Es war nicht so, daß sie niemals Verehrer gehabt hätte, aber keiner von ihnen hatte ihren Maßstäben genügt. Sie hatte einen Liebhaber gehabt, im Sommer ihres dreißigsten
Lebensjahres, aber der hatte ihr das Geld und die Unschuld geraubt. Obwohl sie das niemals öffentlich zugegeben hätte - und sich reichlich albern vorkam, wenn sie es sich selbst eingestand - suchte sie einen Mann reinen Herzens, der bereit war, für das Gute in der Welt zu kämpfen - kurz gesagt, sie wollte einen Ritter der Neuzeit. Und sie wollte, daß man extra für sie ein Liebesgedicht schrieb. Aber nun, da der Winter des Lebens näher rückte, ihr dunkelbraunes Haar weiße Strähnen zeigte, schwand ihre Hoffnung auf solch einen Mann. Ihr Sonett schien in weite Ferne gerückt zu sein. Wenn sie nur, dachte sie wehmütig, noch einmal zwanzig sein könnte - heute lagen die Dinge für Mädchen ganz anders. Sie hatte zugesehen, wie eine Generation von Frauen sich die Haare kurz schnitt, Gin trank und nicht darauf wartete, bis einer ihrer Helden auf sie zukam.
Ihr Schreibtisch stand am Ende des Flurs, vor dem Büro des Leiters der Abteilung. Dort sinnierte Penelope Angstrom gerade über derlei Dinge nach, als Indy leise gegen die offene Tür klopfte. Er erschreckte sie so sehr, daß sie den Bleistift fallen ließ, den sie gehalten hatte. Er rollte Indy vor die Füße.
»Habe ich Sie beim Tagträumen erwischt, Miss Angstrom?« fragte er und gab ihr den Stift zurück.
»Bestimmt nicht«, verteidigte sie sich. »Ich habe im Geiste gerade eine Liste der nachmittäglichen Aktivitäten aufgestellt. Das hilft mir hin und wieder, meine Gedanken zu sammeln, Dr. Jones.«
»Ich fand eine Notiz, daß Harold mich sehen möchte«, sagte Indy.
»Aber sicher.« Sie flüsterte ein paar Worte in die Gegensprechanlage. »Dr. Gruber wird Sie in Kürze empfangen. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Indy setzte sich auf einen der steifen Holzstühle, die längs einer Bürowand aufgereiht waren. Normalerweise warteten hier mehr oder minder nervöse Studenten.
»Ich hoffe, daß Ihre Reise nach Südamerika erfolgreich verlaufen ist«, bemerkte sie.
»Nicht so produktiv, wie ich erwartet hatte«, erwiderte Indy. »Aber danke der Nachfrage. Wo wir gerade vom Reisen sprechen, haben Sie Nachricht von Dr. Morey erhalten?«
»Ja, gestern kam eine Postkarte von ihm. Er berichtet, daß er im Vatikan eine Menge zu tun hat, Princeton aber doch sehr vermißt und es nicht erwarten kann, im Herbst wieder bei uns zu sein.« Mit verschwörerischer Miene beugte sie sich vor. »Unter uns gesagt, Dr. Jones, ich kann es auch kaum erwarten, bis er wieder zurück ist. In letzter Zeit mußte ich eine Menge Arbeitsstunden darauf verschwenden, das Durcheinander zu entwirren, das unser Dr. Gruber angerichtet hat.«
»Harry scheint nicht über die Begabung zur Leitung einer Abteilung wie dieser zu verfügen«, äußerte Indy seine Meinung. »Und unter uns gesagt, Miss Angstrom, ich weiß, wie tief diese Abteilung in Ihrer Schuld steht - Gott, ich denke, wir könnten keine Woche ohne Sie überleben.«
Sie errötete.
»Danke«, brachte sie stotternd hervor.
