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Was er sah, erfüllte ihn nicht gerade mit Zuversicht. Er war sieben oder acht Meter in die Tiefe gestürzt, so daß es trotz der weichen Decke aus Schnee, in die er gefallen war, einem kleinen Wunder glich, daß er unverletzt davongekommen war.

Und die Wand neben ihm war glatt wie ein Spiegel, zumindest hier unten. Vorhin hatte ihm die pure Todesangst die Kraft gegeben, sich in winzigen Spalten und Rissen festzuklammern, aber zum einen gab es diese winzigen Spalten und Risse hier unten nicht, und zum anderen begann er die Wirkung der Kälte nun wirklich unangenehm zu spüren. Seine Hände waren so steif, daß er die Finger nicht mehr geradebekam, ohne vor Schmerz aufzustöhnen, und selbst das Luftholen tat ihm in der Kehle weh. Er wollte um Hilfe rufen, tat aber auch das nicht.

Falls überhaupt einer von Motos Soldaten die Lawine überlebt hatte, so hatten sie im Moment wahrscheinlich anderes zu tun, als nach ihm zu suchen.

Trotzdem resignierte Indiana Jones nicht. Es war nicht das erste Mal, daß er ganz auf sich allein gestellt war, und es war weiß Gott nicht das erste Mal, daß er sich in einer Situation befand, die jeder andere als ausweglos bezeichnet hätte. Er hob die Hände ans Gesicht, blies hinein, um sich an seinem eigenen Atem aufzuwärmen, und versuchte auf der Stelle zu treten, um auch seinen Füßen Bewegung zu verschaffen, versank dabei aber so tief in dem weichen Schnee, daß er dieses Unterfangen sofort wieder aufgab.

Indiana gab auch die Idee, einfach auf dem Grund der Spalte entlangzumarschieren, bis er eine Stelle fand, an der das Hinaufklettern möglich sein mochte, sehr schnell wieder auf und begann methodisch, seine Kleider und alles, was er bei sich trug, zu untersuchen. Manchmal, das hatte ihn die Erfahrung gelehrt, erwiesen sich die banalsten Dinge in bestimmten Situationen als überaus nützlich.

Leider war dies keine von diesen bestimmten Situationen.

Moto hatte ihm zwar seine Peitsche gelassen, die er trotz allem wohl als eine Art Talisman oder bestenfalls ein Spielzeug anzusehen schien, aber Indiana war im Moment einfach nicht in der Verfassung, sich in Tarzan-Manier an der Peitschenschnur irgendwo hinaufzuhangeln, ganz davon abgesehen, daß es weit und breit nichts gab, wonach er sie hätte schwingen können.

«Sieht ganz so aus, als ob du diesmal wirklich in der Klemme sitzt, alter Junge«, sagte er zu sich selbst.

Der Klang seiner eigenen Stimme ließ ihn schaudern. Die glatten Eiswände reflektierten sie und warfen sie hundertfach gebrochen zurück, und irgendwo löste sich ein winziger Rest von Schnee und fiel raschelnd in die Tiefe.

Wider besseres Wissen trat Indiana an die Wand heran, hob die Arme und suchte nach einem Halt. Er fand keinen. Enttäuscht trat er zurück, starrte die Wand vor sich einen Moment lang mürrisch an, tat dann das einzige, was ihm übrigblieb — er suchte sich ein halbwegs trockenes Fleckchen, setzte sich und wartete, daß Hilfe kam.

Endlose Minuten vergingen, bis er endlich über sich Stimmen und die Geräusche näherkommender Menschen hörte. Er sprang auf, rief ein paarmal laut und hob gestikulierend die Arme, als ein Gesicht über ihm auftauchte. Nur einen Augenblick später wurde ein Seil zu ihm herabgeworfen. Auf dem letzten Stück griffen starke Hände nach ihm und zogen ihn wieder auf das Eisfeld hinauf, wo er sofort erschöpft auf die Knie sank und fast eine Minute lang mit geschlossenen Augen dahockte, ehe er überhaupt die Kraft fand, den Kopf zu heben und sich umzusehen.

Es waren zwei von Motos Soldaten, die ihn aus der Gletscherspalte gerettet hatten, und diese beiden waren die einzigen lebenden Menschen, die er in weitem Umkreis erblickte.

Eigentlich waren sie überhaupt das einzige, was er sah.

Er hatte damit gerechnet, das Lager völlig zerstört vorzufinden, aber das war es nicht — es war einfach nicht mehr da. Wo die Handvoll Zelte und Lagerfeuer gewesen waren, erstreckte sich jetzt eine makellose, völlig ebene weiße Fläche. Auch die Felsen, in deren Windschatten sich die Zelte geduckt hatten, waren zum allergrößten Teil verschwunden. Nur ihre Spitzen ragten noch aus dem Weiß hervor.

