Выбрать главу

«Dr. Jones!«schrie der Tibeter.»Geben Sie es allen!«

Und Indiana begriff. Von einer Sekunde auf die andere erwachte er aus seinem Bann und warf das Schwert direkt neben dem Abgrund senkrecht in die Luft, so hoch er konnte.

Die Bewegung kostete ihn endgültig das Gleichgewicht. Den Abgrund im Rücken, ruderte er wild mit den Armen, dann gelang es ihm, sich zurückzuwerfen. Er stürzte schwer auf das Eis des Balkons, und im gleichen Augenblick rannten Moto und der Chinese los, um sich des Schwerts zu bemächtigen. Gleichzeitig ging auch Tamara zu Boden, griff aber noch in derselben Bewegung nach dem Maschinengewehr, das Dzo-Lin achtlos fallengelassen hatte.

Noch während Indiana auf dem Boden aufschlug, sah er, wie Moto mit beiden Händen das Schwert ergriff und sich herumwarf — und im gleichen Augenblick prallte Dzo-Lin von hinten gegen ihn.

Für eine Sekunde war es, als bliebe die Zeit stehen. Moto, Dzo-Lin und auch die verzauberte Klinge schienen reglos, wie von einer unsichtbaren Hand gehalten, direkt über dem Nichts zu schweben, und noch einmal glaubte Indiana dieses kalte, durch und durch böse Licht zu sehen, das die Klinge ausstrahlte.

Dann zerbrach der Bann. Motos Schrei steigerte sich in unvorstellbare Höhen. Er kippte nach hinten und zur Seite, ließ das Schwert los und versuchte verzweifelt, die Balkonbrüstung zu ergreifen. Seine Hände fanden Halt an dem Eis, aber im gleichen Sekundenbruchteil stürzte Dzo-Lin hinter ihm in die Tiefe, klammerte sich seinerseits an Moto fest — und dieser doppelte Ruck war zuviel. Das Eis zerbrach wie dünnes Glas, und Moto und General Dzo-Lin verschwanden lautlos in dem grauen Nebel, aus dem sich Shambalas eisige Wände erhoben.

Irgend etwas fiel klappernd neben Indiana Jones auf den Boden, und mit seinem letzten klaren Gedanken registrierte er noch, wie Tamara das schwere Maschinengewehr mit beiden Armen hochriß und den Abzug betätigte.

Dann wurde ihm endgültig schwarz vor Augen.

Epilog

Er erwachte auf einer schaukelnden Liege. Ein lange vermißtes Gefühl von Wärme und Weichheit umgab ihn, und er hörte Stimmen, die von weit her zu kommen schienen und in einer Sprache sprachen, die er nicht verstand. Dann erschien ein weißer, verschwommener Fleck über ihm und wurde ganz langsam zu Tamaras Gesicht. Sie wirkte bleich, und die überstandenen Anstrengungen hatten tiefe Spuren in ihren Zügen hinterlassen. Aber sie lächelte, und die Erleichterung in ihren Augen war nicht gespielt.

«Was … ist passiert?«murmelte er. Das Sprechen fiel ihm schwer. Er fühlte sich sehr schwach, und er fühlte, daß viel Zeit vergangen war.

Tamara schüttelte den Kopf und legte den Zeigefinger an die Lippen.»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie.»Streng’ dich nicht an.«

Indiana wollte antworten, doch in diesem Moment wurde er mitsamt seiner schaukelnden Unterlage in die Höhe gehoben, und plötzlich bestand der Himmel über ihm nicht mehr aus Wolken und Nebel, sondern aus dem unverkleideten Wellblech eines Transportflugzeuges. Mühsam wandte er den Kopf und warf einen Blick durch die Tür zurück. Die Maschine war auf dem gleichen Eisfeld gelandet, auf dem Moto und seine Soldaten die letzte Nacht verbracht hatten.

«Lobsang hat sich getäuscht«, flüsterte er.

Tamara blickte fragend, und Indiana erklärte:»Man kann doch mit einem Flugzeug hier landen.«

Tamaras Lächeln wirkte irgendwie traurig. Sie sagte nichts, sondern wandte sich ebenfalls zur Tür, und nach einigen Augenblicken erschien eine schmale, kahlköpfige Gestalt am Ende des Eisfeldes. Während die Motoren des Flugzeuges angelassen wurden und allmählich auf Touren kamen, hob Lobsang die Hand und winkte ihnen zum Abschied zu, und trotz seiner Schwäche zog Indiana den Arm unter seiner Decke hervor und erwiderte die Geste, bis Tamara aufstand und die Tür schloß.

