Selbst wenn ich meine Vorstellungskraft aufs Äußerste anstrengte, hatte ich keine Erklärung für die Worte, die ich da hörte, noch für die haarsträubenden Beweise, die ich aufgrund meiner Neugier aufgedeckt hatte.
Ich ging weiter zum nächsten Loch …
Großer Gott …
… und sah die wohl makaberste Szene, die ich in meinem dreiunddreißigjährigen Leben bisher gesehen hatte.
Mehrere Matratzen lagen auf dem Boden, und in den Ecken standen einige Metallpfannen. »Gott, wie ich es hasse«, erklang die Beschwerde einer Frau. Es handelte sich um noch eine schwangere Frau, diese war aber eher schäbig und älter. Sie hatte sich auf die Knie niedergelassen und neigte sich zu einem Mann, der auf einer der Matratzen lag.
Oder, um mich schleunigst zu korrigieren: zu den Überresten eines Mannes …
Er lag zergliedert da, nackt, mit Narben an den Stellen, wo man ihm die Arme an den Ellenbogen und die Beine an den Knien abgenommen hatte. Er war schlank, hatte blasse Haut und trug einen Bart, und die schwangere Frau wusch ihn gerade mit einem klatschnassen Schwamm im Lendenbereich. Ihr Ausdruck des Widerwillens hätte nicht anschaulicher sein können. »Die stinken bloß so! Oh, und die Läuse! Ich hasse das wirklich so sehr!«
»Du hasst es!«, beschwerte sich eine zweite Frau. »Du musst es ja nicht tun!«
Dieser Einwand war von der vordersten Matratze gekommen, auf der ein Mann in identischem Zustand wie der erste lag, nur dass dieser glatt rasiert und blond war. Ich konnte Stiche an seinen Stümpfen erkennen. Doch die Frau war nicht dabei, ihn zu waschen – sie hatte gerade unverhohlen Geschlechtsverkehr mit ihm, einen Ausdruck des Unwillens im Gesicht.
Und dieses Gesicht kannte ich.
Monica, schoss es mir durch den Kopf, vom Pier. Ich hatte sie erst vor Kurzem im Treppenhaus gesehen, als sie durch die ständig verschlossene Tür im ersten Stock gegangen war.
Jetzt wusste ich, warum man die Tür immer absperrte.
Welche Art von Wahnsinn konnte erklären, was ich da gerade vor mir sah? Diese armen Männer waren eindeutig zu Invaliden gemacht worden. Dass sie identische Unfälle erlitten hatten? Ausgeschlossen. Und ihre Amputation spiegelten exakt die von Marys Bruder Paul wider. Welche üble Ahnung drängte mich zu glauben, dass diese Männer mit Absicht und vorsätzlich ebendieser obszönen Absicht wegen verstümmelt worden waren?
Am hintersten Rand meines Sichtfelds erkannte ich ein drittes Opfer auf einer Matratze. Auf dessen Lende hatte sich eine andere dünne, junge Frau energisch niedergelassen und ihren Rock hochgezogen, um ihr Privates zugänglich zu machen. »Beeil dich, du stinkendes Schwein«, murmelte sie.
»Der hier scheißt sich auch ein«, sagte die schwangere Frau verächtlich. »Das macht er mit Absicht.«
»Das tue ich nicht!«, protestierte das Opfer, das sie gerade wusch. Der Mann schien eine Sprachbehinderung zu haben. »Ich kann nichts dagegen tun …«
»Du weißt doch, wo die Pfannen stehen!«, kreischte die Frau. »Vielleicht sollten wir eine Weile aufhören, dich zu füttern! Mal sehen, wie dir das gefällt!«
»Lass ihn in Ruhe, Joanie«, rief die jüngere Frau mit dem hochgezogenen Rock. »Ich habe ihn als Nächstes, und wenn er aufgeregt ist, schafft er es nicht. Er wird noch so enden wie Paul.«
Wie Paul, hallte es in meinem Kopf wider.
Im blanken Horror des Ganzen beobachtete ich eine Szene, die sicher der Hölle entsprungen war. Als diese Joanie ihre Zusammenkunft beendet hatte, ächzte sie, stand auf und blickte auf ihren verkrüppelten Spender hinunter. Nach etwa einer Minute oder so rollte sich der arme Mann von der besudelten Matratze, sodass er auf dem Bauch lag, dann hüpfte er auf die Enden seiner Gliedmaßen. Daraufhin schlenderte er unbeholfen – wie ein Hund, auf allen vieren – zu einem der Metallbehälter, um zu urinieren. Derweil begann der blonde Mann in etwas wie gequälter Glückseligkeit zu keuchen, während ihn seine unwillige Partnerin, Monica, mit einer Mischung aus erbittertem Hass und Brechreiz anblickte. Es schien eine Art Zuchtgehege der Hölle zu sein, auf was mein Auge gestoßen war.