Zögernd sagte sie dann: »Wahrscheinlich steht es mir nicht zu, das zu sagen, Dr. Jones, aber ich habe es sehr genossen, daß Sie bei uns waren. Ich weiß auch, daß Sie eine der Persönlichkeiten unter den jüngeren Kollegen sind, die Dr. Morey zu schätzen weiß, und ich finde, daß seine Einschätzung den Tatsachen entspricht. Sie sind überhaupt nicht wie die anderen. Wie kommt es nur, daß sich ein
Mann in einen egoistischen Snob verwandelt, kaum daß er einen Titel vor seinem Namen stehen hat, und das, obwohl er die Studenten absolut abscheulich behandelt? Doch Ihnen und Dr. Morey ist es gelungen, Ihre ... nun, Ihre Menschlichkeit beizubehalten.«
Jetzt war Indy an der Reihe, rot anzulaufen.
»Dr. Jones«, rückte sie plötzlich mit der Sprache heraus, »ich habe tatsächlich meinen Tagträumen nachgehangen, als Sie hereingekommen sind. Ich machte mir Gedanken über die Zeit und wie seltsam es ist, alt zu werden, obwohl ich mich tief in meinem Herzen noch wie ein Schulmädchen fühle. Meine Frage mag Ihnen eigenartig vorkommen, aber glauben Sie, daß es irgendwo tatsächlich so etwas wie einen Jungbrunnen geben könnte?«
»Das ist ein Mythos, der überall auf der Welt existiert«, meinte Indy. »Und es gibt viele Menschen, die ihr ganzes Leben mit der Suche danach zugebracht haben. Ponce de Leon dachte, er läge in Florida, und die Indios in Zentralamerika meinten, der Jungbrunnen sei eine magische Quelle auf den Bahamas.«
Die Gegensprechanlage läutete.
»Dr. Gruber wird Sie nun empfangen«, sagte sie.
Harold Gruber schaute nicht auf, als Indy in das Büro des Leiters trat. Indy stand, während Gruber in Rufus Moreys großem Drehstuhl saß und das getippte Papier in seinen Händen überflog. Nach einer ganzen Weile blickte er auf und schob Indy das Schriftstück hin.
»Das hier ist ein Kündigungsschreiben, das nur noch von Ihnen unterschrieben werden muß«, sagte Gruber und faltete die Hände hinter dem Kopf.
»Darf ich fragen, aus welchem Grund ich kündige?«
»Unterlassen Sie Ihre Spielchen. Das kommt bei mir nicht an«, meinte Gruber und beugte sich vor. »Sie wissen Bescheid. Sie haben gegen das Gesetz verstoßen, als Sie in Britisch Honduras nach Kunstschätzen suchten, um Sie auf dem Schwarzmarkt feilzubieten.«
»Schwarzmarkt?« fragte Indy ungläubig. »Ich habe im Namen des Museums eine Expedition durchgeführt. Rufen Sie Markus Brody in New York an - er wird alle Zweifel ausräumen.«
»Ah, das Museum dient Ihnen als Tarnung. Fungiert Brody als Ihr Partner in dieser Sache?« fragte Gruber. »Die Herren, die mir heute morgen einen Besuch abgestattet haben, hatten die Freundlichkeit, mir detailliert zu berichten. Wie es aussieht, behalten die Sie schon seit einer ganzen Weile im Auge. Im Interesse der Universität wäre es das beste, wenn Sie weiterzögen.«
»Das kommt einer Erpressung gleich«, verteidigte Jones sich. »Die Männer, mit denen Sie sich heute morgen unterhalten haben -«
Gruber hielt die Hand hoch.
»Ich werde Ihre Lügen und Ausreden nicht hinnehmen«, sagte er. »Wenn man dem FBI nicht vertrauen kann, wem soll man dann vertrauen? Sie haben bis heute abend Zeit, um Ihre Sachen aus 404 E zu räumen, oder wir werden Sie rauswerfen lassen.«
Gedankenverloren rieb Indy sein Kinn.
»Was geschieht mit meinen Klassen?«
»Uns steht eine kompetente Fakultät zur Verfügung, die durchaus in der Lage ist, den Ausfall einer Lehrkraft zu beheben.«
»Haben Sie sich mit Dr. Morey in Verbindung gesetzt?«
»Dazu besteht kein Grund«, erwiderte Gruber aalglatt.
»Ich habe heute morgen mit Präsident Dodd konferiert, und er hat sich meiner Einschätzung der Situation angeschlossen. Um ehrlich zu sein, Jones, ich tue Ihnen eigentlich einen Gefallen, indem ich Ihnen die Möglichkeit einräume, selbst zu kündigen.«