»Aber sicher«, sagte Mario und schüttelte den Kopf. »Er war gar nicht erfreut, als er erfuhr, daß Sie nicht tot sind, weil er fürchtete, Ihnen während Ihrer kurzen Begegnung zuviel verraten zu haben.«
Mario rückte vor und täuschte einen linken Haken vor, ließ sich statt dessen aber auf den Boden fallen und stieß Indy mit seinen kraftvollen Beinen um. In einer Sekunde hatte er sich auf Indy gerollt und drückte ihn gegen den Hangarboden.
Dann zückte er eine automatische Pistole und hielt Indy die Mündung an den Kopf.
»Ich würde Sie ja erschießen, aber der Lärm würde die anderen alarmieren«, verriet er ihm. »So muß ich mich eben damit begnügen, Sie über Bord zu werfen. Aus dieser Höhe dürfen Sie ungefähr drei Minuten und fünfundvierzig Sekunden freien Fall genießen, ehe Sie ins Meer tauchen. Aber keine Sorge - Sie werden nicht ertrinken. Der Aufschlag aus dieser Höhe wird dafür sorgen, daß Sie gleich sterben.«
Mario kniete sich hin, drückte den Pistolenlauf in das weiche Fleisch unter Indys Kinn und drängte ihn zur Luke hinüber.
»Ich würde ja gern bleiben und kämpfen, aber anscheinend bleibt mir dazu keine Zeit.«
Mario verpaßte Indy einen Schlag mit dem Pistolengriff, worauf Indy in die Luke fiel. Mit der rechten Hand hielt er sich am Rand des Decks fest. So baumelte er einhändig über dem Meer. Wind und Regen peitschten über ihn hinweg.
Mario schaute auf seine Uhr.
»In fünf Minuten wird alles vorbei sein. Come si chiama - wie heißt es noch? - la bomba?« Mit der Stiefelsohle trat Mario auf Indys Knöchel.
»Was werden Sie während der vierminütigen Reise nach unten wohl denken ?« fragte er. » So kurz und doch eine ganze Ewigkeit! Werden Sie das Gesicht der Frau sehen, mit der Sie das letzte Mal geschlafen haben, oder werden Sie nach Ihrer Mutter oder Ihrem Vater rufen? «
Indy schaute Mario über die Schulter.
»O'Toole« rief er.
»Hinter mir ist niemand. Halten Sie mich für so einen -«, begann Mario. Das Wort Dummkopf kam ihm als undeutliches Grunzen über die Lippen, denn O'Toole schlug - so fest er konnte - mit seinem Louisville Slugger auf ihn ein. Marios Kopf klang so hohl wie eine Wassermelone. Die Waffe fiel ihm aus der Hand, als er mit dem Gesicht auf dem Hangarboden aufschlug. Er rührte sich nicht mehr.
»Heimsieg«, rief O'Toole erfreut. Er kickte die Waffe aus Marios Reichweite, kniete sich dann hin und zog Indy mit festem Griff in den Hangar zurück.
»Ist schon das zweite Mal, daß ich Sie reinziehen muß, Professor«, sagte O'Toole. »Was unterrichten Sie eigentlich, Zirkusakrobatik?«
»Es gibt eine Bombe«, keuchte Indy. »Uns bleiben weniger als fünf Minuten. Rufen Sie Dresel an und setzen Sie eine Suche in Gang. Sofort!«
Indy drehte Mario um und schlug ihm so lange ins Gesicht, bis er zu sich kam.
»Wo ist sie?« fragte er.
»An einem sehr guten Platz«, sagte Mario.
»Sagen Sie mir, wo!«
»Der Skipper ist unterwegs«, rief O'Toole vom Telefon herüber. Indy ballte die Hand zur Faust, aber der Blick aus Marios Augen verriet ihm, daß Gewalt nichts nützen würde.
Indy hob die Pistole auf und warf sie O'Toole hin.
»Passen Sie auf ihn auf«, sagte er und begann, die nähere Umgebung abzusuchen.
»Er kann sie überall im Schiff versteckt haben«, sagte O'Toole.
»Wir müssen trotzdem suchen«, entgegnete Indy.
Als Kommandant Dresel und seine Leute kamen, gingen alle Lichter an.
»Jones!« rief Dresel. »Was hat das hier zu bedeuten?«
»Es befindet sich eine Bombe an Bord«, sagte Indy.
