Kuba.
»Ich gehe mal davon aus, daß die Vitrine gerade geputzt wurde und dann neu bestückt werden soll«, raunte Brody hoffnungsvoll. »So wird es sein. Oder sie packen den Schädel ein, damit er auf dem Transport nicht beschädigt wird.«
Caramia, die Sekretärin des verstorbenen Sarducci, durchquerte den Raum. Ihre Absätze klapperten auf dem Marmorboden. Das dunkle Haar trug sie zu einem Knoten hochgesteckt, und auf dem Revers ihrer braunen Kostüm-jacke prangte eine Miniaturfasces, die der über der Flügeltür nachempfunden war.
»Meine Herren«, wandte sie sich an Indy und Brody. »Es tut mir schrecklich leid, daß ich Sie nicht mehr telefonisch erreichen konnte. Ich habe bei Rinaldi in Ihrem Hotel eine Nachricht für Sie hinterlassen, aber Sie haben offenbar noch nicht eingecheckt.«
»Könnten Sie mir bitte verraten, was dieses Wort bedeutet?« fragte Brody.
»Weißt du das nicht, Marcus?« fragte Indy, ehe er lächelnd für seinen Freund aus dem Italienischen übersetzte: »Gestohlen.«
NACHWORT
Obwohl Indiana Jones und der Stein der Weisen zweifellos fiktiv ist, basieren eine Menge Dinge, die Indy im Verlauf dieses Abenteuers erlebt und entdeckt, auf Tatsachen. Die Beschreibungen des Princeton-Campus und des American Museum of Natural History in den dreißiger Jahren beruhen beispielsweise auf zeitgenössischem Material, in diesem Fall den Führern, die von der Works Progress Administration veröffentlicht werden. Das Folgende ist für die Leser gedacht, die sich für die Themen und historischen Gestalten interessieren, mit denen Indy im Verlauf seiner Abenteuer zu tun hat.
Alchemie, die alte Pseudo Wissenschaft, die die Grundlage der modernen Chemie darstellt, weist alle Elemente der klassischen Forschung auf: verborgenes Wissen, geheimnisvolle Rituale und die Aussicht auf unvorstellbare Macht und Reichtum. Sie setzt sich zu gleichen Teilen aus dem Materiellen (der Umwandlung eines herkömmlichen Metalls in Gold durch den sagenumwobenen Stein der Weisen) und dem Spirituellen (ein Pfad, der die Reinigung der Seelen der Kenner in Aussicht stellt) zusammen.
Alchemistische Erfolgsgeschichten sind unweigerlich in Zweifel zu ziehen - es sei nur an die Geschichte von Nicho-las und Perenelle Flamel erinnert, die erfolgreich sind, weil sie ein reines Herz haben. Gutgemeinte Skepsis hat nichts daran geändert, daß Generationen von Menschen verlockt wurden, obskure Texte zu studieren und viele Stunden in übelriechenden Labors zuzubringen. Und obwohl die Alchemie dem modernen Geist wie eine Narretei erscheinen mag, wurde sie von einer großen Anzahl Gelehrter ernst genommen.
Gerade in diesem Jahrhundert ist das Interesse an der Alchemie erneut entfacht. Als es Lord Rutherford, dem all-seits bekannten englischen Physiker, gelang, Nitrogen unter Zuhilfenahme von Radioaktivität in Oxygen zu verwandeln, wurde die bis dahin geltende wissenschaftliche Meinung, die besagte, daß Umwandlung unmöglich sei, revidiert.
Die Nazis und die italienischen Faschisten initiierten beide ernst zu nehmende Untersuchungen, die auf den Versuch abzielten, Blei oder ein anderes Material in Gold zu verwandeln, mit dem Ziel, auf diese Weise ihre Kriegsmaschinerie finanzieren zu können.
Erich von Ludendorff, ein Anhänger Hitlers während dessen Münchner Aufstiegs, organisierte das »Unternehmen 164«, mit dem die Bemühungen des deutschen Alchemisten Franz Tausand unterstützt wurden. Man hoffte damals, auf diese Weise die Finanzierung der Nazipartei gewährleisten zu können. Im Jahre 1929 wurde Tausand wegen Betrugs verhaftet. 1931, nach einem aufsehenerregenden Gerichtsverfahren, erhielt Tausand eine Haftstrafe von vier Jahren. Man sagt diesem Mann jedoch nach, daß es ihm gelungen sei, während er auf seinen Schuldspruch wartete, Gold zu machen und zwar unter Aufsicht in der Münchner Münzanstalt.
