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Es müsste ganz in der Nähe sein, überlegte ich nach einer halben Stunde, und als ich zwischen zwei schäbigen Gebäuden hindurchblinzelte, glaubte ich, den Kopfsteinpflasterweg vor der Feuerwehr zu erkennen. Ja! Da stand sie mit geöffnetem Tor, aber merkwürdigerweise war in der Nähe keine Menschenseele zu sehen. Nur noch zwanzig Meter, wusste ich, dann würde ich an der unbeleuchteten Rückwand des Gebäudes stehen, in dem Cyrus Zalen und seine armen Nachbarn hausten. Tatsächlich konnte ich jetzt dieses Appartment komprimierter Verzweiflung vom Wald aus sogar riechen.

Sollte ich es wagen, zur Vordertür zu gehen, oder wäre es besser, hinten an eines der Fenster zu klopfen? Beides gefiel mir nicht besonders, aber ich wusste, dass ich mit diesem Mann sprechen musste. Zalens Wohnung lag an einem Ende des altersfleckigen Gebäudes; ich schlich ganz langsam an der Seite entlang, erstarrte dann jedoch, als wäre ich in eine Salzsäule verwandelt wie Lots Frau Edith …

Hinter mehreren gewundenen, Jahrhunderte alten Bäumen auf der Vorderseite konnte ich die schattigen Umrisse von Menschen erkennen.

Mein Herz wäre beinahe zersprungen, als sich von hinten eine Hand, rau wie Schmirgelpapier, auf meinen Mund legte und ich zurück in den Wald gezogen wurde. Zweifellos hatte einer ihrer »Wächter« mein Vordringen bemerkt. Erstickend und vergeblich rang ich mit dem drahtigen, doch grausam starken Schatten. Alle Luft wich mir aus der Brust, als ich zu Boden gerammt wurde.

»Seien Sie doch leise, Sie Narr!«, flüsterte eine Stimme verzweifelt. Es gelang mir, meine Pistole hervorzuholen und sie nach oben zu richten, doch der gesichtslose Schatten sprach weiter: »Wenn Sie den Abzug drücken, sind wir beide tot.«

Auf einmal erkannte ich an der Stimme, dass ich Zalen vor mir hatte.

»Pst!«

Die Gestalt in dem schäbigen Regenmantel hatte überhaupt keine Angst vor meiner Waffe. Stattdessen ließ Zalen mich auf dem Boden liegen, um heimlich an dem Baum vorbeizugucken, hinter dem wir uns beide versteckten. Als er zurückkehrte, wirkte sein Flüstern ruhiger.

»Sie haben Glück, dass die Sie nicht gesehen haben. Verdammt, wir hatten beide Glück.«

»Was wollen Sie …«

Er wirkte zornig. »Die überwachen meine Wohnung, Mann! Die warten auf mich, und die sind auch hinter Ihnen her, Sie Idiot! Sie hätten uns beinahe verraten, und inzwischen muss ich Ihnen wohl nicht mehr erklären, was die mit uns machen würden. Sie würden sich nicht im Wald verstecken, wenn sie es nicht wüssten.«

Mein rasender Herzschlag begann sich zu beruhigen. »Wächter. So hat Onderdonk sie genannt.«

»Jeder, der zum Stadtkollektiv gehört, weiß Bescheid«, flüsterte Zalen. »Sie dienen ihnen.«

»Ich habe Sie gesehen!«, flüsterte ich ebenso heftig zurück. »Sie erzählen mir, dass Lovecrafts Geschichte der Wahrheit entspricht! Und jetzt glaube ich Ihnen sogar!«

»Wie könnten Sie nicht?« Kicherte die hagere Gestalt etwa? »Sie müssen von der Küste kommen, obwohl ich Ihnen gesagt habe, dass Sie da nach Einbruch der Dunkelheit nicht hingehen sollen. Zwischen Ihrer Rumschnüffelei und meiner großen Klappe …«

»Jetzt weiß ich, warum so viele Frauen hier schwanger sind – ich habe gesehen, was sie im ersten Stock des Hilman treiben!«, knurrte ich. »Sie verkrüppeln Männer und benutzen sie zu …«

»Sicher, denken Sie doch mal drüber nach. Anstruther ist einer der Bonzen hier. Er schneidet ihnen die Beine ab, damit sie nicht weglaufen können, die Arme, damit sie sich nicht wehren können, und er zieht ihnen die Zähne, damit sie die Mädchen nicht beißen können. Das Bestreben ist, jede Frau aus dem Kollektiv fortwährend schwanger zu halten. Wann immer ein Kerl auf der Durchreise hier herkommt, der jung und von guter Abstammung ist, Bingo! Dafür benutzen sie sie. Das wollen diese Dinger: Neugeborene …«

»Als Opfer! Das ist widerwärtig!«

Zalen verdrehte im Mondlicht die Augen. »Oh Mann, sie sind wirklich unterbelichtet. Das ist nicht irgendein okkulter Hexenkram. Das ist Wissenschaft. Genau darüber hat Lovecraft geschrieben, wenn man zwischen den Zeilen liest. Je mehr Neugeborene die Stadt ihnen geben kann, desto glücklicher sind sie. Dann belohnen sie das Kollektiv.«

