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Der Schädel wackelte leicht auf dem Sockel, wodurch der fein herausgearbeitete Unterkiefer in Bewegung gesetzt wurde und auf und zu und auf und zu klappte, als würde er über Indy lachen.

»Das Glas ist kugelsicher!« schrie Indy.

»Jetzt wissen die anderen garantiert, wo wir sind«, beschwerte Alecia sich.

»Das hat Sarducci absichtlich gemacht«, kochte Indy vor Wut. »Er wußte, daß das passieren würde. Er zieht mich auf. Ich hasse Sie! Hören Sie mich, Sarducci, Sie glatzköpfiges Unge -«

Berstendes Glas erstickte seine Worte. Alecia hatte das Schwert durch eine der Fensterscheiben geworfen, ehe sie Indy am Ärmel packte und vom Kristallschädel wegzog. Im Vorbeigehen gelang es ihm noch, das Schild abzureißen und in seine Tasche zu stopfen.

Zwei Wachen stürmten auf der anderen Seite des Raumes durch die Tür. Indy zielte auf die Decke über ihren Köpfen und feuerte eine Salve ab. Im Holzsplitter- und Putzregen zogen die Männer sich in den Flur zurück.

»Komm schon«, sagte Alecia und stieg durch den Fensterrahmen auf den Balkon hinaus. Zusammen traten sie an die Steinbrüstung und warfen einen Blick auf die Straße.

Bis unten auf den Gehweg waren es gute zehn Meter. Unter ihnen lag das zum Museum gehörige Straßencafe, und an der Ecke parkte ein Lieferwagen mit frischem Obst und Gemüse vom Land.

»Wir müssen springen«, meinte Indy.

»Spinnst du?«

Eine Kugel prallte auf die Steinbrüstung.

»Vergiß es«, sagte Alecia. »Natürlich springen wir.«

Indy warf die Waffe weg. Hand in Hand sprangen sie in die Tiefe und landeten auf den Gemüsekartons auf der Ladefläche des Lieferwagens.

»In der italienischen Küche verwendet man eine Menge Tomaten«, sagte Indy mit einem Blick auf die roten Spritzer auf seiner Hose. Schnell kletterten sie von der Ladefläche und versteckten sich hinter dem Laster. Hoch über ihren Köpfen schauten die Wachen über die Brüstung. Die Män-ner, die den Laster abluden, riefen auf einmal laut und zeigten auf die andere Seite des Wagens.

»Prima. Jetzt sind die in einer Minute bei uns hier unten. Und ich habe die einzige Waffe weggeworfen, die funktionierte. Und du hast dein Schwert auch nicht mehr.«

Eine alte schwarze Limousine rollte langsam neben den Lieferwagen und blieb stehen. Der Fahrer stieg aus, öffnete die hintere Tür und gab ihnen mit einer Handbewegung zu verstehen, daß sie einsteigen sollten.

»Was soll das?« rief Indy erstaunt.

»Wir sind nicht in der Position, Fragen zu stellen«, fand Alecia und zog ihn zur offenstehenden Wagentür. »Wann wirst du endlich aufhören, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen?«

So stiegen sie ein. Der Fahrer machte die Tür zu, kehrte hinters Steuer zurück, setzte den Blinker und rollte vorsichtig auf die Straße.

Hinter ihnen stürmten die Wachen aus dem Museum auf den Bürgersteig.

»Ich hätte beinah den Schädel gekriegt«, sagte Indy. »War ganz dicht davor. So dicht.« Er hielt Daumen und Zeigefinger einen Zentimeter auseinander. »Wenn du mir etwas mehr Zeit gelassen hättest, wäre mir was eingefallen, wie ich ihn kriege.«

»Jones«, sagte Alecia. »Willst du dich nicht bei unseren Rettern bedanken?«

Mit einem »Dankeschön« wandte Indy sich an das alte Ehepaar, das ihnen gegenübersaß. »Aber ich war dicht dran«, wiederholte er. »Wieso haben Sie eigentlich unseret-wegen angehalten?«

»Wir helfen denen, die sich in Not befinden, immer gern«, sagte der alte Mann mit französischem Akzent und zuckte mit den Achseln, als ob das keine große Sache sei. »Und Sie beide sahen aus, als ob Sie in Not wären.«

Der Mann und die Frau hatten schlohweiße Haare und hellblaue Augen. Sie trugen Kleider, die ungefähr vor einem Jahrzehnt modisch gewesen waren. Der alte Mann hielt mit den Knien einen Gehstock, auf dem er sich abstützte, während die Frau die Hände im Schoß gefaltet hatte.

