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Der Yeti machte einen weiteren Schritt, und Indiana schlug mit der Peitsche zu.

Die Lederschnur schnitt durch die Luft, traf den Kopf des Yeti, riß ihn von seinen Schultern und ließ ihn drei, vier Meter weit davonfliegen, ehe er mit einem sonderbar weichen, hohlen Laut im Schnee landete. Der Yeti erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Arme waren noch immer hoch erhoben. Er wankte, fiel aber nicht. Und aus dem Loch zwischen seinen Schultern, wo sein Kopf gewesen war, floß auch kein Blut. An seiner Stelle erschien plötzlich ein zweiter, kahlgeschorener und sehr viel kleinerer Schädel inmitten des struppigen weißen Fells, während sich die Arme des Yeti nun doch senkten.

«Woran haben Sie es gemerkt, Dr. Jones?«fragte Lobsang vorwurfsvoll.

Indiana rollte gemächlich seine Peitsche auf und sah sich nach weiteren japanischen Soldaten um, entdeckte aber keine.

«Deine Füße«, sagte er mit einer entsprechenden Geste auf die gewaltigen weißen Überschuhe, in denen die Füße des Tibeters steckten.»Sie sind zu groß.«

Lobsang sah betroffen auf die gut vierzig Zentimeter langen Schneemenschen-Füße herab, in die er geschlüpft war, und Indiana fuhr in beinahe heiterem Tonfall fort:»Außerdem solltest du sie vorn beschweren. Mir ist schon vorhin an der Spur aufgefallen, daß etwas damit nicht stimmt. Die Eindrücke waren eigentlich nur hinten.«

«Aber sonst war ich doch überzeugend, oder?«fragte Lobsang.

Indiana rollte seine Peitsche vollends zusammen, befestigte sie wieder an seinem Gürtel und tat ihm den Gefallen, zu nicken.»Im Grunde schon«, sagte er. Dann wurde er ernst.»Ich frage mich nur, was du dir davon versprochen hast. Hast du wirklich geglaubt, mit dieser Verkleidung allein Moto und seine Soldaten in die Flucht schlagen zu können?«

«Irgend etwas mußte ich versuchen, Dr. Jones«, verteidigte sich Lobsang. Er kam auf Indiana zu, und jetzt, als Indy seinen Kopf auf den Schultern des gewaltigen Wesens sah, fiel ihm erst auf, wie ungelenk und tolpatschig die Gestalt war. Lobsang, der ihm normalerweise nicht bis zur Kinnspitze reichte, überragte ihn jetzt um mehr als zwei Haupteslängen. Der Tibeter mußte auf Stelzen gehen — was in dieser schwerfälligen Verkleidung schon ein Kunststück für sich war.

Indiana schüttelte seufzend den Kopf.»Ich glaube dir ja, daß es gut gemeint war«, sagte er.»Aber besonders klug war es nicht.«

«Es hat doch gewirkt«, sagte Lobsang, zuckte mit den Schultern und kämpfte plötzlich mit aller Macht um sein Gleichgewicht, denn die Bewegung drohte ihn nach vorn kippen zu lassen. Indiana streckte die Arme aus, um ihn aufzufangen, aber Lobsang fand im letzten Moment seine Balance wieder.

«Für einen Moment, ja«, räumte Indiana ein.»Aber ich glaube, auch Moto ist bereits mißtrauisch geworden. Und es hat auch Nachteile, Menschen zu nervös zu machen. Sie schießen im Moment auf jeden Schatten, nehme ich an. Die, die noch am Leben sind, heißt das. «Er überlegte einen Moment.

Dann fragte er:»War die Lawine auch dein Werk?«

«Sagen wir, ich habe ein wenig … nachgeholfen«, gestand Lobsang. Sein Lächeln, das schon bisher sehr unglücklich gewesen war, erlosch für einen Moment ganz.»Es tut mir leid, daß so viele unschuldige Menschen zu Schaden gekommen sind«, sagte er.»Aber manchmal müssen Dinge getan werden, auch wenn sie nicht gut sind.«

«Na ja«, sagte Indiana.»Auf jeden Fall scheint es funktioniert zu haben. «Demonstrativ sah er sich um. Noch immer war nirgendwo eine Spur von irgendwelchen Überlebenden zu sehen, aber er glaubte nicht, daß die Sache schon vorbei war. So wie er selbst und die beiden Männer, die Lobsang verjagt hatte, mußten auch noch andere die Lawine überlebt haben. Wahrscheinlich würde es einfach eine Weile dauern, bis sie sich von ihrem Schrecken erholt und wieder gesammelt hatten.

Indiana gedachte nicht, dann noch hier zu sein.