»Sie belohnen es?«

»Dies ist eine Fischereistadt, Morley. Sie belohnen uns mit einem Überschwang an Fisch. Vor dem Neuen Weg, in alten Tagen, haben sie uns auch Gold gegeben.«

Ich starrte ihn an. »Wie in der Geschichte.«

»Ja, Mann, genau wie in der Geschichte. Sie geben uns jetzt kein Gold mehr, weil das zu auffällig wurde. Die Stadt braucht es nicht. Das Gold hat nur bewirkt, dass die Leute faul wurden. Jetzt geht es ausschließlich um die Ressource, Fisch. In den letzten zehn Jahren ist dieses kleine verschissene Fischerdorf zum profitabelsten Meeresfrüchtehäfen des Landes geworden. Wir geben ihnen, was sie wollen, und sie geben uns, was wir wollen: Wohlstand. Und jedes Mal, wenn ein Boot von außerhalb der Stadt versucht, sich hier reinzuschleichen und Netze oder Angeln auszuwerfen …« Zalen kicherte erneut. »Die Boote sinken und die Leute darauf sieht man nie wieder. Denke nur ungern an das, was sie den armen Schweinen antun …«

Seine Worte wurden langsam von meinem Gehirn verarbeitet. »Sie«, murmelte ich verächtlich. »Lovecrafts Tiefe Wesen, die Dagoniten.«

»Ach, das sind doch nur Namen, die er sich ausgedacht hat, Morley. Wir wissen nicht, wie sie genannt werden …« Er zuckte mit den Achseln. »… daher nennen wir sie einfach die Vollblütigen oder die Dinger. Lovecraft hat dennoch genug rausgefunden. Er war ’21 zum ersten Mal hier, konnte aber nichts herausfinden, aber ’27?« Zalens freches Grinsen strahlte im Dunklen. »Sie sind ihm irgendwie ähnlich, wissen Sie das? Er kam her, weil ihm die Ausblicke hier gefielen, aber dann begann er, herumzuschnüffeln. Sie haben ihn gehen lassen, weil sie nicht wirklich wussten, wer er war. Doch diese gottverdammte Geschichte.« Er seufzte. »Sie sind hier, seitdem Obed Larsh einige der Mischlinge aus Ostindien mitgebracht hat. Er hat die Vollblütigen mit einer Art Bake gerufen, die ihm die Inselbewohner gegeben haben, bevor sie alle ausgelöscht wurden.«

Kalte Schweißperlen liefen mir die Wangen herunter wie krabbelnde Käfer. Ich konnte ihn nur anstarren ob der furchtbaren Bedeutung der Dinge, die er sagte, und ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu glauben. »In der Geschichte haben Bundesagenten und Schiffe der Marine die Wesen vernichtet, also warum …«

Er schnitt mir mit einem beleidigten Grinsen das Wort ab. »Das ist der einzige Teil, den er frei erfunden hat – des Dramas wegen, Mann. Ja, ich weiß, sie haben das Riff mit Torpedos beschossen, aber Sie wissen bereits, dass es nie ein Riff gegeben hat. Was Lovecraft gut hinbekommen hat, viel zu gut, war die Geschichte. Es war eine reale Geschichte über soziale Dekadenz und den moralischen Zusammenbruch. Sie haben ihre eigene Machtstruktur, genau wie wir; unsere Anführer wechseln, ihre ebenso. Eine ganze Weile haben sie die Vermischung zwischen ihrer Rasse und den Menschen gefördert, doch dabei ging es nur um pure Lust. Ein Mensch mit vermischtem Blut verändert sich mit der Zeit – irgendwas in jeder Zelle seines Körpers – und schließlich wird er den Dingern so ähnlich, dass er nicht stirbt. Sie ließen all die armen Toren in der Stadt in dem Glauben, dass, nachdem die sich komplett verwandelt hätten, ins Wasser gehen und auf ewig in Harmonie mit ihnen leben würden, doch was die Dinger in Wirklichkeit getan haben, war, die Mischlinge als Sklaven zu verwenden. Denn selbst nachdem die sich verändert hatten, waren sie noch teilweise menschlich und behielten ihre menschlichen Schwächen. Süchte, Unehrlichkeit, Verrat. Es kam an den Punkt, dass die teilmenschlichen Mischlinge begannen, ihre Gesellschaft zu verderben. Und was haben sie getan? Dasselbe, was wir nach Herbert Hoover gemacht haben und die Russen nach den korrupten Zaren. Sie haben ihre Machtstruktur geändert; sie haben ihre eigene Gesellschaft gereinigt, indem sie das verderbliche Element – das menschliche Blut – beseitigt haben. Es gab keine Bundesagenten, die hierher kamen und alle Mischlinge ausgerottet haben. Das haben die Dinger selbst gemacht – es war ein richtiges Gemetzel, so um 1930, schätze ich. Sie kamen eines Nachts aus dem Wasser und haben jeden in der Stadt ermordet, der auch nur einen Tropfen ihres Blutes in sich hatte.« Zalen machte eine Pause und dachte nach. »Lovecraft hätte es sehr gefallen. Sie taten genau das, was er geglaubt hatte: die lebendigen Resultate des Geschlechtsverkehrs zwischen den Rassen – oder in diesem Fall Spezies – auslöschen.«