Als die silberne Sichel des abnehmenden Mondes hinter den Sturmwolken verschwand, verblaßte die Silhouette der Ayesha Maru, die gerade hinter den heimtückischen Felsen geankert hatte, die die verlassene Küste im Nordosten von Libyen kennzeichneten.
Zwei Barkassen kämpften sich vorsichtig durch die dicht stehenden Felsen. Unweit der Küste wurden die Ruder eingeholt, und die Männer im Bug sprangen ins taillenhohe Wasser, um die fragilen Holzboote ganz ans Ufer zu ziehen, bis sie am Sandstrand auf Kiel lagen.
»Gut gemacht«, lobte der angeheuerte Kapitän, Mordecai Marlow, seine Mannschaft. »Die sieben erzürnten Götter der See waren heute nacht wohlwollend und haben auf uns hinabgelächelt. Jetzt macht schnell und schafft diese Kisten an Land, bevor die Wolken sich verziehen und die stinkenden Faschisten uns sehen können.«
Indiana Jones sprang ins Wasser und half Alecia Dunstin aus dem Boot.
»Soll ich meine Schuhe ausziehen?« fragte sie ihn.
»Nein«, meinte Indy. »Dieser Strand ist mit spitzen Steinen und Geröll übersät. Du würdest dir die Füße in Windes-eile blutig laufen. Wickle deinen Rock um die Beine, dann werde ich dich rübertragen. Das heißt, falls du nichts dagegen einzuwenden hast.«
»Es geht auch ohne«, erwiderte Alecia und hüpfte mit den Schuhen in der Hand ins Wasser. Eine Welle traf sie von hinten. Auf dem Weg zum Strand bauschte sich ihr Rock zu einem Ballon auf.
»Siehst du?« Selbstgefällig stand sie abwechselnd auf einem Fuß und zog erst den einen, dann den anderen Schuh an. »Ich weiß schon, wo ich hintreten muß.«
»Ich hoffe nur, daß du immer so viel Glück haben wirst«, sagte Indy.
Die Männer der Ayesha Maru schleppten die fünf langen Kisten hoch und stellten sie nebeneinander aufgereiht am Strand ab. Indy fand, daß sie in der Dunkelheit fast an schlichte alte Särge erinnerten.
»Nun, wo sind sie?« fragte er.
»Sie sind hier«, sagte Marlow. »Sie beobachten uns, um sicherzugehen, daß es sich nicht um eine Falle handelt. Stehen Sie still und halten Sie Ihre Hände so, daß sie sie sehen können.«
»Wie oft haben Sie das hier schon gemacht?« wollte Indy erfahren.
»In diesem Geschäft«, gab Marlow Auskunft, »zählt man nicht mit.«
Ein schriller Pfiff ertönte. Am Fuß der nächsten Düne wurden vierzig Reiter sichtbar. Wie ein Wüstensturm flogen sie auf ihren Pferden zum Strand hinunter. Mit Ausnahme des gedämpften Aufsetzens der Hufe und dem Knirschen von Leder war nichts zu hören. Die Männer stie -gen ab, ließen die Zügel in den Sand fallen und machten sich eilig daran, mit Messern die Deckel der Kisten zu öff-nen. Ihr Anführer, eine hohe, weißgewandete Gestalt, mit einer unsäglich großen Muskete bewaffnet, schritt von einer Kiste zur anderen und inspizierte den Inhalt. Dann händigte er seinem Hauptmann die Waffe aus und holte aus der letzten Kiste eine in Amerika hergestellte Thompson-Maschinenpistole.
»Ihre Hoheit«, erbot Marlow sich. »Lassen Sie mich Ihnen zeigen, wie sie funktioniert.«
Der Prinz tat sein Angebot mit einem Achselzucken ab und suchte in der Kiste nach einem Magazin, das er - wie ein Experte - in die Thompson schob, ehe er den Bolzen oben auf der Waffe zurückzog und den Verschluß öffnete. Eine funkelnde Patrone Kaliber .45 rutschte in Position. Er ließ den Bolzen los und feuerte.
Die Waffe spuckte Kugeln und Flammen in die dunkle Nacht.
Marlow kniff die Augen zusammen.
In einer Geste des Triumphes riß der Prinz die Thompson hoch über den Kopf, während seine Männer unter lautem Geschrei und Dankesbezeugungen an Allah ihre alten Waffen wegwarfen und gegen die modernen amerikanischen austauschten.
Der Prinz warf die Thompson über die Schulter, schnappte sein altes Steinschloßgewehr und lief zu Marlow hinüber. Die reich verzierte Muskete hielt er dem Kapitän entgegen.
