Gesegnet sei der Herr dafür, daß er uns ständig mit Geschenken überschüttet. Etwas später ^ folgen unsere Gebete für den Propheten Abraham und seine Familie, dem dieses Buch ergebenst gewidmet ist. Friede sei mit ihnen!
Indy hatte es die Sprache verschlagen. Alecia sprach mit der Stimme eines Mannes, eines sehr alten Mannes. Er griff nach seinem Bleistift und begann zu schreiben.
Das hier ist die Geschichte von al-Jabir ibn-Hayyan, dessen Weisheit mir dargeboten wurde, nachdem ich das Grab von Hermes verlassen habe und in den Besitz der Ta -bula Smaragdina gekommen bin. Ich erkläre hiermit: Die-jenigen, die das Grab betreten und nicht reinen Herzens sind, sollen erkranken und innerhalb von vierzehn Tagen sterben, und diejenigen, die so rücksichtslos sind und das goldene Faß öffnen, in dem der Stein liegt, sollen dort, wo sie stehen, erschlagen werden.
Indy begann, schneller zu schreiben.
Hier sind die Enthüllungen des Hermes:
Sage keine Unwahrheiten, sondern nur das, was sicher und wahr ist; das, was unten liegt, ist gleich dem, was oben liegt, und was oben liegt, ist gleich dem, was unten liegt.
Wie alle Dinge durch ein einziges Wort von Gott erschaffen wurden, so werden alle Dinge, die hierdurch entstehen, durch Adaption geschaffen. Suchet die prima materia, denn dadurch wird euch der Ruhm der ganzen Welt zuteil, und ihr werdet niemals der Dunkelheit erliegen. Das ist der erste Schritt zum Stein.
Er wurde vom Wasser geboren, vom Feuer geschmiedet, durch den Wind vom Himmel herabgebracht und von der Erde genährt. Und es gibt ihn überalclass="underline" Hausfrauen werfen ihn hinaus, Kinder spielen damit.
Seid frei von Begierde, Heuchelei und Sünde. Ein schlechter Mensch wird niemals etwas erreichen.
Alecias Kopf fiel vornüber. Sie schwankte auf ihrem Stuhl.
Indy ließ den Bleistift fallen, streckte beide Hände über den Tisch und hielt sie an den Schultern fest. Mit flatternden Lidern betrachtete sie ihn. Noch kurzzeitig verwirrt, blickte sie sich um, schluckte und setzte sich aufrecht hin.
»Es geht mir gut«, sagte sie.
»So sieht es aber nicht aus«, entgegnete Indy.
»Doch, es geht mir gut«, wiederholte sie. »Haben Sie etwas erfahren?«
»Ja.« Indy schob ihr das Notizbuch hin. »Aber ich fürchte, daß dadurch mehr Fragen aufgetaucht als beantwortet worden sind.»
Sie blätterte die Seiten des Notizbuches durch.
»Ihre Handschrift ist unlesbar«, meinte sie. »Was bringt man euch in Amerika bei? Sie müssen es mir schon vorlesen. Was bedeutet dieses Wort hier?«
»Ich hatte es schließlich eilig«, verteidigte Indy sich und richtete den Blick auf die Zeile, auf der ihr Finger lag. » >Prima materia<. Die erste Materie.«
»Oh, das sind zwei Worte. Das konnte ich nicht erkennen. Und das hier?«
Indy las das Wort. »Tabula Smaragdina.«
»Die smaragdgrüne Tafel«, übersetzte sie.
Alecia lehnte sich zurück.
»Das ist al-Jabir«, meinte sie. »Falls mich mein Erinnerungsvermögen nicht im Stich läßt, ist er jener arabische Mystiker und Mathematiker, dem wir die moderne Algebra zu verdanken haben, oder?«
»Ja«, stimmte Indy ihr zu. »Aber sein Name steht auch für die lateinische Wurzel unseres Wortes Kauderwelsch. Und genau das scheinen wir hier zu haben - eine lange Liste sinnloser Rätsel.«
Alecia stand vom Tisch auf.
»Ich bin erschöpft«, sagte sie. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, werde ich mich ein bißchen hinlegen. Bitte, wecken Sie mich auf, bevor wir den Kanal erreichen. Dort werden sie den Müll abladen und bis dahin müssen wir ein anderes Schiff aufgetrieben haben.«
Alecia legte sich in die Koje an der gegenüberliegenden Wand. Eine Minute später war sie eingeschlafen. Indy fand eine alte abgewetzte Decke, mit der er sie behutsam zudeckte. Danach kehrte er an den Tisch zurück, überflog die Übersetzung und legte das Notizbuch beiseite.
