Die Zero raste heulend über sie hinweg und feuerte eine zweite Salve ab, ehe der Pilot seine Maschine wieder in die Höhe zog; beinahe gleichzeitig setzte die erste Jagdmaschine zu einem zweiten Angriff ein. Aber der Pilot feuerte seine Maschinengewehre nicht mehr ab. Die Hunnen waren schon zu nahe, und die Gefahr, Moto oder Indiana zu treffen, zu groß.
«Moto!«schrie Indiana mit überschnappender Stimme. »Schneiden Sie mich los!«
Tatsächlich sprang der Japaner auf die Füße und kam mit weit ausgreifenden Schritten auf ihn zu. Er feuerte sein Gewehr ab, und einer der Angreifer stürzte; aber weitere zwanzig Männer stürmten mit gezückten Schwertern und Dolchen heran.
Selbst für einen Mann wie Moto entschieden zuviel.
Mit zwei gezielten Schüssen reduzierte Moto die Anzahl der Angreifer um die gleiche Zahl, fiel neben Indiana auf die Knie, zerschnitt seine Fesseln und gab einen weiteren Schuß ab.
Dann zerrte er Indiana hastig auf die Füße und gab ihm einen Stoß, der ihn vorwärtstaumeln ließ.
Einer der Hunnen hatte das Pech, einige Schritte vor seinen Kameraden heranzustürmen — und schneller zu laufen als sie.
Moto streckte ihn mit einem blitzschnellen Schlag zu Boden, riß sein Schwert an sich — und warf Indiana plötzlich sein Gewehr zu!
Indiana fing die Waffe ganz automatisch auf, war aber im ersten Moment viel zu verblüfft, um mehr zu tun, als einfach dazustehen und die Waffe in seinen Händen verblüfft anzustarren.
Eine Gestalt in Fellmantel und spitzer Pelzmütze tauchte plötzlich vor ihm auf, und Indiana erwachte endlich aus seiner Starre. Blitzschnell hob er das Gewehr, drückte aber nicht ab, sondern schlug den Mongolen mit dem Kolben nieder. Moto erledigte zwei weitere Angreifer mit dem erbeuteten Schwert, und sie hatten noch einmal einige Sekunden Luft, ehe die übrigen Hunnen heran waren und sie umzingelten.
Ohne Moto hätte er nicht einmal die erste Sekunde überlebt.
Der Japaner kämpfte mit der Kraft und Wildheit eines Dämonen. Sein Schwert schien sich in einen silbernen Blitz zu verwandeln, der schneller hin- und herzuckte, als der Blick ihm folgen konnte. Drei, vier, fünf Hunnen sanken blutüberströmt in den Schnee, und für einen Moment schreckte seine Wut die übrigen Mongolen so sehr, daß sie sogar zurückwichen.
Aber eben nur für einen Moment.
Dann stürzten sie abermals vor.
Moto wurde von sieben oder acht Männern zugleich attak-kiert, Indiana von dreien. Er schoß den ersten nieder, schlug dem zweiten den Gewehrlauf über den Schädel und ging unter dem Anprall des dritten zu Boden. Der Mann war nicht einmal besonders groß, aber flink wie ein Wiesel und erstaunlich stark, während Indianas Muskeln vor Kälte steif waren. Vergeblich bäumte er sich unter dem Hunnen auf und verlor fast das Bewußtsein, als der Bursche ihm einen fürchterlichen Hieb gegen die Schläfe versetzte. Sein Kopf dröhnte. Halb ohnmächtig registrierte er, wie sich ein zweiter Hunne auf ihn warf. Er wunderte sich ein wenig, daß er noch lebte, denn beide Männer waren mit Schwertern und Dolchen bewaffnet. Es wäre ihnen ein leichtes gewesen, ihn zu töten.
Harte, sehr starke Hände packten seine Arme und drehten sie auf den Rücken, ein weiterer Hieb in den Leib brach auch den letzten Rest seines Widerstandes, dann wurde er in die Höhe gezerrt.
Ein Schuß krachte. Einer der beiden Hunnen, die ihn hielten, brach getroffen zusammen, und dann begann zuerst eine, kurz darauf eine zweite MP mit ihrem ratternden Hämmern. Die Kugeln pfiffen Indiana nur so um die Ohren. Rechts und links von ihm stoben winzige Explosionen aus dem Schnee. Der zweite Mongole versuchte zu fliehen, kam aber nur wenige Schritte weit.