Als sie sich wieder neben ihn setzte, spürte Indiana, daß mit seinem rechten Bein etwas nicht stimmte. Er versuchte es zu bewegen, aber es ging nicht, und als er mit der Hand danach tastete, fühlte er etwas Hartes. Mit mühsamen kleinen Bewegungen schob er die Decke zur Seite und sah, daß das Bein dick bandagiert und mit einer groben, aber sehr geschickt angelegten Schiene versehen war.

«Was ist mit meinem Bein?«fragte er. Er konnte sich nicht erinnern, verletzt worden zu sein. Aber im Grunde konnte er sich an sehr wenig von dem erinnern, was in Shambala geschehen war. Es war, als gäbe es da etwas, das verhinderte, daß er sich zu genau erinnerte. Und er war plötzlich beinahe sicher, daß es gar nicht lange dauern würde, bis er sein Erlebnis hier auf dem Dach der Welt und selbst das Wissen um die Existenz dieses Klosters einfach vergessen hatte. Die Vorstellung erfüllte ihn mit Bedauern, zugleich aber auch mit dem sicheren Gefühl, daß es richtig war.

«Es ist alles in Ordnung«, sagte Tamara und streichelte liebevoll seine Wange.»Du hast noch einmal Glück gehabt.«

«Glück gehabt?«Indiana schloß die Augen. Er spürte, wie sich wieder Schwäche und Schlaf wie eine warme Decke über ihn senkten.»Was ist…«

Er sprach den Satz nicht einmal zu Ende, sondern schlief wieder ein.

Er erwachte erst am nächsten Tag und in einem anderen Flugzeug. Er lag noch immer auf einer Liege, war aber nicht mehr mit einem blutigen Fellmantel zugedeckt, und neben Tamara, die an seinem Bett Wache hielt, als hätte sie sich die ganze Zeit nicht von dort weggerührt, saß ein breitschultriger junger Mann mit kurzgeschnittenem Haar und der schmucklosen Uniform der Roten Armee.

Indiana richtete sich auf die Ellbogen hoch, sah sich um und entdeckte eine Anzahl kyrillischer Schriftzeichen auf den Kisten und Kartons, die den größten Teil des Frachtraums füllten.

«Wo bin ich?«fragte er.

«In einem Flugzeug der Roten Armee«, antwortete Tamara.

Sie lächelte, als Indiana fragend die Stirn runzelte.»Du hast ziemlich lange und ziemlich tief geschlafen, Indy«, sagte sie.

«Aber keine Sorge — jetzt ist alles in Ordnung. Wir sind auf dem Weg nach Moskau.«

«Moskau?«Indiana richtete sich erschrocken ganz auf und verzog das Gesicht, als ein scharfer Schmerz durch sein rechtes Bein fuhr. Automatisch sah er an sich herab und bemerkte, daß der Verband und die Schiene noch immer an ihrem Platz waren, obwohl man ihn mittlerweile gewaschen und in neue Kleider gehüllt hatte. Er wollte eine entsprechende Frage stellen, fing aber einen warnenden Blick von Tamara auf und schluckte sie im letzten Moment herunter.

«Moskau?«fragte er noch einmal.

«Keine Sorge«, sagte Tamara.»Wir machen dort nur eine Zwischenlandung. Du kannst auf der Stelle weiterfliegen — wenn du das möchtest. «Sie lächelte, überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, daß der Soldat neben ihr in eine andere Richtung sah, und blinzelte Indiana vielsagend zu.»Ich bin allerdings auch befugt, Dr. Jones«, sagte sie,»Ihnen die Gastfreundschaft der Sowjetunion anzubieten, solange Sie möchten. Vielleicht bleibst du eine Weile bei uns? Ich bin sicher, Moskau wird dir gefallen.«

Indiana war so verwirrt, daß er im ersten Moment nicht darauf antwortete. Dann sah er Tamara an, runzelte abermals die Stirn und sagte noch einmaclass="underline" »Moskau?«

Sie seufzte, zuckte mit den Achseln und lachte plötzlich.

«Überleg es dir«, sagte sie.»Du hast Zeit, dich zu entscheiden, bis wir landen. Und auch noch eine Weile danach. Es gibt ein paar Leute im Kreml, die dem berühmten Dr. Jones unbedingt die Hand schütteln und ihm persönlich danken wollen. Du wirst keine politischen Verwicklungen heraufbeschwören, indem du Sie vor den Kopf stößt, oder?«Aber ihre Augen glitzerten bei diesen Worten spöttisch, und nach einigen Augenblicken stimmte Indiana einfach in ihr Lächeln ein.

Wenn nur sein rechtes Bein nicht so verflucht weh getan hätte!