»Fesselt ihn an den Handgelenken«, ordnete Sarducci an.
Einer der Motorradschützen kam mit einem Stück Seil angelaufen und band Indy die Hände auf den Rücken.
Sarducci stieg vom Wagen.
»Na, dann wollen wir mal nachsehen, wo sich Miss Dunstin versteckt hält.«
Indy lachte.
»Ach, kommen Sie, ich könnte schwören, daß sie darauf bestanden hat, sich diesem kleinen Abenteuer anzuschließen. Die Aufregung hat von ihr Besitz ergriffen wie eine Droge, und sie konnte garantiert nicht von der Vorstellung ablassen, ihren Bruder zu retten. Wo ist sie?«
»Sie ist schon lange weg, Sardi«, sagte Indy.
Sarducci senkte die Lider.
»Nennen Sie mich nicht so«, warnte er Indy. »Falls er mich noch mal so nennt, geben Sie ihm eins drauf. Ich frage Sie noch mal, Dr. Jones. Wo ist Miss Dunstin?«
»Gehen Sie fischen.«
Der Motorradschütze schlug ihm den Handrücken ins Gesicht.
Indy hustete und spuckte Blut.
»Die Wahrheit, Indy«, forderte Sarducci.
»Sie ist tot«, sagte er.
Alistair bekam es mit der Angst zu tun.
»Und wie ist sie gestorben?« wollte Sarducci erfahren.
»Es war ein Unfall«, sagte Indy. »Sie rutschte aus und fiel auf einen Stein, als wir von Bord des Schiffes gingen. Ich konnte nichts mehr tun. Sie hatte schwere Kopfverletzungen. Sie starb in meinen Armen.«'
»Er lügt«, meinte Sarducci. »Wenn sie tot wäre, wäre er niemals hier. Schlagen Sie ihn noch mal.«
Diesmal bekam er einen Schlag in den Magen verpaßt. Indy sank auf die Knie und erbrach sich im Sand.
»Heben Sie ihn auf«, befahl Sarducci. »Wischen Sie ihm den Mund ab. Ja, so ist es besser. Noch mal von vorn, Dr. Jones. Wo ist Alecia Dunstin? Falls Sie lügen - nun, vielleicht haben Sie inzwischen begriffen, welche Konsequenzen das nach sich zieht.«
»Ja, sie war hier«, sagte Indy. »Aber sie ist vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Sie werden sie niemals finden. Sie hat genug Vorräte für eine Woche und einen Beduinen als Führer, der das Land wie seine Westentasche kennt. Sardi, das Glück verläßt Sie.«
Sarducci nickte.
Wieder ein Faustschlag ins Gesicht.
Indy warf dem Schützen einen finsteren Blick zu. Blut lief ihm aus Mund und Nase. Nun mußten ihn zwei Soldaten auf den Beinen halten.
»Das würden Sie nicht tun, wenn mir nicht die Hände gebunden wären«, murmelte Indy undeutlich.
»Stimmt«, sagte Sarducci, »und Sie würden nicht so hartnäckig lügen, wenn Miss Dunstin nicht ganz in der Nähe wäre. Ich rate Ihnen, Dr. Jones, nicht länger den Mutigen zu spielen, solange Sie noch sprechen können.«
Balbo rief etwas aus dem Wagen.
»Ja, Italo«, sagte Sarducci. »Einen Augenblick noch.«
»Nein, jetzt gleich«, rief Balbo auf italienisch.
Sarducci runzelte die Stirn.
»Luftmarschall Balbo, der Gouverneur von Libyen ersucht um eine Unterredung mit mir«, richtete Sarducci sich an den Schützen. »Halten Sie ihn am Leben, bis ich zurück bin. Und sorgen Sie dafür, daß er nicht so rumhängt. Wie bei der Kreuzigung hat diese Haltung Einfluß auf das Zwerchfell und schneidet nach einem gewissen Zeitraum die Luftzufuhr ab.«
Sarducci trat an den Wagen und hörte sich Balbos Einwände bezüglich Indys Behandlung an. Schließlich stieg Balbo aus dem Wagen und kam zu Indy hinüber.
»Dr. Jones, es tut mir leid«, entschuldigte er sich. Er sprach Englisch mit starkem Akzent. Dann zog er ein Taschentuch aus seiner Jackentasche und wischte Indy Blut und Speichel vom Kinn. »Ich akzeptiere es nicht, wie man Sie behandelt, aber Minister Sarducci handelt im Auftrag vom Chef höchstpersönlich. Die Politik schafft eigenartige Bettgenossen, nicht wahr? Sarducci steht über den Gesetzen der Menschlichkeit oder möglicherweise darunter.«
Indy kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
»Sie sind kleiner, als ich erwartet hatte«, sagte er.