»Für Sie«, sagte er. »Ist im Besitz meiner Familie seit meines Urgroßvaters Zeiten. Jetzt gehört es Ihnen. Gehen Sie sorgsam mit ihm um und machen Sie damit den römischen Schweinen das Leben schwer.«
»Danke«, sagte Marlow. »Ich werde es über meine Koje in meiner Kajüte hängen, dann ist es immer in Reichweite.
Prince Farqhuar, ich möchte Ihnen Indiana Jones vorstellen. Er ist gekommen, um gegen die Faschisten zu kämpfen.«
Erstaunt riß Indy die Augen auf.
»Ein Amerikaner?« rief der Prinz enthusiastisch aus. »Ich habe über Euch Amerikaner gelesen. Der Autor Jules Verne behauptet, daß Ihr Volk die besten Waffen auf der ganzen Welt herstellt. Er hat davon berichtet, wie Ihr eine riesige Kanone gemacht und damit drei Menschen auf den Mond geschossen habt. Verraten Sie mir, haben Sie diesen Franzosen kennengelernt, der so wundervolle Bücher schreibt?«
»Ich fürchte, nein, Eure Hoheit«, sagte Indy. »Monsieur Verne verstarb vor einigen Jahren. Und ich fürchte auch, daß er ein wenig übertrieben hat, vor allem was die Geschichte mit dem Mond anbelangt.«
Der Prinz faßte sich ans Herz.
»Was für ein Verlust!« klagte er. »Welche Freude hätte es mir bereitet, ihn meinem Volk vorzustellen. Und der große Jules Verne soll lügen? Niemals! Nein, nein. Er hat bestimmt die Wahrheit geschrieben. Wie sehr habe ich mir gewünscht, solch eine Kanone wie die, die er beschrieben hat, zu besitzen. Damit hätte ich die Römer über das Mittelmeer zurückdrängen können.«
»Das ist ein schöner Gedanke«, fand Indy.
»Und Sie, mein Kapitän«, fragte der Prinz. »Welches Land ist Ihre Heimat?«
»Ah«, begann Marlow. »Ich bin der Diener aller freien Völker und gehöre keinem an. Ich bin ein Pirat und stelle mich in den Dienst derer, die für eine gerechte Sache kämpfen und etwas Unterstützung brauchen. Aber ich fühle mich geehrt, Ihnen zu Diensten zu stehen, mein Prinz und Führer des großartigsten Volkes der Welt.«
Der Prinz grinste wissend und zog einen schweren Sack unter seinem Gewand hervor. »Solange der Preis stimmt, nicht wahr?« fragte er und warf Marlow den Sack vor die Füße.
Marlow legte die Finger an den Mund und stieß einen Pfiff aus.
»Los«, rief er. »Wir haben bekommen, was wir wollten.«
»Begleiten Sie uns und kämpfen Sie gegen die Römer«, drängte der Prinz Indy. »Das ist ein verzweifelter Kampf, aber die Vorsehung ist auf unserer Seite. Es gibt keine größere Ehre, als für den Ruhm Allahs zu sterben.«
»Ich kämpfe allein«, sagte Indy.
»Das ist eine Schande«, sagte der Prinz. »Ich hatte mich schon darauf gefreut, mich mit Ihnen in vielen wunderbaren Nächten über die amerikanischen Schriftsteller zu unterhalten. Über den famosen Mark Twain -« Der Prinz warf seine Hände hoch. »Ach, erzählen Sie mir nicht, daß er auch tot ist. Das könnte mein armes Herz nicht verkraften.«
Der Prinz stieg auf sein Pferd, und die Nomaden verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren.
Marlow warf den Goldsack über seine Schulter und wandte sich an Indy.
»Auf Wiedersehen, Dr. Jones«, sagte er. »Ich hoffe, Sie finden, was Sie suchen. Haben Sie Ihren Kompaß und die Karte? Das Lager der Faschisten liegt zehn Kilometer die Küste hinunter, in Richtung der aufgehenden Sonne. Mag der Gott, zu dem Sie beten, Gnade walten lassen.«
»Danke.« Indy schüttelte ihm die Hand, dann wandte er sich an Alecia. »Das ist deine letzte Chance. Marlow kann dich nach Kairo bringen. Dort könntest du bei meinem Freund Sallah unterkommen. Das wäre wirklich das Beste.« »Kommt nicht in Frage«, entgegnete Alecia. »Auf gar keinen Fall.«
Die Barkassen ließen die Ruder zu Wasser. Marlow machte sich auf den Weg und sprang in das erste Boot.