»Und das wäre?«
»Das ist mein Ernst, Mann. Ich habe in meinem Leben noch nie so viele schwangere Frauen an einem Ort gesehen.«
»Schwan…«, setzte ich an, und als ich einen weiteren, wenngleich deutlich diskreteren Blick hinüberwarf, entging mir auch der deutlich gewölbte Bauch der Frau nicht mehr. »Das ist ja ein Ding. Sie scheinen recht zu haben.«
»Wenigstens vierter oder fünfter Monat, und das ist auch nicht der erste Braten in ihrem Ofen.«
Ich sah ihn entgeistert an. »Wie in aller Welt können Sie das mit Bestimmtheit sagen?«
Er stieß mich grinsend mit dem Ellenbogen in die Seite. »Sie haben ihre Titten doch gesehen. Die sind immer noch prall gefüllt vom letzten Kind.«
Das unkultivierte Gerede machte mich ganz nervös, da ich es ganz und gar nicht gewöhnt war. »Aber wie haben Sie das gemeint, als Sie sagten, Sie hätten noch nie so viele …«
»Diese Stadt … Das ist mein voller Ernst. Ich würde wetten, dass ich wenigstens ein Dutzend schwangere Frauen gesehen habe, seitdem ich hier bin, und ich kann Ihnen verraten, dass die meisten davon echte Hingucker sind.«
»Also wirklich … Aber das ist doch etwas Gutes, wenn Sie mir diese Meinung erlauben. Die Regierung ist weise, die Fortpflanzung seit der Spanischen Grippe 1918 zu fördern. Wir haben damals eine halbe Million Menschen verloren, sagt man, und fast alles waren junge Männer.«
Garret nickte ernst. »Und direkt danach verloren wir – wie viele? – einige Hunderttausend weitere Männer in diesem teuflischen Krieg gegen die Hunnen. Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Amerika braucht mehr Geburten, insbesondere wenn wir auf einen neuen Krieg gegen Deutschland zusteuern, was viele zu glauben scheinen.«
Ich war mir meiner Gedanken hinsichtlich dieses Themas nicht sicher, aber ich neigte dazu, den Autoritäten zu vertrauen. »Doch der Präsident hat kürzlich erst seine Neutralität hinsichtlich des europäischen Krieges erklärt.«
»Ich muss Ihnen gestehen, dass mich das nicht wirklich beruhigen kann. Sie erinnern sich, was passiert ist, direkt nachdem Deutschland und Russland den Nichtangriffspakt unterzeichnet hatten? Russland ist in Finnland einmarschiert. Und glauben Sie auch diesem Briten Neville Chamberlain kein Wort. Frieden in unserer Zeit? Hitler zieht der Welt einen Schleier vor die Augen. Und was machen die Japaner in der Zwischenzeit? Sie marschieren in der Mandschurei ein.«
»Beten wir zu Gott, dass die Menschen eine diplomatische Lösung finden können.« Es lag in meiner Natur, mich nicht an politischen Diskussionen zu beteiligen, aber der Mann hatte einige Argumente genannt, die bewirkten, dass ich mir ziemlich naiv vorkam. »Aber um auf unser vorheriges, falls nicht zu derbes Thema zurückzukommen, das möglicherweise ein wenig zu weltlich, dass wir fruchtbar sein und uns vermehren sollen …«
»Ja, so wie es im Buch der Bücher steht. Und ich sage Ihnen«, fuhr er fort, »ich war nicht gerade erfreut, dass der Kongress den Comstock Act außer Kraft gesetzt hat – wann war das? Letztes Jahr?«
»Nein, nein, das war ’36, und da sind wir erneut einer Meinung, William. Verhütungsmittel sollten illegal bleiben, wenn sie nicht von einem Arzt zur Vermeidung einer Krankheit verschrieben worden sind. Ein offener Markt für derartige Dinge wäre ja so, als wolle man die Natur umgehen …«
»Und Gottes Wille, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben würden.«
»Aber natürlich«.« Doch dann sahen wir einander an und lachten. »Nicht gerade eine alltägliche Unterhaltung, was?«
»Nein, mein Freund, das ist sie nicht, aber es ist dennoch anregend, auf jemanden zu treffen, der meine Grundsätze teilt«, erwiderte er.