»Das mit Ihren Sitzen tut mir leid«, entschuldigte Indy sich für die abfärbenden Tomatenflecken.

»Keine Sorge«, meinte die Frau. »Sebastian kriegt sie wieder sauber, da bin ich mir sicher. Er wurde in der Vergangenheit schon mit viel schwierigeren Dingen fertig.«

»Sebastian?« fragte Indy. »Ist das Ihr Mann?«

»O nein, unser Fahrer«, antwortete ihm der Mann. »Obwohl er für uns mehr ein Sohn als ein Dienstbote ist. Ich bin Nicholas, und das hier ist Perenelle. Oh, es ist nicht nötig, daß Sie sich uns vorstellen. Wir wissen, wer Sie sind.«

Indys Miene hellte sich auf.

»Dann haben Sie von mir gehört?«

»Um ehrlich zu sein, wir haben Ihre Karriere genauestens verfolgt«, gestand er mit einem Augenzwinkern. »Und da mußten wir einfach anhalten, als wir Sie auf der Straße entdeckten. Und diese charmante junge Dame, Dr. Jones. Sie muß Ihre Verlobte sein, denn ich kann mich nicht erinnern, etwas über eine Hochzeit gelesen zu haben.«

Alecia stellte sich ihnen vor.

»Wir sind nicht verlobt«, erzählte sie. »Wir kennen uns erst seit ein paar Tagen. Mir kommt es allerdings wie mehrere Jahre vor. Ich denke, man könnte uns als Freunde bezeichnen.«

»Das ist gut«, fand die alte Frau. »Die Welt braucht mehr Freunde, meinen Sie nicht? Bleiben Sie Freunde, und der Rest wird sich wie von selbst ergeben.«

»Ja«, sagte Alecia. »Das denke ich auch.«

»Ihre Arbeit interessiert mich sehr, müssen Sie wissen», wandte sich der alte Mann an Indy. »Je mehr wir über unsere Vergangenheit erfahren, desto mehr lernen wir über uns selbst. In Wirklichkeit gibt es nichts Neues. Alles ist schon mal dagewesen, zu der einen oder anderen Zeit. Stimmen Sie mir zu?«

»Bis zu einem gewissen Grad«, sagte Indy vorsichtig.

»Nein, nicht nur bis zu einem bestimmten Grad«, entgegnete der Mann hartnäckig. »Imperien stürzen, Städte gehen unter. Die Jugend ist vergänglich und verblaßt schnell. Aber die menschliche Seele ist immer die gleiche. Das Wichtige ist nicht das Ziel, sondern die Reise. Reichtum ist nur dann von Wert, wenn man ihn einsetzt, um anderen Gutes zu tun. Wie es schon in der Bibel steht, welchen Sinn macht es, wenn ein Mann die ganze Welt erobert, nur um die eigene Seele zu verlieren?«

Indy warf Alecia einen Blick von der Seite zu.

»Die Welt sieht sich mit einer schrecklichen Macht konfrontiert, die sie nicht versteht«, sagte der alte Herr, während seine blauen Augen plötzlich leuchteten. Je länger er sprach, desto jünger schien er zu werden. »Gott hat uns erschaffen. Wir sind keine Engel, aber in jedem von uns steckt ein Funken Göttliches. Doch mit der Macht kommt die Verantwortung. Wir haben die freie Wahl. Wir können aus dieser Welt ein Paradies machen oder sie in eine Hölle auf Erden verwandeln.«

»Sir«, fragte Indy, »wovon genau sprechen Sie eigentlich?«

»Von nichts«, erwiderte der alte Mann. »Von allem. Mit jeder Entscheidung, die wir fällen, neigt sich die Waagschale ein wenig in die eine oder in die andere Richtung.«

»Nicholas«, ermahnte die Frau ihren Gatten.

»Verzeihung«, sagte er und wirkte auf einen Schlag wieder uralt. »Ich hatte nicht vor, Sie mit dem Geschwätz eines närrischen alten Mannes zu behelligen.«

»Sie behelligen mich nicht«, sagte Indy.

Da streckte der alte Herr unvermittelt seine Hand aus und klopfte Indy väterlich aufs Knie. »Ich weiß, Sie tun Ihr Bestes«, sagte er. »Bleiben Sie nur mit beiden Beinen auf dem Boden, dann wird es Ihnen immer gutgehen. Und das wertvollste Gut auf dieser Welt ist nicht Gold, auch nicht Macht oder Ruhm, sondern die Liebe. Ist es nicht so?«