Indiana fiel auf die Knie und sah, wie sich das Gewehrfeuer nun auf die Männer konzentrierte, die Moto angriffen. Wie durch ein Wunder war der Japaner noch am Leben, kämpfte wie ein Stier, während er aus zahlreichen Wunden blutete. Und die Männer, die seinem Toben bis zu diesem Moment entkommen waren, fielen jetzt dem Gewehrfeuer der japanischen Soldaten zum Opfer.
Voller Grauen sah sich Indiana um. Eine Handvoll Hunnen rannte im Zickzack über das Eisfeld davon und versuchte, sich in den Schutz der Felsen zu retten, hinter denen sie hervorgekommen waren, aber die allermeisten waren den Angriffen der beiden Zeros, Motos Schwert oder den Gewehrkugeln der Soldaten zum Opfer gefallen.
Warum? dachte er schaudernd. Was die Männer getan hatten, war selbstmörderisch. Selbst wenn es ihnen gelungen wäre, Indiana und Moto zu töten, wären sie hinterher von den Fallschirmspringern oder den Zeros getötet worden, die noch immer wie riesige schwarze Todesvögel über dem Eisfeld kreisten. Was um alles in der Welt trieb diese Männer an?
Er sah nicht mehr hin, während mehr und mehr von Motos Elitesoldaten rings um sie herum vom Himmel regneten und zum Teil noch in der Luft auf die flüchtenden Mongolen zu schießen begannen.
«Sie sehen nicht besonders glücklich aus, Dr. Jones«, sagte Moto, später, als sie in einem der von den Japanern errichteten Zelte saßen und Tee tranken.»Schon gar nicht für einen Mann, der binnen weniger Stunden zum zweiten Mal dem sicheren Tod entgangen ist.«
Der lauernde Unterton in seiner Stimme entging Indiana keineswegs. Und er verstand ihn auch. Abgesehen von einigen Kratzern und Schürfwunden war Indiana so gut wie unverletzt davongekommen, während Moto — nachdem der Sanitäter mit ihm fertig war — ein bißchen an eine Mumie erinnerte. Sein Kopf war verbunden, der linke Arm hing in einer Schlinge, und über dem rechten Handgelenk spannte sich ein blutiger Verband. Wenn er ging, dann humpelte er sichtbar, und manchmal, wenn er glaubte, Indiana sehe nicht hin, zuckten seine Lippen vor Schmerz. Was alles in allem auch kein Wunder war — schließlich hatte er die Mongolen praktisch allein aufgehalten, mit nichts als einem Schwert und seinen bloßen Händen.
Trotzdem antwortete Indiana nicht auf die Frage, die in seinen Worten lag, sondern zuckte nur mit den Schultern, nippte an seinem Tee und schmiegte die Hände fest um die emaillierte Blechtasse, um auch das letzte bißchen Wärme aufzunehmen.
Es nutzte nichts. Wahrscheinlich hätte es auch nichts genutzt, wenn er die Finger direkt in die Flammen des Gaskochers gehalten hätte. Die Kälte hatte sich so tief in seinem Körper eingenistet, daß er nicht sicher war, ob er sie jemals wieder völlig daraus vertreiben konnte. Vielleicht würde er für den Rest seines Lebens frieren müssen — was unter Umständen allerdings nur noch Stunden waren.
Sie hatten Shambala gefunden. Einer der Piloten hatte das Kloster auf der anderen Seite des Berghanges entdeckt und seine genaue Position über Funk durchgegeben, ehe die Maschinen wieder abgeflogen waren. Sobald die Sonne aufging, würden sie losmarschieren und Shambala nach wenigen Stunden erreichen.
«Wissen Sie, Dr. Jones«, fuhr Moto nach einer Weile fort, als er begriff, daß Indiana nicht reagieren würde.»Ich war zwar anderweitig beschäftigt, aber ich konnte mich trotzdem nicht des Eindrucks erwehren, daß diese Männer Sie irgendwie schonen würden. Kann das sein?«
Indiana trank einen weiteren Schluck Tee, ehe er antwortete.»Sie hätten mich töten können, wenn sie gewollt hätten«, sagte er ruhig.»Und ehe Sie fragen: Ich weiß ebensowenig wie Sie, warum sie es nicht getan haben.«
«Oh, ich weiß es.«
Indiana sah verblüfft auf, und Moto lächelte geheimnisvoll und schwächte seine Worte ein wenig ab:»Oder sagen wir: Ich habe eine bestimmte Vermutung.«
«Und welche?«
«Es ist noch zu früh, um darüber zu reden, Dr. Jones«, sagte Moto.»Aber wenn ich recht habe, dann würde das eine Menge erklären, was ich bisher nicht verstanden habe.«