»Wir haben diesen Mann hier gefunden«, warf O'Toole ein und richtete den Pistolenlauf auf Mario. »Aber er will uns nichts verraten.«
»Wie zum Teufel ist der an Bord gekommen?« wollte Dresel wissen.
»Wir haben keine Zeit für langatmige Erklärungen«, sagte Indy. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Uns bleiben noch etwa drei Minuten.«
Dresel setzte sich mit allen Schiffsebenen in Verbindung. Hörner ertönten, und aus den Gegensprechanlagen schallten knarzend Befehle, während die Suche lief. Das Durcheinander ließ Mario kichern.
»Sie haben nicht genug Zeit, um sie zu finden«, freute er sich.
»Dann werden Sie mit uns sterben«, meinte Indy.
»Gern.«
Lichtblitze zuckten durch den Himmel unter ihnen, gefolgt von ohrenbetäubendem Donnergrollen. Dresel stand schweigend da und wartete mit auf dem Rücken verschränkten Händen. O'Toole stützte sich auf seinen Baseballschläger und zielte auf Mario, während er ängstlich zu Indy hinüberschaute.
»Zwei Minuten«, sagte Indy.
Dresel beäugte Mario mit angewiderter Miene.
»Diesen Befehl habe ich noch niemals zuvor gegeben«, sagte er. »Aber hier steht das Leben von siebenundachtzig Männern auf dem Spiel. Matrose O'Toole, prügeln Sie die Information aus ihm heraus.«
»Aye, aye, Sir.«
O'Toole schulterte den Schläger und ging auf Mario zu, der von zwei anderen Besatzungsmitgliedern festgehalten wurde. Mario drehte sich hin und her, riß sich los und sprang dann ins Leere.
Mit beiden Händen erwischte er den Trapezmechanismus und baumelte einen Augenblick lang daran, während er Indy und die anderen betrachtete. Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ er los.
»Spazio!« rief er und fiel nach unten.
»Einfach prima«, meinte Indy. »Skipper, falls Sie eine Bombe auslegen müßten, um die Macon zu zerstören, wo würden Sie sie hinlegen, wenn es wie ein Unfall aussehen soll?«
Dresel überlegte.
»Ich würde sie in den Schacht legen, in dem die Kontrollleitungen zum Schiffsende laufen. Damit würden die Ruder und die Fahrstühle stillgelegt. Und wir würden wie ein Stein ins Wasser plumpsen.«
»Und von wo aus macht man das?«
»Das ist nicht weit«, sagte Dresel. Er und O'Toole liefen schon los.
Als Indy sie einholte, im Gang hinter dem Hangardeck, kroch O'Toole mit einer Taschenlampe durch eine Inspektionsluke.
»Ich habe sie gefunden«, rief er.
Er reichte ein Bündel mit fünf Dynamitstangen heraus, die an einer schwarzen Schachtel fixiert waren. Dann begann er, die Drähte loszupflücken, aber Indy hielt ihn mit einem Ruf zurück.
»Wenn Sie die falschen ziehen, geht sie in die Luft«, erklärte er.
Der Matrose nahm die Bombe und rannte los.
Indy schaute abermals auf seine Uhr. Die Zeit war abgelaufen, aber es hatte keinen Sinn mehr, diese Information auszugeben. Ein paar Sekunden mehr oder weniger machten einen beträchtlichen Unterschied. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Atem anzuhalten.
Auf der Backbordseite ertönte eine Explosion.
»Gott sei Dank«, flüsterte Dresel.
»Ja, dem schließe ich mich an«, sagte O'Toole.
Indy atmete wieder.
Als sie ins Hangardeck der Macon zurückkehrten, war das unter dem Schiffsrumpf hängende Flugzeug verschwunden. Der Pilot hatte Mario seinem Schicksal überlassen, hatte sich ausgeklinkt und war geräuschlos im Sturm untergetaucht.
»Sie werden niemals in der Lage sein, bei so einem aufgewühlten Meer das Flugzeug zu finden«, vermutete Dresel. »Zu schade, denn ich hätte den Piloten nur allzugern den zuständigen Behörden ausgeliefert.« Dann drehte er sich um und schüttelte Indy die Hand.
»Jones, ich bin Ihnen für Ihr schnelles Handeln überaus dankbar, aber ich werde auch drei Kreuze schlagen, wenn Sie endlich mein Luftschiff verlassen. Überall, wo Sie auftauchen, scheint es Schwierigkeiten zu geben.«
»Um ehrlich zu sein, eigentlich ist das nicht so«, verteidigte sich Indy.