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 WIDMUNG:

Für Wendy Brewer. Sei meine Cthulheena.

DANKSAGUNG: Als Allererstes möchte der Autor dem großen, leider verblichenen H.P. Lovecraft für dreißig Jahre schauriger Wunder und furchtbaren Einflusses danken. Eben-so gebührt dem verstorbenen Brian McNaughton mein Dank für frühe Einflüsse, des Weiteren Tim McGinnis, Bob Strauss, Richard Chizmar und Ian Levy. Ferner stehe ich in der Schuld von Autoren wie S. T. Joshi, Darrell Schweitzer und Anthony Pearsall, die zahlreiche Bücher über das Leben und das Werk von HPL geschrieben haben. Man möge mir jegliche falsche Darstellung und/oder Fehler vergeben.

I

Das Geräusch des Busses bot einen passenden auralen Hintergrund: Ich stellte mir vor, ich würde in der Haut des Meisters stecken und könnte sehen, was er auf der anderen Seite des trüben Fensters erblickt hätte. Und das wären keine gewöhnlichen Felder, unscheinbaren Baumreihen und auch nicht der typische Sommerhimmel Neuenglands gewesen, sondern etwas weitaus Finsteres. Verdorrte Heidepflanzen, die auf trockenen Auen und zwischen absterbendem Gras herumstanden, und ein Himmel, der bedrohlich auf alles herabsah. Und da – ja! –, über die verrosteten Überreste einer uralte Brücke hinweg, wurde mein Blick vom trägen Miskatonic angezogen, in dessen Tiefe Gott weiß was lauerte oder aufgebläht und tot oder in einem noch schlimmeren Zustand lag. Das prosaische Busfenster war nicht länger eine durchsichtige Scheibe, sondern ein obskures Prisma, ein Spiegel, durch den sich ein unheimlicher Anblick bot in unendlich tiefe Schluchten und Felsspalten, die Dimensionen voneinander trennten und unbeschreibliche Schrecken enthielten. Dann blinzelte ich …

… und musste grinsen. Unter mir toste lediglich der durch und durch weltliche Essex River, und an jeder Seite erhoben sich endlose Reihen aus Pinien und Eichen. Nein, auch wenn mich Gott mit einem unendlichen Wissensdurst ausgestattet hatte, war ich nicht derart besessen, dass ich auch nur einen winzigen Teil der Vorstellungskraft des Meisters übernommen hatte. Vermutlich gefielen mir seine Geschichten aus diesem Grund derart gut. Allerdings war Vorstellungskraft eine Gabe, die bei wahren Autoren des Fantastischen auch besser aufgehoben war.

Autoren wie Howard Phillips Lovecraft.

Mit mir im Bus saß etwa ein halbes Dutzend weiterer Fahrgäste, ihrem Aussehen nach alles hart arbeitende Männer, und ich fragte mich, ob Lovecraft selbst jemals in diesem Bus gesessen hatte. Falls dem so gewesen war: auf welchem Sitz? Durch welches Fenster hatte er geblickt, um sich zu beschäftigen? Meine Verehrung dieses Genres war schon eine seltsame Sache. So wie HPL von allem über den Kosmos bis hin zur Architektur der Kolonialzeit fasziniert gewesen war, scheint mich seine Arbeit zu fesseln.

Mein Name ist Foster Morley, ich bin dreiunddreißig Jahre alt und habe braune Haare und braune Augen. Ich schätze, dass mich Lovecraft als unscheinbar und unauffällig beschrieben hätte, doch eine ganz bestimmte Parallele hätte ihn gewiss amüsiert. Wie so viele seiner Charaktere entstamme ich ebenfalls einer englischen Oberschichtfamilie, die von Hause aus wohlhabend ist, und habe einen ungenutzten Abschluss der Brown University. Mein Wohnsitz ist ein 180 Jahre altes Herrenhaus im schönen Providence, in der Nähe des Athenaeums, das meine Vorfahren schon vor der Revolution bewohnt haben. Diese Familie ist jetzt verblichen, ich bin der einzige Nachfahre. Daher kann ich dank meines Schöpfers meine Zeit mit Träumereien verbringen, in denen es mir ebenfalls an nichts fehlt, und wenn ich mich nicht dem Philanthropendasein hingebe, dann … lese ich. Ich lese

Lovecraft, und zwar wieder und wieder, da es seinen zu Papier gebrachten Worten gelingt, mich in andere, deutlich interessantere Welten zu versetzen. Welten, die der unsren nicht gleichen, die von Finanzkrisen und unangenehmen Kriegen heimgesucht wird. Nein, stattdessen begebe ich mich in Welten voller schauriger Wunder und teuflischer Schrecken.

