Ein vertrautes Lachen ließ Indy das Blut in den Adern gefrieren.
Mit gezogener Pistole stand Leonardo Sarducci im Durchgang. Die Uniform hing ihm in Fetzen am Leib. Die Sohlen seiner Stiefel hatten sich gelöst. Hinter ihm wartete Luigi mit Farqhuars Thompson Maschinenpistole.
»Bitte, Dr. Jones«, forderte er ihn auf. »Spielen Sie den Dummkopf. Diese Rolle paßt so gut zu Ihnen.«
»Nicht schon wieder«, erwiderte Indy.
»Doch, schon wieder«, befahl Luigi, »und zwar zum letzten Mal. Ich werde Sie ganz langsam töten, Ihnen die Haut abziehen -«
»Später«, schnauzte Sarducci.
»Wo sind die anderen?« fragte Indy.
»Mona und die anderen haben wir in meinen Wagen ge-sperrt«, antwortete Sarducci. »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß mir nach dem Sandsturm nur ein Panzerfahrzeug geblieben ist. Luigi und ich hatten das Glück, ein paar Meilen hinter der Kolonne zurückgefallen zu sein, als der Sturm über uns hinwegzog. Leider brauchten wir einen ganzen Tag, bis wir uns aus dem Sand herausgeschaufelt hatten.«
Sarducci kam - gefolgt von Luigi - näher und blieb direkt vor dem Griff stehen, den Alistair eigentlich umdrehen wollte.
»Nur zu, Alistair«, forderte Sarducci ihn auf. »Sie sollen die Ehre haben, als erster die Gruft zu öffnen. Schließlich sind Sie ja der Grund, warum wir alle uns hier versammelt haben, nicht wahr?«
»Die Vögel«, sagte Indy.
»Ja, die Vögel. Kuriertauben, die darauf trainiert sind, statt eines Ortes eine Person zu finden - in diesem Fall mich. Alistair hat sie in seiner Freizeit gezüchtet. Sehr einfallsreich, finden Sie nicht?«
»Dunstin«, knurrte Indy.
Alistair kratzte sich am Bart.
»Nun ja«, sagte er schließlich. »Die Faschisten werden siegen - in Libyen, in Äthiopien, überall. Und dann wird auf der Welt eine neue Ordnung regieren. Die Macht ist absolut, Dr. Jones. Darum halte ich es für besser, daß Alecia und ich auf der Gewinnerseite stehen.«
»Selbst wenn Sie ihr das Herz brechen, um das zu gewährleisten?« erwiderte Indy.
»Ich brauche sie«, gestand Alistair.
Er legte die Hand um den Griff und drehte ihn um neunzig Grad. Der Sarkophag schwebte herab, der Berylliumsok-kel versank in dem vierundzwanzigeckigen Polyeder. Der rote Nebel verzog sich - und auf einmal erstarb alles. Der Wasserfall über dem Eingang zur Kammer schrumpfte zu einem Rinnsal zusammen, das schließlich ganz verebbte.
»Aufregend!« rief Sarducci. »Solche Macht, damit habe ich nicht gerechnet!«
»Sie wissen nicht, worauf Sie sich eingelassen haben«, warnte Indy.
»Genau das fasziniert mich ja so«, verriet Sarducci ihm.
Alistair versuchte, den Zylinder zu verrücken, aber er gab keinen Zentimeter nach. Er drehte und drehte weiter, um hundertachtzig Grad, bis er spürte, daß der Zylinder sich bewegte. Ganz langsam glitt er aus dem Polyeder. Dabei wurde das Summen leiser.
Indy betrachtete seine Füße. Seine Schuhe verdeckten die Abdrücke auf dem Boden. Er stand reglos wie ein Stein.
»Ist schwer«, sagte Alistair und tappte hin und her.
»Das muß auch so sein«, bemerkte Sarducci. »Falls ich mich nicht irre, ist er aus Gold gemacht. Luigi, hilf ihm.«
Luigi schulterte das Maschinengewehr, kam einen Schritt näher, legte Hand an den goldenen Zylinder und zog ihn an sich. Als das untere Ende rausrutschte, schoß ein purpurrotes Licht aus dem Loch im Polyeder, gerade so, als ob jemand eine Hochofentür aufgerissen hätte. Dann fiel etwas herunter und bedeckte das Loch.
Luigi legte Sarducci den goldenen Zylinder vor die Füße.