Balbo lächelte.
»Ich hatte es mit dem Chef zu tun auf dem Flug von Rom. Er tat so, als ob er das Sagen hätte. Und Sarducci hat die
Kontrolle über eines meiner Flugzeuge verloren«, beklagte er sich. »Das war unerträglich. Und was erhalte ich als Gegenleistung für meine unabdingbare Loyalität? Man verleiht mir einen bedeutungslosen Titel und schickt mich in diesen gottverlassenen Landstrich, wo es nur Sand und Felsen gibt.«
Balbo seufzte.
»Sarducci wird Sie bestimmt töten«, sagte er und faltete sein Taschentuch ordentlich zusammen. »Ich kann Sie nicht retten. Aber ich kann verhindern, daß er Sie auch weiterhin so schlecht behandelt. Ich möchte Ihnen gestehen, sozusagen von einem Soldaten zum anderen, daß ich Ihnen das höchste Maß an Respekt entgegenbringe. Sie sind für mich eine Inspiration gewesen. Und weil Sie über den Wolken gewesen sind mit der Armada, jedenfalls für kurze Zeit, würde ich Ihnen gern eine kleine Annehmlichkeit gewähren, falls Sie es gestatten.«
»Darauf können Sie wetten«, sagte Indy. Er versuchte nicht länger, etwas erkennen zu können.
Balbo nahm eine Nadel mit silbernen Adlerschwingen von seinem Uniformrevers.
»Sie sind ein atlantici«, verkündete er und befestigte die Nadel an Indys Hemdtasche. Dann trat er einen Schritt zurück, schlug die Hacken zusammen und salutierte vor Indy.
Balbo spazierte zum Wagen, Sarducci kehrte wieder zurück.
»Sardi«, sagte Indy. Mit der Zunge fuhr er über einen losen Schneidezahn. »Jetzt bin ich gerade mal seit zehn Sekunden ein Faschist und verspüre schon das Verlangen, jemanden zu töten.«
»Werft ihn auf das Panzerfahrzeug, dann kann sie ihn sehen«, ordnete Sarducci an. Die Motorradsoldaten zerrten
Indy auf das Fahrzeug. »Und gebt mir ein Megaphon. Ja, danke.«
Sarducci stieg auf die Motorhaube.
»Miss Dunstin«, brüllte er durch das Megaphon und drehte sich dabei im Kreis. Seine Stimme hallte von den Felsen wider. »Ich weiß, daß Sie mich hören können. Wir haben Ihren Bruder und Dr. Jones. Bitte, schauen Sie selbst.«
Sarducci zog die Pistole aus dem Gürtelholster und feuerte einen Schuß in die Luft, um dann die Mündung an Indys Schläfe zu halten.
»Falls Sie sich nicht innerhalb der nächsten Minute zu erkennen geben, wird Dr. Jones sterben«, rief er. »Aber falls Sie aus Ihrem Versteck kommen, verspreche ich Ihnen, daß ihm kein Haar gekrümmt wird. Sie haben die Wahl... Und Sie haben jetzt noch fünfundvierzig Sekunden.«
»Alecia«, rief Indy. »Tu das -«
Der Motorradsoldat stopfte Indy ein Taschentuch in den Mund. Indy biß ihm auf die Finger. Sarducci wartete geduldig. Der Lauf seiner Waffe verrutschte nicht um einen Millimeter.
»Dreißig Sekunden.«
Die Mündung drückte fester auf Indys Schläfe.
»Zehn Sekunden.«
Indy versuchte an etwas Angenehmes zu denken.
»Töten Sie ihn nicht!« rief eine Stimme hinter den Steinen. »Sie gewinnen. Ich gebe auf. Aber schießen Sie nicht.« Mit erhobenen Händen stand Alecia auf.
Sarducci verstaute seine Pistole und sprang von der Motorhaube des Panzerfahrzeugs. Mit einem Zeichen gab er den Soldaten zu verstehen, daß sie die Frau zu ihm bringen sollten.
»Sie waren ja noch näher, als ich annahm», sagte Sarducci. »Wie nett von Ihnen, daß Sie sich uns anschließen.«
»Ich schließe mich nichts und niemandem an«, stellte Alecia klar. Sie kämpfte mit den Soldaten, die sie an den Armen festhielten. »Und ich weiß nicht, was dich dazu veranlaßt hat, Alistair Dunstin. Jones hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um dich zu retten, und so sieht deine Vergeltung aus? Ich kann nicht glauben, daß ich aus dem gleichen Bauch wie du stamme.«