Seltsamerweise kannte ich Lovecraft gar nicht, bis ich vor etwa zwei Jahren, genauer gesagt im März 1937, einen Nachruf im Providence Evening Bulletin las, in dem über das Ableben des ansässigen Fantasten und dessen seltsame Karriere berichtet wurde. Da meine Neugier geweckt war, besorgte ich mir die Ausgabe des Magazins Weird Tales aus dem Juni 1936 und las Der Schatten aus der Zeit. Von diesem Augenblick an hatte er mich am Haken, und danach gab ich zwar geringe Summen aus, unternahm jedoch beachtliche Anstrengungen, um alles, was der Meister je geschrieben hat, in meine Bibliothek aufzunehmen. Meine Besessenheit war greifbar und mehr als das – vielleicht meine Rettung. Zwar wähnte ich mich in meiner Einsamkeit ohne jegliche Gefährten durchaus zufrieden, doch nun hatte ich etwas gefunden, das mir so lange Zeit gefehlt hatte: einen mentalen Rückhalt, eine Reise in die verlorenen Regionen, die ich nun jede Nacht unternahm, anstatt die qualvollen leeren Stunden zu zählen.

Dann las ich seine Werke noch einmal an seinem Grab auf dem Swan Point Cemetery, ich schlenderte jede Woche einmal an seinem Wohnhaus in der College Street vorbei und hielt stets inne, um hinauf zum Federal Hill zu sehen und einen Blick in die St. John’s Catholic Church zu werfen, die ein Vorbild für seine letzte ernsthafte Erzählung gewesen war, die brillante Story Der leuchtende Trapezoeder. Außerdem ging ich die Angell Street und die Benefit entlang in der Hoffnung, dass irgendein psychischer Rückstand meines Vorbilds zurückgeblieben wäre und mich beschleichen oder mir irgendwie einen makaberen, ätherischen Segen verpassen könnte. Einmal die Woche kaufte ich im Weybosset’s Store ein, wo auch er seine kargen Einnahmen regelmäßig für Lebensmittel ausgegeben hat. Und nicht nur einmal fuhr ich mit der Eisenbahn nach New York, um staunend das heruntergekommene Reihenhaus in Flatbush anzustarren, in dem der Meister hin und wieder mit seiner Frau gelebt hatte; und erst vor Kurzem habe ich eine Kerze in der St. Paul’s Chapel am Broadway angezündet, in der sie geheiratet haben. Ferner begann ich, seine Reiserouten nachzuvollziehen: von Marblehead im Bezirk Columbia nach New Orleans, von Wilbraham, Massachusetts, nach Dunedin, Florida – und alles ausschließlich per Dampfzug oder Autobus, da ich auf diese Weise dasselbe langwierige und knatternde Erlebnis hatte. Für mich war es ausgesprochen wichtig, dass ich dasselbe sehen konnte wie er und dass ich dieselben Orte aufsuchte. Einst stand ich vor Poes Grab in Baltimore, nur weil ich wusste, dass Lovecraft dort früher einmal ebenfalls gestanden hatte. Ich habe sogar versucht, das Giebelhaus in der Benefit Street 135 zu erwerben, doch die Besitzer wollten es nicht verkaufen, nicht einmal zu dem lächerlich hohen Preis, den ich ihnen angeboten hatte, schließlich handelte es sich dabei um das berüchtigte, von Flechten überzogene »geächtete« Haus.

Ob ich besessen bin? Zweifellos. Ein Psychiater würde mein Verhalten mit einem Begriff bezeichnen, der ziemlich medizinisch klingen würde, vermutlich analytisch und jungianisch. Dank

Lovecrafts Worten weiß ich, dass ich verzweifelt nach etwas suchte, und ich werde erst wissen, was das ist, wenn ich es endlich gefunden habe.

Äh, Verzeihung. Ich hätte sagen sollen, dass ich es bereits gefunden habe – und zwar in Innswich –, was mich vermutlich auf ewig heimsuchen wird.

Ich hatte den Bediensteten das Haus überlassen – sie waren schon daran gewöhnt, dass ich gelegentlich unerklärliche Reisen unternahm – und beschlossen, die fiktive Reise eines seiner Charaktere nachzuvollziehen, des ungenannten Protagonisten aus meiner Lieblingsgeschichte Schatten über Innsmouth. In Lovecrafts Notizen wurde dieser unglückliche fiktive Charakter laut seines Vertrauten August Derleth als Robert Olmstead bezeichnet, wenngleich der Name in der veröffentlichten Geschichte niemals auftaucht. Doch es ist leicht zu erkennen, dass diese Mr. Olmstead ein Spiegelbild von Lovecraft darstellt: Er ist ein Liebhaber des Altertümlichen und der Architektur und hat die Tiefen Neuenglands stets mit der preiswertesten Methode bereist, um seinen Leidenschaften nachzugehen.