsch deutete, und es war vorbei.
«Wohin?«fragte er.