«Jetzt komm endlich da raus und laß uns von hier verschwinden«, sagte er.»Du kennst doch den Weg nach Shambala, oder?«

Lobsang nickte, wenn auch nur zögerlich, und Indiana begriff, daß es ihm selbst jetzt noch schwerfiel, einem Fremden den Weg in dieses Heiligtum zu weisen. Gleichzeitig schien er aber auch einzusehen, daß sie im Augenblick keine andere Wahl mehr hatten. Wie wenig seine mongolischen Freunde gegen eine gut ausgerüstete und wirklich entschlossene Truppe von modernen Soldaten ausrichten konnten, das hatten sie alle am Nachmittag erlebt.

«Würden Sie mir vielleicht freundlicherweise meinen Kopf geben?«bat Lobsang, während er mit umständlichen Bewegungen im Inneren des Yeti-Kostüms von seinen Stelzen herabstieg und die Arme aus den Armhüllen des Schneemenschen zog. Sie fielen schlaff an der Seite des weißen Fellbündels herab, und die Gestalt geriet vollends zur Karikatur. Indiana war hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, einfach laut loszulachen und einer fast widerwilligen Bewunderung für Lobsang. Selbst ihn hatte dieses Kostüm für einen Moment genarrt. Und, auch wenn es vielleicht nicht perfekt war, so wirkte es möglicherweise gerade deshalb überzeugend.

Indiana stapfte die wenigen Meter durch den Schnee, um den Yeti-Kopf aufzuheben. Während der Tibeter sich umständlich aus seinem Kostüm schälte, untersuchte Indiana die Maske.

Wie er vermutet hatte, bestanden ihre Augen aus nichts anderem als kleinen, geschliffenen roten Gläsern, und im Inneren des hohlen Schädels war tatsächlich eine sinnreiche Konstruktion angebracht, auf der eine brennende Talgkerze gestanden hatte. Kein Wunder, daß er an ein loderndes Feuer im Inneren des Monsterschädels hatte denken müssen. Und auch sonst überraschte der künstliche Kopf Indiana mehr und mehr. Das Fell erwies sich bei näherer Betrachtung als nichts anderes als das weißgefärbte Fell eines Lamas, das in kleine Stücke zerschnitten und anschließend wieder neu zusammengenäht worden war. Aber Indiana konnte beim besten Willen nicht sagen, woraus das Gesicht gefertigt war. Es fühlte sich an wie Leder, war aber keines, und so genau er auch hinsah, so konnte er doch zumindest im schwachen Sternenlicht keinerlei Nähte entdecken. Und auch die Zähne und die dazugehörigen Kiefer waren echt. Er fragte sich, von welchem Raubtier sie stammten. Er hatte so etwas noch nie gesehen.

Lobsang hatte sich endlich aus seinem Kostüm hervorgearbeitet, rollte es sorgsam zusammen und wickelte als letztes den Yeti-Kopf hinein, ehe er alles zusammen in einem Beutel verstaute, den er sich mit Indianas Hilfe auf den Rücken schnallte.

Dieses Unternehmen verbrauchte eine Menge Zeit, Zeit, die sie wahrscheinlich gar nicht hatten, aber Indiana erhob keinerlei Einwände. Ohne daß Lobsang es ihm hätte sagen müssen, wußte er, daß dieses Kostüm sehr, sehr wertvoll war.

«Und jetzt?«fragte Lobsang, als sie fertig waren.

«Shambala«, antwortete Indiana.»Es sei denn, du hättest eine bessere Idee.«

«Wir …«Lobsang zögerte,»müssen nicht dorthin«, sagte er.

«Ich kenne einen Weg ins Tal hinab, den wir bewältigen könnten. «Er schien Indianas Einwände vorauszuahnen und fügte beinahe hastig hinzu:»Meine Brüder und ich haben überall Lebensmittellager eingerichtet, und wir werden auch eine Höhle finden, die uns vor dem Nachtfrost schützt.«

«Daran zweifle ich nicht«, sagte Indiana. Er sprach sehr leise, und er bemühte sich, seiner Stimme einen ebenso ehrlichen wie eindringlichen Klang zu verleihen, um Lobsangs Mißtrauen nicht noch mehr zu schüren.»Du mußt mich nach Shambala bringen«, sagte er.»Du hast gar keine andere Wahl — und ich glaube, du weißt das auch sehr gut. Moto und seine Männer sind nicht alle tot. Ich glaube nicht einmal, daß es viele erwischt hat. Und sie wissen, wo Shambala liegt.«

Lobsang erschrak.»Sie — «

«Einer der Piloten hat das Kloster entdeckt«, bestätigte Indiana.»Moto weiß genau, wo er danach zu suchen hat. Eigentlich wollte er erst morgen früh losmarschieren. Aber ich denke, solange wird er jetzt nicht mehr warten.«