Er beobachtete Alecia beim Schlafen.
Nach einer Weile nahm er seinen Bleistift in die Hand und begann mit einer Skizze auf einer leeren Seite seines Notizbuches. Er zeichnete Alecia mit ihren roten, um den Kopf drapierten Haaren, mit ihrem leicht geöffneten Mund und den entspannten Gesichtszügen. Ihrer feinen, nach oben gebogenen Nase und ihren Ohren schenkte er besondere Aufmerksamkeit - sie waren besonders zart und schienen leicht spitz auszulaufen.
Ihr herzförmiges Gesicht mutete im Moment geradezu kindlich an. Er wünschte sich, ihr ihre Geschichte abnehmen zu können. Zumal es ihm leichtfiel, sie sich als Sie -benjährige vorzustellen, der gesagt wird, daß sie die Letzte einer ganz besonderen Rasse ist und die man auffordert, sich in einem Tätowierungsstudio mit dem Gesicht nach unten auf einen Tisch zu legen, ehe die Nadeln ein jahrhundertealtes Muster in ihre Haut malen. In Indys Augen setzte die Tätowierung ihre Schönheit nicht herab, sondern unterstrich sie eher nur. Er hatte den Wunsch, den Rest der Tätowierung sehen zu dürfen. Er stellte sich vor, daß sie sich wie ein Paar zarter Schwingen über ihren bloßen Rük-ken zog.
Erschöpft legte er den Bleistift weg und rieb sich die Augen. Obwohl er ihr nicht über den Weg traute, fiel ihm auf, daß er anfing, sie zu mögen. Er bettete den Kopf auf die gekreuzten Arme und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Das Klappern von Absatzstiefeln und erboste Stimmen weckten Indy auf. Er nahm seine Notizen und die Manuskriptkopie und verstaute sie in seinem Sack, zusammen mit einer halbvollen Schachtel .38er Munition, die auf dem Regal in der Kajüte lag. Die Waffe des Kapitäns verlangte nach den gleichen Patronen wie seine Webley. Dann kniete er sich neben Alecia und weckte sie auf.
»Wo sind wir?« fragte sie schlaftrunken.
»Pst«, sagte er. »Wir haben Gesellschaft.«
Indy nahm sie an der Hand und ging mit ihr die Stufen zur Kajütentür hoch. Draußen war es immer noch dunkel. Er konnte die Lichtkegel von Taschenlampen ausmachen, die über den Schiffsbug wanderten. Ein Stück weiter vorn unterhielt sich der Kapitän mit einer Gruppe Soldaten. Er hörte, wie der alte Mann vor Wut lauter wurde und sich zornig erkundigte, warum die anderen an Bord seines Schiffes gekommen waren. Zwei Männer hielten von hinten seine Arme fest, während ein dritter ihm mit einem Wollschal den Mund stopfte. Hinter ihnen zeichnete sich der vertraute Umriß eines Flugbootes ab, das ganz still auf dem Wasser wartete.
»Wie haben die uns gefunden?« fragte Alecia.
»Kann ich nicht sagen«, antwortete Indy. »Wir müssen uns unbedingt verstecken.«
»Wo denn? Auf einem Schiff von dieser Größe kann man nicht mal einen Yorkshire Terrier verstecken. Da sie uns sowieso kriegen werden, können wir genausogut jetzt gegen sie vorgehen. Es mit ihnen aufnehmen.«
»Kommen Sie, Prinzessin.« Er nahm seinen Hut und zerrte sie aus der Kajüte. »Ich bin noch nicht bereit, jetzt aufzugeben. Wäre das hier die Schlacht zwischen Custer und den Indianern, stünde ich auf der Seite der Indianer.« »Das Boot durchsuchen«, ordnete Luigi an und machte eine Bewegung mit seinen bandagierten Händen, was sich als schmerzhaft erwies. Ein halbes Dutzend atlanticis schwärmte aus, kämpfte sich durch die Müllberge hinüber zur Kajüte. »Wir wissen, daß sie hier sind. Seid vorsichtig. Der Amerikaner ist bewaffnet, aber ein ziemlich schlechter Schütze.«
»Bei deinen Zigarren mußte er ja anscheinend auch nicht gut zielen können«, lautete Sarduccis Kommentar.
Luigi zuckte mit den Achseln.
»Ich hatte eh vor, das Rauchen aufzugeben.«
»Bist du sicher, daß der Bootsbesitzer dir die Wahrheit gesagt hat?«