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Blutegel hatten sich an ihm festgesetzt.

Mit grimmiger Miene zupfte er den Großteil der Schmarotzer von den Händen und dem Gesicht ab. Um den Rest wollte er sich später kümmern. Die Zeit war knapp,- ihm blieben gerade noch zwei Minuten. Als der Tunnel hoch und breit genug war, begann er zu rennen. Durch den Aufprall seiner Schritte lösten sich drei schwere Steinblöcke von der Decke und schlugen mit ohrenbetäubendem Knall an der Stelle auf, wo er gerade eben noch gestanden hatte. Bei der Vorstellung, welchem Schicksal er mit knapper Mühe entgangen war, wurde ihm flau im Magen.

Der Tunnel endete. Indy stand am Ufer der Heiligen Quelle - einem Kalksteinloch, das sich vor Urzeiten im Ge-stein herausgebildet hatte. Das Wasser schimmerte blaßblau. Irgendwo mußte Sonnenlicht eindringen, obwohl die Decke der Grotte dunkel war. Im fahlen Lichtschein erkannte Indy, daß am Rand weiße Berge aus Kugeln und Stangen aufgeschichtet worden waren.

Beim Nähertreten stellte sich heraus, daß die Kugeln und Stangen Teile menschlicher Skelette waren. Erschüttert kniete er daneben nieder.

Eines der vergilbten Skelette gehörte einer Frau, zweifellos einer Prinzessin oder Gefährtin eines Königs. Das verrieten ihm die Juwelen, die sie getragen hatte. Ein Obsidian-Halsschmuck, ein Jadearmreif und Knöchelketten lagen inmitten der verstreuten Knochen. Und mindestens ein Dutzend kleiner Glocken aus einer Kupfer-GoldLegierung. Die Klöppel waren entfernt worden - damit hatte man sie >tot< gemacht und hergerichtet, um die Prinzessin auf ihrer Reise in die Unterwelt zu begleiten. Indy hob einen der fragilen Knochen auf.

»Ihr hattet schmale Handgelenke, Prinzessin.«

Anhand der Mineralisierung, die eingetreten war, schätzte Indy, daß das Skelett wenigstens achthundert, wenn nicht gar tausend Jahre alt sein mußte. Indy registrierte, daß alles, was sich hier vor seinen Augen ausbreitete, typisch für die Maya-Opfer der spätklassischen Periode war. Mit Ausnahme von zwei Dingen: Der Schädel war heil, während der Brustkorb eingetreten worden war. In einer traditionellen Zeremonie hätten die Priester der Frau den Schädel einschlagen müssen, bevor sie ihren Leichnam dem Gott der Quelle darboten.

Das andere Skelett war weißer.

Es war das eines Mannes und in Kleider gehüllt, die zur Zeit Königin Victorias modern gewesen waren. Natürlich waren vom mürben Stoff nur noch Fetzen übrig. Indy war sich hundertprozentig sicher, daß man ihn beim Ausrauben der Prinzessin überrascht hatte, weil sich einige ihrer Schmuckstücke in den Taschen seines sich auflösenden Gehrocks befanden. Auch bei ihm war der Brustkorb eingedrückt worden. Ein altmodischer Revolver lag neben den Knochen seiner rechten Hand. Indy hob die Waffe auf und inspizierte den Zylinder. Alle sechs Kammern waren leer.

»Tobias«, sagte Indy laut. »Was ist denn hier nur vorgefallen?«

Am Rand der Quelle und im Wasser lagen weitere Skeletteile verstreut, aber sie verrieten ihm nichts. Die meisten Toten lagen allerdings in der Nähe der Stelle, wo Indy gerade stand, obwohl es anscheinend keinen Altar, keine Opferstelle gab.

Das Schimmern des Wassers wurde von Sekunde zu Sekunde intensiver. Indy sah auf seine Uhr. Jetzt war es soweit. Nun mußte die Schlange den Sockel der Pyramide erreicht haben. Ihn überkam das Gefühl, in Gefahr zu schweben. Den alten, verrosteten Revolver ließ er zu Boden fallen und griff statt dessen nach seiner eigenen Waffe, Kaliber .38, die in einem Gürtelholster verstaut war.

Durch die Grottendecke fiel ein breiter Lichtstrahl und rückte vom anderen Ende der Höhle über das Wasserloch näher. Das Wasser war so klar und das Licht so intensiv, daß die Knochen und Schmuckstücke auf dem sandigen Boden der Quelle zu sehen waren.

