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»Ich bin sicher, sie übertreiben«, erwiderte Indy bescheiden. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit machte sich in seiner Brust breit.

»Nein, Sie begreifen nicht«, sagte Stefansson und zog die Hand zurück. »Abenteuer sind das Merkmal der Inkompetenz! Sicherlich nichts, worauf man stolz sein sollte. Und Ihre Methoden - o Schreck! Brody, warum verschwenden Sie Ihre Zeit mit diesem Mann?«

Das Gefühl der Wärme verschwand auf einen Schlag.

»Es tut mir leid«, sagte Brody. »Dr. Jones ist ein hochgeachteter -«

»Papperlapapp!« sagte Stefansson und fuchtelte mit dem

Gehstock vor Indys Nase herum. »Sie, Sir, sind nichts anderes als ein Grabräuber! Ein gewöhnlicher Dieb hat mehr Takt. Machen Sie Platz.«

»Aber hören Sie -«

»Ich will nichts mehr hören, Brody. Wie heißt es noch: Zeig mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist. Nun, ich möchte Ihnen raten, in Zukunft Ihre Freunde mit mehr Bedacht zu wählen.«

Stefansson zwängte sich zwischen den beiden perplexen Männern hindurch und betrat das Hotelfoyer, ohne nochmals zurückzublicken.

Indy steckte die Hände in die Jackentaschen und seufzte schwer.

»Nun«, meinte Brody und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Denen entgeht was. Was hältst du von einem gemütlichen Abendessen und einem Krug Wein? Durch nichts läßt sich die Stimmung besser aufheitern als durch eine gute Mahlzeit. Ich kenne einen prima Italiener, gar nicht weit von hier.«

»Ich hoffe, du lädst mich ein«, meinte Indy.

Auf dem Gehweg vor Carmine's bedankte Indy sich bei Marcus Brody für das Abendessen und merkte an, daß er sich schon wesentlich besser fühle, obwohl Brody ihn vor dem Knoblauch hätte warnen sollen. Brody lachte. Er fand auch, daß Indy viel besser aussah, sinnierte aber darüber nach, ob das vielleicht nur am roten Neonlicht des Restaurants lag.

»Wo kommst du unter?« fragte Brody nach. »Du bist herzlich eingeladen, deine Zelte bei mir aufzuschlagen, während du dich in der Stadt aufhältst.«

»Danke, aber ich fürchte, ich wäre dir nur eine Last«, meinte Indy. »Du machst dir jetzt schon genug Sorgen um mich. Ich werde einen Spaziergang in Richtung Downtown unternehmen und mir ein ruhiges Zimmer suchen, wo ich ein oder zwei Tage unterkriechen und Bilanz ziehen kann. Werde die Stellenannoncen in der Times studieren, meinen Lebenslauf auffrischen, mich um solche Dinge kümmern. Außerdem habe ich mein Gepäck in einem Schließfach in der Penn Station gelassen, als ich aus New Jersey kam, und das muß ich noch abholen.«

»Natürlich«, sagte Brody. »Aber halte Verbindung. Und falls du was brauchst« - Indy wußte, daß er auf Geld anspielte - »laß es mich auf jeden Fall wissen. Und Indy ... ich weiß, daß sich dein Blatt auch wieder ändern wird. Diese Sache da in Princeton ist doch nichts weiter als ein Miß -verständnis.«

Indy hielt seinem Freund die Hand hin.

Brody drückte sie, und dann umarmten sich die beiden Freunde innig.

»Ich gebe dir mein Wort darauf«, sagte Brody, als Indy ihn losließ. Auf einmal war sein Gesicht viel röter als der Schein der Neonreklame. »Kein Grund, sentimental zu werden.«

»Nein, dazu besteht wirklich kein Grund«, stimmte Indy ihm zu.

Brody trat auf die Kreuzung und winkte ein Taxi heran. Er winkte noch, als das Fahrzeug wegfuhr. Weil die Temperatur gefallen war, machte Indy seine Lederjacke zu, rückte seinen Fedora zurecht und wandte sich in Richtung Süden.

Er hatte kein bestimmtes Ziel, verspürte aber das Bedürfnis, sich zu bewegen. Als die Zahlen der Straßen sich in die Fünfziger und dann in die Vierziger bewegten, ließ er die edlen Hotels und Restaurants hinter sich und drang ins

Arbeiterviertel vor. Von heruntergekommenen Backsteinhäusern gesäumte Straßen mit Familienbetrieben im Erdgeschoß und die Hochbahn bestimmten hier das Stadtbild. Die Stadt nahm einen düsteren Farbton an, einmal abgesehen von den Lichtkegeln der vierundzwanzig Stunden lang geöffneten Missionen und Suppenküchen und den in Flammen stehenden Mülltonnen, um die sich grimmig dreinblickende Männer in schäbigen Klamotten scharten.

