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»Es tut mir leid, daß Sie es nicht rechtzeitig geschafft haben«, meinte der Lieutenant. Indy blickte zum Himmel hoch. Das Luftschiff blendete die Sonne aus und tauchte den Flughafen in ein unnatürliches Zwielicht, was durch den feinen Sprühnebel, der schon den ganzen Morgen fiel, verstärkt wurde. Unter der Macon war es allerdings staubtrocken. Das Luftschiff, dessen Motoren nun arbeiteten, stieg langsam auf. Auf Befehl ließen die Matrosen die Vertäuungsseile los. Das Brummen der Motoren schwoll ein wenig an, als die außen angebrachten Propeller, die sich um neunzig Grad drehen konnten, sich für den vertikalen Abflug nach oben richteten.

»Weg ist das Luftschiff aber noch nicht«, sagte Indy.

Er zögerte einen Moment. Ein Dreigespann kräftiger Matrosen kämpfte mit der Vertäuung, die von der Nase des Luftschiffes herunterbaumelte, und wartete auf das Kommando, loszulassen.

»Ich weiß jetzt schon, daß ich das noch bereuen werde«, sagte Indy.

Seinen Koffer umklammernd, sprintete er über den Flughafen, während der Lieutenant sein Treiben mit offenem Mund beobachtete. Nun wurde über Megaphon der Befehl gegeben, die vorderen Seile loszulassen, und die drei Matro-sen folgten der Aufforderung, den Giganten in die Freiheit zu entlassen. Das Seil schleifte ein paar Meter über den Rasen, ehe das verknotete Ende ein paar Fuß über dem Erdboden hing.

Indy rannte schneller.

Er zog den Hut tief in die Stirn und griff mit der rechten Hand nach dem Seil.

Doch das Seil schien ein Eigenleben zu führen.

Indy wurde hochgerissen. Die Spitzen seiner Schuhe schliffen Furchen in die Erde, während ihn das Gefühl beschlich, ihm wolle jemand den Arm aus dem Schultergelenk reißen. Dann baumelten seine Füße in der Luft. Er warf den Koffer weg und klammerte sich rasch auch noch mit der linken Hand an das Seil.

Der Koffer schlug auf den Boden und platzte auf. Durch den Luftstrom aus den Propellern tanzten seine Kleider über den Flughafen. Der Boden fiel unter ihm weg, und sein Herz machte einen Sprung, als er feststellte, daß er nun schon zu weit oben war, um noch loszulassen. Das Seil war vom Regen naß, und er rutschte ein paar Zentimeter nach unten, bevor er fester zupackte. Die Erinnerung an ein grobkörniges Foto zweier junger Seemänner, die den Tod gefunden hatten, nachdem sie sich in San Diego an den Vertäuungsseilen eines Luftschiffs festgeklammert hatten, heizte seinen Überlebenstrieb an. Eine Handbreit um die andere zog er sich nach oben, bis er das Seil um die Knöchel winden konnte. Sein linker Schuh löste sich und fiel nach unten. Es kostete Indy einige Mühe, nicht nach unten zu schauen.

Erstaunte Gesichter verfolgten durch die vorderen Fenster der Passagiergondel sein waghalsiges Manöver. Als der Flugingenieur und der Navigator sich kurz darüber stritten, ob das Luftschiff auf die Erde zurückkehren sollte, war die Konfusion perfekt.

»Nein», sagte Kommandant Alger Dresel und beharrte darauf, den Kurs beizubehalten. »Der Wind ist zu stark für dieses Terrain. Wir würden ihn durch die Baumkronen ziehen oder die Schuld daran tragen, wenn er gegen eine Hausmauer knallt. Dieser Narr hat eine größere Chance, wenn wir ihn sich selbst überlassen.«

Der Pilot nickte zustimmend.

»Schaffen Sie ein paar Männer nach vorn. Sie sollen ihn hochziehen«, ordnete Dresel an.

Indy arbeitete sich am Seil hoch.

Zweihundert Fuß trennten ihn vom Schiffskörper der Macon. Seine Arme schmerzten höllisch, aber ihm blieb keine andere Wahl als weiterzumachen. Die Matrosen, die ihn von der Kurbelplattform aus im Auge behielten, konnten ihm nicht helfen, weil die Vertäuungsseile außerhalb ihrer Reichweite lagen.

