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Die Menge jubelte, als der Jesus in den Käfig geworfen wurde.

»Aber«,protestierteIndy, »Judas ...«

Bernabe zuckte mit den Achseln.

»Hier vermischen sich der christliche Glaube und die alten Traditionen«, sagte er. »Den Priestern gefällt das gar nicht. Aber was können sie dagegen unternehmen? In den Augen meines Volkes ist Judas auch Maximon, der Maya-Gott der Unterwelt, der dafür sorgt, daß sich die Welt auch in Zukunft dreht, weil er alles daransetzt, daß die Menschen sich ineinander verlieben.«

Jemand zupfte an Indys Peitsche, die an seinem Gürtel hing. Als er sich umdrehte und den Blick senkte, schaute er in die Augen eines verängstigten Kindes. Das Mädchen warf ihm eine Münze vor die Füße und rannte auf und davon.

Indy staunte nicht schlecht.

»Sie hielt Sie für einen Judas«, sagte Bernabe.

Indy bückte sich und hob die Münze auf. Er nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und studierte sie. Das war ein Kupfer-Centavo, der nur den Bruchteil eines amerikanischen Cents wert war. Die Münze war im Jahre 1899 geprägt worden, in dem Jahr, in dem Indy auf die Welt gekommen war.

Er steckte die Münze in seine Hemdtasche und richtete sich auf.

»Bernabe«, sagte er. »Sag mir die Wahrheit. Was hat es mit dem Fluch des Kristallschädels auf sich?«

»Ja - wissen Sie das denn nicht, Chef?« staunte Bernabe. »Sie werden töten, was Sie lieben.«

KAPITEL EINS. Gegenstände aus vergangenen Epochen

»Was weißt du über das Voynich-Manuskript?«

Diese Frage hatte Marcus Brody ihm so ganz nebenbei gestellt, während er gerade damit beschäftigt war, Sahne und Zucker in seinen Kaffee zu rühren, aber Indiana Jones hörte diesen bestimmten Tonfall nicht zum ersten Mal. Auch das Funkeln in den Augen seines alten Freundes war ihm nicht fremd.

»Nicht viel«, bekannte Indy, faltete die Morgenausgabe der New York Times zusammen und legte die Zeitung weg. Sie saßen draußen vor dem Tiger Coffee House, auf dem Bürgersteig Ecke Nassau und Witherspoon, an einem Tischchen, direkt gegenüber dem Campus der Princeton University.

Es regnete.

»Soweit ich mich erinnere, wurde das Manuskript für eine Ausstellung seltener Bücher an Yale ausgeliehen«, begann Indy und trank dann einen Schluck heißen schwarzen Kaffee. »Es ist mindestens vierhundert Jahre alt, wurde in einer unbekannten Sprache von dem Alchemisten Roger Bacon geschrieben und birgt allem Anschein nach das Geheimnis des Steins der Weisen - der laut Überlieferung die

Macht besitzt, Blei in Gold zu verwandeln, und Unsterblichkeit verleiht. Die Entdeckung des Manuskripts hat vor ein paar Jahren international Aufsehen erregt; damals war ich noch Student. Ich meine mich zu entsinnen, daß man es als das >geheimnisvollste Manuskript der Welt< bezeichnete, aber alle Versuche, es zu entschlüsseln, sind fehlgeschlagen.«

»Da hast du verdammt recht«, sagte Brody und gönnte sich ein leises Lächeln. »Ich habe einmal einen Blick darauf geworfen, mehr aus Neugier als aus wissenschaftlichem Interesse, aber ich konnte mir natürlich auch keinen Reim darauf machen. Ich glaube nicht, daß jemand anderer dazu in der Lage sein dürfte, jedenfalls nicht ohne den passenden Lösungsschlüssel.«

»Warum fragst du?«

»Es wurde gestohlen.«

»In den Zeitungen hat nichts darüber gestanden.«

»Nein, und ich rechne auch nicht damit, daß das noch passieren wird«, entgegnete Brody. »Ich habe erst vor ein paar Tagen von dem Diebstahl erfahren, als ein paar überaus seriös wirkende Beamte mir einen Besuch im Museum abstatteten. Und sie haben mir eine Menge Fragen über dich gestellt.«