»Haben Sie zehn Cent für einen Veteranen übrig?« bettelte ein einbeiniger Mann auf einer Krücke vor dem Eingang zu einer schmalen Gasse. Er hatte einen britischen Akzent, und seine Kleidung verriet Indy, daß er früher einmal in der Armee Ihrer Majestät gedient hatte.

Indy spürte das Verlangen, seinen Schritt zu beschleunigen, ohne den Bettler zur Kenntnis zu nehmen, blieb aber stehen und kramte in seiner Hosentasche nach Kleingeld. Seine finanziellen Mittel waren äußerst dürftig - bei seiner Entlassung war ihm keine Abfindung vergönnt gewesen -, aber er fischte einen Quarter heraus und legte ihn in die schmierige Handfläche.

»Ich wünsche Ihnen bessere Zeiten«, sagte er noch.

»Danke, Sir«, sagte der Mann. Sein Atem roch schwer nach Alkohol.

»Kaufen Sie sich was Ordentliches zu essen«, schlug Indy vor.

»Ich nehme meine Mahlzeiten in Form von Pints ein«, sagte der Einbeinige.

»Sie halten sich also eine Diät, bei der man nur Flüssiges zu sich nehmen darf«, scherzte Indy mit dem Fremden.

»Sie haben Sinn für Humor. Das ist gut«, erwiderte der Mann und betrachtete Indy aus seinen rotgeäderten Augen. »Captain, falls Sie die Frage nicht stört, was bringt Sie in diese Gegend? Hier ist es nicht gerade sicher, wissen Sie.«

»Ich mache nur einen Spaziergang.«

»Ach? Von uns geht nie einer spazieren«, sagte der Mann. »Nicht hier.«

»Da haben Sie recht«, stimmte Indy ihm zu. »Ich suche ein Zimmer für die Nacht. Ich habe gerade meine Arbeit verloren und muß sehen, wie ich mit dem übrigen Geld fürs erste zurechtkomme.«

»Das ist schrecklich«, fand der Mann.

»Sie empfinden Mitleid für jemanden wie mich?« fragte Indy ungläubig.

»Aber sicher«, sagte der Mann und drückte den Rücken durch. »Ich mag ein Penner sein, aber ein Tier bin ich nicht.«

»Tut mir leid«, meinte Indy. »Und übrigens - ich halte Sie nicht für einen Penner.«

»Oh, aber das bin ich - Sie brauchen sich meinetwegen nicht beschissen zu fühlen. Und wenn ich Sie wäre, würde ich auf meine Brie ftasche achten. Sie können es sich nicht leisten, jeden Typen durchzufüttern, der Sie um Geld anmacht. Wie sagte der Herr: Die Armen werden immer unter uns sein. Ich erledige nur meine Aufgabe.«

Indy lächelte.

»Tommy Atkins, stehe zu Diensten«, stellte der Mann sich vor und fiel beinahe um, als er zu einer Verbeugung ansetzte. »Hab' das verdammte Bein in Argonne verloren und es seit damals nicht wiedergefunden.«

»Sie können mich Jones nennen«, sagte Indy und half At-kins, das Gleichgewicht wiederzufinden. »Da Sie sich in dieser Gegend so gut auszukennen scheinen, können Sie mir vielleicht raten, wo ich heute nacht schlafen kann.

Nichts Besonderes - nur ein Bett und einen Stuhl und etwas Licht.«

»Ah, Captain. Das ist schwierig für mich. Hier unten haben wir nicht gerade viel reiselustiges Volk. Aber ich meine, es gibt eine Pension, drüben auf der 36. Straße. Über dem Lebensmittelgeschäft. Die Henne, die sie betreibt, ist so störrisch wie ein Dreitagebart, aber sie wird Sie schon ordentlich behandeln.«

»Welche Richtung muß ich gehen?«

»Sie haben sich verlaufen, hm? Seien Sie froh, daß Sie über Tommy Atkins gestolpert sind, der Ihnen weiterhelfen kann. Nun, Sie gehen zwei Blocks diese Straße hinunter, biegen nach rechts und gehen dann weitere vier Blocks, dann sind Sie dort. Hängt ein Schild im Fenster.«

»Bin Ihnen sehr verbunden«, sagte Indy und machte sich auf den Weg.