»Interessant«, sagte Sallah. »Dann schlägst du also vor, nach unten zu tauchen, um diese Tür zu suchen?«
»Ja«
Sallahs Miene verdüsterte sich.
»Nun«, gestand er, »ich kann nicht schwimmen. Ist mir nie in den Sinn gekommen, daß ich diese Fähigkeit eines Tages brauchen könnte. Ich fürchte, daß ich nicht in der Lage sein werde, dich zu begleiten, mein Freund.«
»Sallah«, sagte Indy, stand auf und klopfte seine Hose ab, »du wirst immer bei mir sein, egal, wohin ich gehe.« Dann zog er eine Decke aus Sallahs Satteltasche und trug sie zum Ufer des Teichs.
»Geht es dir gut?« fragte er Alecia.
»Ach, es ist wunderbar«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du solltest es auch probieren. Natürlich erst, wenn ich draußen bin.«
»Ich habe dir die Decke gebracht«, sagte er. »Ist zwar ein bißchen kratzig, aber ich dachte, du könntest dich in sie einwickeln, bis dein Kleid getrocknet ist. Bist du soweit?«
Indy nahm die Decke an den Ecken und hielt sie hoch. Höflich drehte er den Kopf weg, während Alecia graziös aus dem Wasser stieg und sich einwickelte. Die Enden verknotete sie über der Brust.
Indy schnürte seine Schuhe auf. Er stellte sie mitsamt den Socken auf der obersten Stufe ab, knöpfte sein Hemd auf und löste den Gürtel.
In Hosen spazierte er die Stufen hinab, bis ihm das Wasser bis zur Taille reichte. Er mußte eine Sekunde innehalten und tief durchatmen.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte er, schöpfte Luft und hielt den Atem an.
»Was hast du vor? Wo willst du denn hin?« fragte sie ihn mit skeptischer Miene.
Indy tauchte unter.
Unter Wasser zog er sich an den Stufen in die Tiefe. Der Wasserdruck auf seinen Ohren nahm zu und verriet ihm, daß er zehn, zwölf Fuß tief getaucht war. Er bewegte den Unterkiefer hin und her, um den Druck in seinen Eustachischen Röhren zu mindern.
Das Wasser war klar. Die Strahlen der Nachmittagssonne ergossen sich über die Stufen. Seine Augen brannten nicht, wie das beim Tauchen im Meerwasser der Fall war, deswegen fiel es ihm leicht, der Treppe zu folgen. Der Teich war überraschenderweise sehr tief. Indy mußte noch mal kräftig schlucken, um die Ohren freizubekommen, ehe er zur Öffnung einer Unterwasserhöhle gelangte. Indy tauchte unter die Öffnung, fuhr tastend über den Stein und stieß sich mit den Füßen ab. Er ließ sich Zeit, verließ sich hier unten im Dunkeln allein auf seinen Tastsinn und paßte auf, daß er nicht gegen einen Felsvorsprung stieß.
Dann brach er durch die Wasseroberfläche.
Er schüttelte den Kopf, wischte sich das Wasser aus den Augen und schaute sich um. Im fahlen Licht, das aus der Tiefe des Teichs hochdrang, sah er, daß er sich in einer weitläufigen unterirdischen Kammer befand. Die Stufen führten aus dem Wasser hoch zu einem Torbogen aus behauenen Steinen. Unter dem Bogen lauerte eine Gestalt, eine Statue. Genau konnte er jetzt noch nicht erkennen, was es war.
Dahinter lag undurchdringliche Dunkelheit.
Ein paar Minuten lang ruhte Indy sich auf den Stufen aus, noch halb im Wasser sitzend. In der Höhle hallten die Tropfen wider, die von seinem Körper in den Teich fielen. Ihm war so, als fixierten die Augen der Steinstatue unter dem Bogen seinen Rücken. Als seine Atmung sich normalisiert hatte, ließ er sich wieder ins Wasser gleiten und kehrte zu seinen Gefährten zurück.
»Indy«, rief Alecia, »du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt. Du warst so lange weg, daß ich schon fürchtete, du seist ertrunken.«
»Indy, was hast du gefunden?« fragte Sallah. Der Prinz war bei ihm und warf Indy einen erwartungsvollen Blick zu.