»Über mich?«

»Ja«, sagte Brody. »Die Universität hat ihnen gesagt, daß du dich im Auftrag des Museums auf einer Expedition befindest, und sie wollten von mir erfahren, wie man mit dir in Verbindung treten kann. Natürlich war ich ihnen nicht von großer Hilfe, zumal die Mayas sich geweigert haben, so etwas Nützliches wie eine Telefonleitung in ihren Ruinen zu installieren. Und außerdem wußte ich nicht, wann du zurückkehren würdest.«

Seit zwei Jahren, also seit genau dem Zeitpunkt, als Bro-dy zum Direktor für Besondere Anschaffungen am American Museum of Natural History in New York ernannt worden war, finanzierte diese Institution stillschweigend Indys >Forschung<. Das Arrangement hatte die Sammlung des Museums beträchtlich vergrößert, während Indy freigestellt war, an jeden Ort der Welt zu reisen, wie und wann es ihm gefiel. Diesen Luxus konnte er während der Depression mit dem Gehalt eines Universitätsprofessors nicht aus eigener Tasche finanzieren.

Abwesend machte Indy sich an der Krawatte zu schaffen, die über den Kragen seiner Strickjacke gerutscht war, und stierte in den dichten Regen, der über der Nassau Street herab ging. An der Ecke stand eine alte Frau mit naß an den Kopf geklatschtem Haar. Auf der Ladefläche eines Holzkarrens verkaufte sie Äpfel. Auf einmal fühlte Indy sich unwohl in seiner Haut. Ein Anflug von schlechtem Gewissen überkam ihn, weil er hier unter dem schützenden Dach saß, Kaffee trank und Brodys Freundschaft genoß.

»Noch etwas Kaffee, Dr. Jones?«

»Wie bitte?«

»Sir, hätten Sie gern noch etwas Kaffee nachgeschenkt?« fragte der Kellner.

»Entschuldigen Sie, ich war gerade in Gedanken versunken«, verriet Indy ihm. »Nein, danke. Ich muß gleich zum Unterricht.«

Brody hielt abwehrend die Hand hoch, woraufhin der Kellner sich höflich verzog.

»Du sagtest, deine Besucher arbeiten für die Regierung?« hakte Indy nach. »Da muß ich mich doch fragen, warum sich das FBI des Diebstahls eines so ungewöhnli-chen Gegenstandes annimmt? Also, wer könnte überhaupt Interesse daran haben, dieses Manuskript zu stehlen?«

»Mein erster Gedanke galt einem privaten Sammler«, meinte Brody. »Genau aus diesem Grund möchten sie sich wahrscheinlich mit dir unterhalten. Sie gehen vielleicht davon aus, daß du sie mit entsprechenden Hinweisen versorgen kannst.«

»Das ist doch eher dein Steckenpferd als meins.«

»Vielleicht wollen sie auch, daß du ihnen bei der Wiederbeschaffung behilflich bist«, wandte er ein, und damit kehrte das Funkeln in seinen Augen zurück. »Falls jemand dazu in der Lage ist, dann bist du das.«

»Kein Interesse«, sagte Indy. »Ich muß mich dringend ausruhen.»

Aus seiner ledernen Aktentasche zog Indy einen Stapel handbeschriebener Blätter. »Hier ist der Bericht über die Cozan-Expedition«, sagte er. Am Morgen hatte Indy Brody schon kurz über den Verlust des Kristallschädels informiert und dabei sorgsam darauf geachtet, kein Wort über den Fluch zu verlieren, der laut Bernabe von dem Gegenstand ausging. »Es tut mir aufrichtig leid, daß die Angelegenheit keinen günstigeren Verlauf genommen hat. Ich weiß nicht mal, wer diese Kerle im Flugzeug waren. Und ich fühle mich beschissen, weil ich das Geld des Museums verpraßt habe und mit leeren Händen zurückgekommen bin.«

Mit einer Handbewegung tat Brody die Entschuldigung ab.

»Die Archäologie ist keine exakte Wissenschaft«, erinnerte er Indy vorsichtig. »Jedes Vordringen in das Unbekannte beinhaltet ein gewisses Risiko. Die Funde, die du für uns bisher gemacht hast, wiegen einen kleinen Rückschlag wie diesen lange auf, und falls ich enttäuscht wirken sollte, dann nur, weil du niedergeschlagen wirkst.«

Indy schüttelte den Kopf.