»Das sehe ich genauso. Ich vermute, dass Sie Ihre Suche nach Ihrem Freund Poynter nun wieder aufnehmen möchten. Ich werde mir im Hilman ein Zimmer nehmen und dann einen Spaziergang machen. Dabei halte ich natürlich die Augen nach Ihrem Freund offen. Wie wäre es, wenn wir heute Abend zusammen speisen? Falls ich Ihren Freund zufällig treffen sollte, werde ich ihn mitbringen. Sagen wir um neunzehn Uhr?«
»Eine großartige Idee, Mr. Morley …«
»Nennen Sie mich Foster, bitte. Und wo finden wir ein passendes Restaurant?«
Erneut deutete er auf die andere Straßenseite, dieses Mal auf ein kleines Restaurant, das mir zuvor schon aufgefallen war, Wraxall’s Eatery. »Es ist nicht übel, und da gibt es große Portionen zu einem kleinen Preis.«
»Gut. Dann bis heute Abend.«
Garret ging davon, und seine Schritte wirkten irgendwie angeregter, nun, da er einen »normalen« Vertrauten hatte. Ich verspürte hingegen erneut den Drang, meiner Lovecraft-Obsession nachzugehen. Die Stadt sah zwar nicht nach dem Innsmouth des Meisters aus, aber möglicherweise ließen sich ja winzige Erinnerungsbruchstücke in irgendwelchen Details entdecken?
Ich holte meinen kleinen Handkoffer aus dem Bus, und als ich auf die Straße zurückkehrte, stand der Fahrer mit finsterer Miene vor mir. Seinen Blick hätte man fast schon hasserfüllt nennen können. »Warum haben Sie Ihre Tasche geholt? Wir fahren jetzt weiter nach Salem. Sie wollen doch nicht etwa in Olmstead bleiben, oder?«
»Doch, das möchte ich«, erklärte ich ihm. »Ich habe meine Meinung geändert und beschlossen, einige Tage hierzubleiben.«
Anfänglich schien er protestieren zu wollen, als würde ihn diese Aussicht erzürnen. Schließlich war ich kein »Olmsteader«. In diesem Augenblick fiel mir auf, wie klein sein Mund erschien. Seine Lippen verzogen sich kaum merklich. »Wenn ich so darüber nachdenke, dann könnte Ihnen Olmstead tatsächlich gefallen.« Dabei breitete sich tatsächlich ein richtiges Lächeln aus. »Und Olmstead könnte Sie mögen.«
Er stieg wieder in seinen Bus und fuhr mit einer Rauchfahne und lautem Geklapper davon.
Olmstead könnte mich mögen?, sinnierte ich. Das war mir herzlich egal. Aber irgendetwas an diesem Ort hatte Lovecraft offensichtlich beeindruckt, sodass er einige Einzelheiten in seine erschütternde Geschichte über inzüchtige Fischersleute und einen Pseudokultschrecken eingearbeitet hatte.
Wie in der Geschichte wirkte der mit einer Weste bekleidete ältere Rezeptionist im Hilman freundlich und durch und durch normal, und er vermietete mir nur zu gern ein Zimmer. Ohne groß nachzudenken, sprudelte aus mir heraus: »Ist Zimmer 428 zufälligerweise noch frei?«, da es sich dabei, wie scharfsinnige Leser wissen werden, um das Zimmer handelte, das Robert Olmstead in der Geschichte bewohnt hatte.
»Sie sind schon einmal hier gewesen!« Der Mann, der mit einem unerkennbaren Akzent sprach, schien sich zu freuen. »Das kann nur bedeuten, dass es Ihnen hier gefallen hat. Seit dem Wiederaufbau sieht Olmstead recht schmuck aus, und hier gibt es einige Annehmlichkeiten.«
Ich wollte seine Annahme nicht widerlegen, indem ich zugab, noch nie hier gewesen zu sein, sondern erkundigte mich stattdessen: »Seit dem Wiederaufbau?«
»Ah, ja, Sir. 1930, ’31 ungefähr haben Regierungsfirmen all diese schönen, robusten Blockhäuser aufgestellt. Feuerfest, sturmfest, wie sie an vielen anderen Orten auch stehen. Als letzten September der große Sturm über uns niederging, waren danach keine Schäden an den Gebäuden festzustellen. Das Olmstead der Vergangenheit war ein trauriger Anblick. Nichts als eine verrottete Hafenstadt, die in sich selbst zusammenfiel. Gott möge Roosevelt und Garner segnen!«
Das überraschte mich keineswegs. Kurz nach dem Zusammenbruch der Börsen ’28 hatte man die landesweite Wiederbeschäftigungskampagne ins Leben gerufen, bei der Tausende Arbeitsloser für einen Dollar pro Tag bei Bauprojekten beschäftigt wurden. Viele reparaturbedürftige Städte wurden auf diese Weise wieder aufgebaut. Angeregt durch diese neue Information glaubte ich, mir ziemlich gut vorstellen zu können, wie Olmstead vor diesem Wiederaufbau ausgesehen haben musste – das Stadtbild musste in etwa so ausgesehen haben, wie es Lovecraft seinen Lesern in Schatten über Innsmouth beschrieben hatte.