1936 befahl Mussolini faschistischen Wissenschaftlern, einer von dem polnischen Ingenieur Dunikovski durchgeführten Demonstration beizuwohnen. Dieser Mann behauptete, eine neue Art Strahlung - Z-Wellen - entdeckt zu haben, mit der man Sand in Gold verwandeln könne. Obwohl die Italiener sich weigerten, an Dunikovskis Unternehmen teilzuhaben, weil er 1931 aufgrund ähnlicher Behauptungen wegen Betrugs angeklagt wurde, gründete man ein englisch-französisches Syndikat, das Sand aus Afrika nach England verschiffte, wo er umgewandelt wer-den sollte. Dieses Unterfangen wurde durch den Zweiten Weltkrieg vereitelt, der Plan wurde niemals ausgeführt. Ende der dreißiger Jahre wurde einem Londoner Osteopath namens Archibald Cockren nachgesagt, Gold gemacht zu haben, unter der Verwendung der Zwölf Schlüssel des Basil Valentine, einem deutschen Mönch aus dem 15. Jahrhundert. Cockren starb jedoch während eines Luftangriffs und nahm sein Geheimnis mit ins Grab.
Auch wenn niemand genau bestimmen kann, wann die Alchemie ins Leben gerufen wurde, hat es den Anschein, daß sie zur gleichen Zeit- nämlich vor zweitausend Jahren - in Ägypten und China zum ersten Mal aufgetaucht ist. Die Theorie des Steins der Weisen stammt aus China, wo die Alchemie mit Taoismus in Verbindung gebracht wurde. Man hing dem Glauben an, daß Gold, vom Stein der Weisen produziert, die Macht hatte, Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern. Diese Idee wurde später von den arabischen Alchemisten übernommen. Im Lauf der Zeit nahmen sich auch andere Philosophen dieser Theorie an, z. B. das Konzept der vier grundlegenden Elemente von Aristoteles (Luft, Wasser, Erde und Feuer). In Arabien bildete sich die Theorie heraus, daß sich alle Metalle aus einer bestimmten Mischung aus Sulfur und Quecksilber zusammensetzen. Ein großer Teil der spirituellen Seite der Alchemie stammte von den Gnostikern, die in den chemischen Prozessen, die sie beschrieben, einen Kampf auf Leben und Tod zwischen dem Guten und dem Bösen sahen.
Alchemie entwickelte sich zu einem eigenwilligen Konglomerat aus Religion, Wissenschaft und kulturellen Eigenheiten. Im 2. Jahrhundert war Alexandria das internationale Zentrum der Alchemie. Dort sollen die Ge-heimnisse der Metallumwandlung von den Tempelpriestern sorgfältig gehütet worden sein. Als im 4. Jahrhundert das institutionalisierte Studium der Alchemie durch die Zerstörung der Akademie und der großen Bibliothek in Alexandria abrupt beendet wurde, gingen die Alchemisten in den >Untergrund<. Alchemistische Schriften wurden absichtlich schwer verständlich - in Rätseln und Reimen -abgefaßt, damit nur noch der Eingeweihte darauf hoffen konnte, sie zu entziffern.
Während des Mittelalters und der Renaissance wurde die Erfindung der Alchemie Hermes Trismegistos zugeschrieben. Man ging davon aus, daß die 36 000 alchemistischen Texte, von denen der wichtigste auf der smaragdgrünen Tafel festgehalten ist, aus der >Feder< des Hermes stammten. Hermes war eine geheimnisvolle Gestalt, die mit dem ägyptischen Gott Thoth in Verbindung gebracht wurde. Tatsache ist, daß Hermes in so vielen verschiedenen Gestalten auftaucht, daß es unmöglich ist, hier alle aufzulisten. Durch die Einbettung der Alchemie in diese altehrwürdige Tradition verlieh man ihr die dringend notwendige Glaubwürdigkeit, über die jede gute Geschichte einer großen Suche verfügen muß.
Obwohl der Fachmann der Alchemie viele der Geräte in modernen Laboratorien wiedererkennen würde - Reagenzgläser, Glasflaschen und Petrischalen wurden allesamt von Alchemisten entworfen - besteht durchaus die Möglichkeit, daß diese Anhänger einer anderen Epoche auch die Symbole ihrer Suche erkennen, die in die moderne Psychologie eingeflossen sind. C. G. Jung war beispielsweise vom Reichtum alchemistischer Symbole tief beeindruckt, von Schlangen, Drachen, Pelikanen, die sich die eigene Brust aufreißen, von der inzestuösen Geschwisterheirat. Viel-leicht zeigt gerade diese Vielfalt an Mythen und Metaphern, daß die Alchemie bis heute ihren Beitrag zum menschlichen Erfahrungsschatz leistet.