»Dort unten gibt es einen Eingang«, sagte er. »Die Höhle liegt am Boden des Teiches. Dort ist eine Treppe, die durch einen Steinbogen führt. Aber weil es so dunkel war, konnte ich nicht viel erkennen.«
»Du brauchst Fackeln«, meinte Sallah. »Wir können die Palmenrinden abzupfen und sie mit Stoffetzen zusammenbinden. Prinz, haben Ihre Männer Waffenöl dabei oder Pech, um die Wunden der Pferde zu behandeln?«
»Aber sicher«, antwortete Farqhuar.
»Damit können wir die Fackeln tränken«, schlug Sallah vor. »Werden nicht prima sein und auch ziemlich stark rauchen, aber das sollte genügen. Ich werde ein paar Streichholzköpfe in Wachs tunken, damit kannst du die Fackeln in der Höhle anzünden.«
Farqhuar sprach in Tarog zu seinen Nomaden und erteilte ihnen den Befehl, die notwendigen Materialien zusammenzutragen.
»Wo ist Alistair?« fragte Indy.
»Er studiert ein paar Vögel dort drüben in den Bäumen«, sagte Alecia.
»Vögel? Was für Vögel?« wollte Indy wissen. Er schien besorgt zu sein.
»Ich weiß nicht genau«, sagte Alecia.
»Kann er schwimmen?«
»Er schwimmt ziemlich gut.«
»Nun, dann brauche ich ihn. Ich brauche genug Fackeln für zwei Leute, Sallah. Beeil dich.«
»Wäre es nicht besser, wenn du bis morgen früh wartest?« fragte Sallah.
»Wo wir hingehen«, sagte Indy, »ist es egal, wo die Sonne steht.«
Mit an den Schnürsenkeln verknoteten und um den Hals geschlungenen Schuhen stieg Indy in die Höhle. Unter seinem Arm klemmten ein paar Fackeln. Kurz nach ihm tauchte Alistair auf, hustete und spuckte Wasser.
Indy riß eins von Sallahs präparierten Zündhölzern an und entzündete eine Fackel. Zischend und knisternd erstarb die Flamme. Beim dritten Versuch stellte sich der Erfolg ein. Mit seiner Fackel gab er Alistair Feuer.
Indy zog die Schuhe an, schnürte sie eilig zu und warf sein Hemd über. Zusammen mit seinem Notizbuch war es in ein Stück Wachstuch gewickelt gewesen, das glücklicherweise einer der Nomaden zufällig mitgenommen hatte.
Mit hocherhobenen Fackeln stiegen er und Alistair zum Steinbogen hoch. Im flackernden Lichtschein bekam man den Eindruck, als würde die Statue sich bewegen. Sie stellte einen normal großen Mann mit fließendem Bart dar. Auf seiner Robe prangten alchemistische Symbole: die Sonne und der Mond, Sterne und ein Merkur mit Schwingen. Die rechte Handfläche zeigte warnend nach vorn, während die linke zum Nähertreten einlud.
»Bemerkenswert«, raunte Alistair. »Der große Hermes.«
»Jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken«, sagte Indy.
Er rezitierte die koptische Inschrift über dem Bogen: »Erblicket die Schwelle. Der Ruf wird beantwortet. Die Reise beginnt mit Wissen und endet mit Glauben. V-I-T-R-I-O-L.< Er legte eine kurze Pause ein. »Sagen Ihnen die Buchstaben etwas?«
»Visita Interiora Terrae, Rectiflcando, Inveniens Oc-cultum, Lapidem«, übersetzte Alistair. »Besuchet das Innere der Erde, und indem ihr Abhilfe schafft, werdet ihr den verborgenen Stein finden.«
Sie gingen unter dem Bogen hindurch, hinter dem eine zwölf eckige Halle lag. Ein Ausgang schien nicht zu existieren. In einem Alkoven in jeder der zwölf Seiten war ein Relief zu erkennen, das eine alchemistische Umwandlung darstellte. Auf den Reliefs waren Brennöfen und Destilliergeräte, Flaschen und Retorten dargestellt. Der Boden bestand aus einem Mosaik von sechzehneckigen Steinen. In jedem der Steine war eines der zwölf Tierkreiszeichen eingemeißelt.
Alistair machte einen Schritt nach vorn. Der Stein unter seinem Fuß sackte weg. Indy erwischte ihn am Kragen und riß ihn zurück. Dort, wo eben noch der Stein gelegen hatte, tat sich nun ein zwölf Fuß tiefer Schacht auf.
»Vorsichtig«, sagte er. »Geben Sie acht. Diese Tierkreiszeichen auf dem Boden, können die auch anders angeordnet werden als in der monatlichen Abfolge?«