Unfassbar, dachte ich in tiefster Verzweiflung. Monströs …, denn die Absicht, so makaber sie auch war, ließ sich allzu deutlich erkennen.
Ein perverses Teufelchen muss mein unmittelbares Verlangen vereitelt haben, diesen Ort des Grauens zu verlassen – ebenso das komplette Gebäude – und einfach zu fliehen; stattdessen blickte ich durch weitere dieser furchtbaren Gucklöcher. Ähnliche Szenen unbegreiflicher Obszönität waren die Belohnung für meine Mühe: Männer, reduziert auf nackte Torsi, lagen entweder reglos auf schmutzigen Matratzen oder durchquerten auf ihren abgehackten Stummeln den Raum. Einer schleckte Wasser aus einer Schüssel, wiederum wie ein Hund. Ein Raum nach dem anderen glänzte mit diesen unbegreiflichen, grotesken Szenen. Aber hinter dem nächsten Guckloch …
Gott, erlöse mich, betete ich.
Dies war keine Kammer aufgezwungener Zeugung. Stattdessen erspähte ich einen klinisch ausgestatteten Raum: medizinische Vorräte, Infusionsflaschen an Ständern, mehrere erhöhte Betten. In zwei dieser Betten lagen bewusstlose Männer mit bandagierten Gliedmaßen: der eine quasselnd und sabbernd, in den Fängen eines Albtraums, der andere mit offenem Mund und gänzlich still. Der Mann wirkte jung, aber ich konnte klar erkennen, dass er keine Zähne mehr hatte.
Doch das vorderste Bett bekümmerte mich am meisten.
Darin lag Mr. William Garret, die Stümpfe der kürzlich amputierten Gliedmaßen ähnlich bandagiert. Eine Schale mit blutigen chirurgischen Instrumenten, darunter auch eine Knochensäge, belegte einen Tisch in der Nähe; zu dem Flaschen, die deutlich lesbar mit CHLOROFORM beschriftet waren. Das ist eine Operationssuite, erkannte ich jetzt, verborgen in einem Hotel, dessen erster Stock stets verschlossen ist. Watte steckte in Garrets Mund, und als er plötzlich auf dem Bett zu zucken und zu blinzeln begann, trat eine schwangere Krankenschwester an seine Seite und tätschelte ihm beruhigend die Schulter. »Ganz ruhig, Sie kommen wieder in Ordnung«, sagte sie leise zu ihm. »Das geschieht alles aus einem Grund, der viel wichtiger ist als irgendeiner von uns.« Sie versuchte, munter zu klingen. »Und denken Sie nur an all die hübschen Mädchen, die Sie genießen werden.«
Garret wimmerte durch die Watte in seinem Mund hindurch. Diese hatte sich scharlachrot gefärbt, und in diesem Moment bemerkte ich auch eine kleinere Schale aus rostfreiem Stahl, voll mit kürzlich gezogenen Zähnen.
»Er kommt zu sich, Doktor«, sagte die schwangere Krankenschwester. »Bald wird er mehr Schmerzmittel brauchen.«
»Bereiten Sie die Injektion bitte vor, Lucy.«
Die Stimme kam von außerhalb meines Blickfeldes, aber ich war nicht überrascht, als Nächstes Dr. Anstruther in Laborkittel ans Krankenbett treten zu sehen. »Sie sollten sich lieber nicht wehren, Mr. Garret, sondern vielmehr Ihr neues Schicksal akzeptieren. Hören Sie auf, sich Ihr früheres Leben zurückzuwünschen. Dann geht es Ihnen gleich viel besser, das versichere ich Ihnen.« Er übernahm eine Spritze von der Schwester und injizierte sie schließlich in eine Vene. »Das Morphinsulfat ist ziemlich wirksam und wird Ihnen regelmäßig so lange verabreicht, wie es nötig ist – nur eine Frage von Tagen, ehrlich.« Dann zog er Garret mit einer Pinzette die Watte aus dem Mund. »Und wie Sie bereits gefolgert haben, habe ich Ihnen sämtliche Zähne gezogen.«
Garret sah den Arzt mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck an. »W… W… Warum?«
»Mit der Zeit werden Sie es verstehen. Oh, und ich freue mich, berichten zu können, dass ich Ihren Samen unter dem Mikroskop untersucht und eine beeindruckende Spermienanzahl und exzellente Motilität vorgefunden habe. Sie sind ein hervorragender Kandidat für die Erzeugerschaft.«