»Der Preis!« rief Sarducci. »Die goldene Schatulle! Tauschen Sie jetzt den Zylinder gegen einen aus dem Regal aus, falls es Ihnen nichts ausmacht. Wir dürfen nicht einfach so gehen.«
Alistair handelte gemäß Sarduccis Anweisung und trug einen Zylinder zum Polyeder hinüber, hielt aber kurz inne, um ein Ende abzuschrauben und hineinzugreifen. Er zog die Hand wieder heraus und ließ das Material durch die Finger gleiten. »Wie ich vermutet habe«, sagte er. »Stark uranhaltig.« Er schraubte den Deckel wieder auf und schob ihn mit Luigis Hilfe in den Polyeder, ehe er den Griff in die ursprüngliche Position brachte.
Der Sarkophag schwebte wieder nach oben, der Berylliumsockel kam zum Vorschein, und der Nebel driftete in die Kammer zurück. Das Plätschern des Wasserfalls hallte durch den Raum.
»Nun, warum begleiten Sie uns nicht nach oben?« bot Sarducci an. »Ich weiß, daß ich Sie eigentlich lieber hier unten töten sollte, aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Mona während Ihrer letzten Minuten nicht anwesend sein soll. Sie beide beschimpfen sich in solchen Situationen immer so köstlich.«
Die hintere Tür des Panzerwagens fiel auf. Wegen des intensiven Sonnenlichts mußte Alecia blinzeln. Mit gefesselten Händen wurde Indy in den Wagen geschoben und landete auf den Knien neben ihren Füßen.
»Bist du verletzt?« fragte Sallah besorgt.
»Ich werde es überleben«, sagte Indy.
»Ja, aber nicht lange«, höhnte Luigi und kroch hinter ihm in den Wagen. Die Thompson war entsichert. »Sobald der maestro sein Experiment beendet hat, gehören Sie mir. Und dann kann ich endlich meine Brüder rächen.«
»Na, das ist doch mal was, auf das man sich freuen kann«, entgegnete Indy.
»Die römischen Schweine haben meine Männer umgebracht«, beklagte sich Farqhuar und warf Luigi finstere Blicke zu. »Aber dafür werden sie teuer bezahlen. Mein Volk wird -«
Luigi verpaßte ihm mit dem Griff der Thompson einen Schlag. Der Prinz verstummte.
»Ihr Volk besteht aus vierzig abgerissenen Nomaden«, machte Luigi sich kichernd lustig. »Oh, tut mir leid. Jetzt sind es nur noch achtunddreißig. Oder siebenunddreißig?«
Luigi setzte sich ihnen gegenüber und trank Wasser aus einer Flasche. Er sah müde aus, sein Gesicht und seine Hände waren rot. Er hatte sich einen schlimmen Sonnenbrand zugezogen. Indy konnte sich nicht daran erinnern, daß die Hände und das Gesicht schon rot gewesen waren, als er mit Sarducci zu ihnen in die Kammer gestoßen war.
»Dieses Experiment?« fragte Alecia. »Umwandlung?«
»Ja«, antwortete Luigi langsam. »Der Chef wird so viel Gold haben, wie es ihm gefällt. Wir Faschisten, wissen Sie, haben glänzende Ambitionen, aber uns fehlt es an Geld.«
Er schien die für ihn so typische Großspurigkeit abzulegen. Einen Moment lang schloß er die Augen, als ob er zu erschöpft wäre, um weiterzureden.
»Bald«, sagte er mit schläfriger Stimme, »werden wir unaufhaltbar sein.«
»Sie sterben«, sagte Indy. »Sie sind sich dessen bewußt, nicht wahr? Sie standen direkt vor diesem grellen Licht, und das hätten Sie nicht tun dürfen.«
»Alles Lügen«, rief Luigi. Doch dann wurde er auf einmal ganz nachdenklich. »Ich werde den maestro fragen gehen.«
Ungelenk stieg er aus dem Panzerwagen. Nach einigem Zögern schnappte er sich eine Abschleppstange und zwängte sie unter den Türgriff, damit die anderen nicht zudrücken konnten.
Draußen vor dem Fahrzeug hatte Sarducci den goldenen Zylinder auf den Boden gestellt, sich davorgekniet und kämpfte mit dem Deckel. Das Aufschrauben stellte ihn vor Probleme. Offenbar hatte er keine Kraft mehr.
»Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist«, gab Alistair zu bedenken und wischte sich mit dem Ärmel die Stirn ab. »Vielleicht sollten wir lieber warten, bis wir im Labor sind. Dort können wir die Sache besser kontrollieren -«
»Halten Sie die Klappe!« schnauzte Sarducci ihn an. »Ich muß es wissen und zwar jetzt. Helfen Sie mir.«
»Nein.« Besorgt setzte er sich ein paar Meter weiter in den Sand.