Auf halber Strecke legte Indy eine kurze Verschnaufpause ein. Sein Gewicht verlagerte er allein auf die Beine, um die Arme und Schultern kurz zu entlasten. Dann zwang er sich, weiterzumachen. Schließlich gelangte er auf gleiche Höhe mit dem Boden des Schiffsrumpfs, doch wegen der Zigarrenform der Macon lagen immer noch ein paar Meter zwischen ihm und der Steuerbordseite. Mittlerweile regnete es richtig. Er schüttelte den Kopf, als ihm die Regentropfen in die Augen liefen. Auf der Suche nach einer Einstiegsluke oder einem Fenster ließ er den Blick über den Körper des Luftschiffs schweifen, doch die silberne Außenhülle der Macon war wie aus einem Guß.

Er kletterte weiter.

Nun hatte er wirklich nur noch ein paar Meter zu über-winden. Unerwarteterweise neigte sich der Gigant leicht nach Backbord. Der Pilot arbeitete ganz sanft am Steuermechanismus. Indy wurde gegen den Rumpf gedrückt.

Mit einer Hand griff er nach der gewachsten Stoffhaut des Riesen. Er suchte nach einer Möglichkeit, sich festzuhalten, aber die Oberfläche war zu glatt und schlüpfrig. Voller Verzweiflung zog er das Taschenmesser hervor, klappte es mit den Zähnen auf und hieb die Klinge, so fest er konnte, in die Schiffsseite. Die Spitze durchbohrte den Stoff. Instinktiv zuckte er zusammen, weil er erwartete, daß nun Gas aus der Öffnung drang, aber nichts passierte. Mit aller Kraft schob er das Messer tiefer hinein und machte einen drei Fuß langen Schlitz.

»Da ist er!« rief jemand im Innern.

Eine Hand griff durch den Schlitz, packte die Vorderseite seiner Lederjacke und zog ihn hinein. Erst dann ließ Indy das Seil los. Am Schlitz hatte der Stoff eine Struktur wie Schleifpapier. Beim Durchrutschen schürfte er sich die linke Wange auf.

Nun befand er sich im Aluminiumträger-Labyrinth der Steuerbordrampe, die an der Seite durch den ganzen Schiffsrumpf lief. Über seinem Kopf hingen die großen Heliumzellen.

Eine Gruppe Männer stand über ihm.

»Na, nicht schlecht die Nummer«, rief der breitschultrige Matrose, der ihn reingezogen hatte. »Das hat bisher noch niemand geschafft. Mister, Sie müssen aber echt scharf darauf gewesen sein, mit einem Zeppelin zu fliegen.«

Indy wollte eigentlich sagen, daß es für alles immer ein erstes Mal gab, war aber nicht in der Lage, die Worte über die Lippen zu bringen. Er bebte am ganzen Körper und spürte seine Hände nicht mehr. Schwerfällig berührte er mit dem Handrücken sein Gesicht und inspizierte die Blutstropfen, die von den Schürfwunden stammten. Dann betrachtete er seine Handflächen. Sie bluteten und waren wund.

»O'Toole, lassen Sie das Gequatsche«, fauchte der Mannschaftsleiter. »Und unterlassen Sie es in Zukunft, mein wunderschönes Luftschiff mit einem stinkenden, brennenden, hydrogen-gefüllten Zeppelin zu vergleichen.«

»Tut mir leid, Chef.«

»Schaffen Sie ihn in eins der Quartiere hinunter und sorgen Sie dafür, daß er sich waschen kann«, ordnete der Mannschaftsleiter an. »Der Kommandant möchte ihn zu Gesicht kriegen. Und Sie beide, fangen Sie an, das Loch zuzunähen. Man stelle sich nur vor, ein Zivilist schneidet die Hülle meines nagelneuen Luftschiffs auf.«

O'Toole half Indy auf die Beine und führte ihn die Gangway zu den Mannschaftsquartieren hinunter. Er sorgte dafür, daß er sich in eine Koje legte und schenkte ihm eine Tasse starken heißen Kaffee ein, während Indy sich aus seinen nassen Klamotten schälte. Der Matrose brachte ihm Handtücher und eine saubere Latzhose und machte sich dann auf die Suche nach dem Erste-Hilfe-Kasten.