Der Lichtstrahl näherte sich Indy.

Immer noch den Revolver haltend, duckte er sich und ließ das Licht über sich hinweggleiten. Es traf auf die Wand hinter ihm, illuminierte einen Schädel aus Kristall, der auf einem Altar in einer Felsnische lag. Ohne das einfallende

Licht wäre Indy dieser Gegenstand niemals aufgefallen. Aus den Augen und dem Mund des Schädels strahlte vielfarbiges Licht und brannte so hell, daß es Indy blendete.

Ehe er sich versah, war das Licht wieder verschwunden.

Nur Indys Karbidlampe warf ihr mattes Licht in die Grotte.

Er verstaute seine Waffe und bewegte sich vorsichtig zwischen den aufgeschichteten Knochenhaufen zum Altar. Vor dem Schädel kniete er sich hin. In Form und Größe glich er dem Kopf eines Menschen. Bei seinem Anblick mußte Indy dem längst toten Künstler Respekt zollen für die detailgetreue Arbeit, die er geleistet hatte. Die Wangenknochen waren perfekt herausgearbeitet, und der fein modellierte Unterkiefer verfügte über eine makellose Zahnreihe. An den Stirnknochen las Indy ab, daß es sich um einen weiblichen Schädel handeln mußte.

Indy ließ seinen Blick über den Altar schweifen, suchte nach Fallen und nahm den Kristallschädel in die Hand, als er keine finden konnte.

Nichts passierte.

»Das ist zu einfach«, sagte er.

»Ja, Dr. Jones, da haben Sie recht.«

Ganz langsam blickte Indy über seine Schulter. Eine Mauser-Automatikpistole war auf seinen Rücken gerichtet. Sie wurde von einem großen, kahlköpfigen Mann gehalten, der einen braunen Anzug und eine Krawatte trug, die von den Faschisten bevorzugt wurden. Eine auffällig rote Narbe zog sich über den Schädel des Mannes. Die Uniform wies Schlammspritzer auf. In der anderen Hand hielt der Fremde eine Kerosinlampe. Seitlich an seinem Kopf hatte sich ein Blutegel festgesaugt. Als er lächelte, blitzten in seinem Mund goldene Schneidezähne auf.

Hinter dem Fremden lauerte ein Schläger in grauer Uniform mit schwarzen Streifen. Mit einem Gewehr hielt er den verstörten Bernabe in Schach. Zu Füßen des Schlägers stand eine zweite Laterne.

Der Kahlköpfige stellte seine Laterne auf den Boden, ehe er Indys Webley aus dem Holster zog und ihm die Peitsche abnahm. Die Waffe warf er ins Wasser, die Peitsche beiseite.

Und dann schnappte er sich den Kristallschädel.

»Ach, sieh an, die namenlose Göttin des Todes - sie ist viel älter, als man sich überhaupt vorstellen kann. Und von solch außergewöhnlichem handwerklichen Geschick. Ist Ihnen aufgefallen, wie anatomisch genau dieser Schädel gefertigt ist, Dr. Jones? Im Vergleich zu anderen Gegenständen, die die Mayas hergestellt haben, fällt dieses Kunstwerk aus dem Rahmen. Normalerweise hatten sie keinerlei Gespür für Mimik.« Melancholisch betrachtete er den Schädel, den er in Händen hielt. »Nein, das hier ist die Arbeit einer älteren und uns unbekannten Zivilisation und zwar von einer, deren Fähigkeiten denen der Mayas bei weitem überlegen waren - und, wie ich sagen möchte, unserer eigenen vergleichbar ist.«

»Wer immer Sie sein mögen«, sagte Indy, »Sie stehen ganz offensichtlich auf Märchen.«

»Verzeihen Sie mir«, erwiderte der Glatzkopf. »Woran denke ich nur? In meiner Aufregung habe ich vergessen, daß wir einander ja nicht offiziell vorgestellt worden sind. Leonardo Sarducci, ich stehe Ihnen zu Diensten.« Ohne die Waffe runterzunehmen, stand er stramm und klackte die Hacken zusammen. »Es wäre unklug, mehr zu verraten.«

»Ich kann nicht sagen, daß ich mich freue, Sie kennenzulernen«, meinte Indy, ohne die Mauser aus den Augen zu lassen.

»Oh, aber ich freue mich, Ihnen zu begegnen«, sagte Sarducci. »Mit großem Interesse habe ich Ihre faszinierende Karriere verfolgt. Im Moment sind Sie an der Princeton University, nicht wahr?«