Einer der beiden Soldaten sagte etwas auf japanisch zu ihm.

Indiana schüttelte übertrieben den Kopf und hob beide Hände an die Ohren, um zu verdeutlichen, daß er nicht verstand, aber aus irgendeinem Grund schien das den Soldaten wütend zu machen. Grob zerrte er Indy in die Höhe und wiederholte seine Worte, und auch Indiana wiederholte sein Kopfschütteln, zuckte mit den Achseln und lächelte unsicher.

Vielleicht war der Vorrat des Mannes an Humor momentan begrenzt. Vielleicht bedeutete ein Lächeln in dieser Situation für einen Japaner etwas ganz anderes als für Indiana — auf jeden Fall erreichte er das Gegenteil dessen, was er gewollt hatte. Der Soldat holte ohne Vorwarnung aus und versetzte Indiana einen Schlag mit dem Handrücken, der ihn rücklings in den Schnee stürzen ließ.

Indiana hob in Erwartung eines neuerlichen Schlages oder Fußtrittes schützend die Arme vor das Gesicht, aber der Soldat griff ihn nicht noch einmal an. Statt dessen riß er plötzlich sein Gewehr hoch und starrte aus weit aufgerissenen Augen auf einen Punkt irgendwo hinter Indiana, und auch der zweite Japaner fuhr mit einem Schrei herum und hob seine Waffe.

Ihre Reaktion kam zu spät. Plötzlich erschien ein gewaltiger, weißer Schatten über Indiana. Ein ungeheuerliches Brüllen erklang, und einer der beiden Japaner taumelte unter einem Hieb zurück, der ihm das Gewehr aus der Hand riß und ihn haltlos stolpern ließ. Indiana half der Entwicklung noch ein bißchen nach, indem er ihm ein Bein stellte, und der Soldat kippte rückwärts und mit einem gellenden Schrei in die Gletscherspalte hinab, aus der er Indy selbst vor wenigen Augenblicken erst herausgezogen hatte. Der zweite Japaner warf in hohem Bogen seine Waffe fort und suchte sein Heil in der Flucht.

Indiana stemmte sich auf die Ellbogen hoch und sah hinter sich, und obwohl er gewußt hatte, was er erblicken würde, erfüllte ihn das Bild für einen Moment mit lähmendem Schrek-ken. Der Yeti stand hinter ihm, ein Koloß von gut zwei Metern Größe, riesig, wild, mit lodernden Augen und zum tödlichen Hieb erhobenen Krallen. Indiana sah das unvorstellbare Wesen jetzt aus unmittelbarer Nähe, und sein Anblick wirkte noch erschreckender und furchteinflößender als vorhin. Für einen Moment war er einfach starr vor Schrecken, und vielleicht rettete ihm gerade dies das Leben, denn aus irgendeinem Grund zögerte die Bestie zuzuschlagen. Ihr Blick bohrte sich in den Indianas, und er konnte das rote Lodern in den Augen erkennen, eine flackernde Glut wie die eines Feuers, das im Inneren des Ungeheuers zu brennen schien.

Dann fiel ihm etwas auf. Die Füße des Ungeheuers waren zu groß. Er war ein Gigant, größer als jeder Mensch, den Indiana je gesehen hatte, aber seine Füße waren selbst im Verhältnis zu diesem ungeheuerlichen Körper beinahe absurd groß. Und … ja, und auch sonst stimmten die Proportionen dieses Wesens einfach nicht.

Der Schneemensch stand noch immer da, die rechte Hand mit den fürchterlichen Krallen wie zum Schlag erhoben, aber Indiana stemmte sich jetzt langsam in die Höhe, wich zwei, drei, vier vorsichtige Schritte von dem weißbepelzten Koloß zurück und schüttelte den Kopf.

«Laß den Unsinn«, sagte er.

Der Yeti starrte ihn weiter an. In seinem Gesicht, in dem sich die Züge eines Menschen und die eines Affen zu einer sonderbaren Mischung vereinten, rührte sich nichts, und auch das flackernde Feuer in den Augen des Yeti veränderte sich nicht.

Dann stieß er einen grollenden Laut aus, hob auch die andere Hand, so daß er wie ein zum Kampf aufgerichteter Bär mit weit ausgebreiteten Armen vor Indiana stand, und machte einen einzelnen, tapsigen Schritt.

Indiana wich um die gleiche Distanz vor ihm zurück, löste die Peitsche vom Gürtel und sagte noch einmaclass="underline" »Bitte, laß den Unsinn.«