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Ungeachtet dessen, was Garret glaubte, fand ich es nicht ungewöhnlich, an einem Tag drei schwangeren Frauen zu begegnen. Es schien einfach Zufall.

Doch Zufälle waren auch der Grund dafür, dass ich mich jetzt an diesem Ort aufhielt, und als mir das in den Sinn kam, war mein Eifer erneut geweckt. Jetzt konnte ich mein Bestreben angehen, einige entscheidendere Übereinstimmungen zwischen der sehr realen Stadt Olmstead und Lovecrafts fiktivem Innsmouth aufzuspüren.

Ich ging hinüber zur Tankstelle der Ethyl Gas Company, deren Schild Benzin für 9 Cent pro Gallone anpries, was einen Penny unter dem Preis in der Stadt lag. Dort kaufte ich ein Paket des von mir bevorzugten Beechies-Kaugummi mit Pepsin von dem sehr freundlichen Tanzstellenbesitzer, der mit mitteilte, dass es keine Karten der Gegend, sondern nur solche des ganzen Landes oder Countys zu kaufen gäbe. Er informierte mich jedoch auch, dass es am Wasser Bänke gäbe, auf denen ich bequem lesen könne.

Einen Block weiter pries ein Filmtheater Gene Autrys neuesten Film Drei Lümmel in Texas an. Inzwischen lachte ich über meine Fantasie. Lovecraft wäre angesichts derartiger moderner Etablissements in der Stadt, die einst das Vorbild für das zusammenfallende Innsmouth gewesen war, entsetzt gewesen.

Bevor ich die Straße überqueren konnte, erschreckte mich ein plötzlich aufheulender Motor, und als ich mich umdrehte, rumpelte ein großer Lastwagen an mir vorbei, an dessen Türen IPSWICH FISH CO. stand. Er fuhr offensichtlich gen Norden in Richtung seiner Heimatstadt. Der Wagen war hoch mit gekühlten Fischen beladen, was ich erkennen konnte, als er vorbeifuhr. Die Anomalie sprang mir sofort ins Auge: Warum sollte ein großer Fischereibetrieb aus Ipswich Fische in Olmstead kaufen? Es sollte andersherum sein, oder nicht? Olmstead kam mir nicht groß oder wichtig genug vor, um mit den bedeutenden Fischereibetrieben mithalten zu können, und außerdem hatte ich in der Zeitung gelesen, dass die Fischerei in diesem Teil von Massachusetts aufgrund der vom Großen Sturm verursachten Turbulenzen sowie der Versalzung der Flüsse durch die sommerliche Dürreperiode drastisch in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Als mir von hinten ein Finger auf die Schulter tippte, zuckte ich zusammen und drehte mich ruckartig um. In eine Arbeitsschürze und ein Baumwollkleid gehüllt stand eine junge, nicht gerade groß gewachsene Frau mit hellen Augen lächelnd vor mir, die kaum älter als dreißig sein konnte. Sie strahlte ob ihrer Schönheit noch stärker als das Zimmermädchen, und nicht einmal die klobigen Arbeitsstiefel und das unvorteilhafte Haarnetz konnten sie verunstalten. Ihre Haare unter dem Netz schienen karamellblond zu sein. »Kommen Sie doch auf ein Eis herein, Sir. Es kostet nur fünf Cent, und wir stellen es ganz frisch her. Sehen Sie, wir haben sogar eine eigene Maschine dafür.«

Sie schien diese Worte mit einem überschwänglichen Stolz auszusprechen, und ich war schier sprachlos, als sie einfach meine Hand ergriff und mich in das Geschäft führte, das ich nun als Baxters Gemischtwarenladen und Postbüro identifizierte, wie auf dem Fensterglas geschrieben stand.

Die Glocke läutete, als wir durch die Tür gingen. »Mein Name ist Mary Simpson, Sir«, teilte sie mir strahlend mit, bevor sie hinter den Tresen eilte. »Ich vermute, dass Sie nur auf der Durchreise sind, aber Sie müssen unser Eis probieren.«

Meine Belustigung wurde durch ihr gutes Aussehen nur weiter intensiviert. »Schokolade, bitte. Ich bin Foster Morley, Miss Simpson, und Sie haben recht, dass ich nur auf der Durchreise bin. Ich mache gewissermaßen eine Rundreise, um neue Orte zu entdecken und dergleichen. Außerdem bin ich ein eifriger Leser. Doch ich habe vor, wenigstens einige Tage zu bleiben, und mir daher ein Zimmer im Hilman gemietet.«

»Oh, gut. Das ist jetzt ein schönes Motel, schön wie alles andere seit dem Wiederaufbau.«

»Hm, ja, das hat mir der Rezeptionist auch erzählt …« Auf einmal erstarrte ich entgeistert: Nun, da ich der Frau direkt gegenüberstand, konnte ich erkennen, dass die gut aussehende und übersprudelnde Miss Simpson nicht nur sehr attraktiv und sehr großbusig, sondern auch sehr schwanger war. Das war anhand der deutlichen Wölbung ihrer Schürze nicht zu übersehen. »Ich finde Olmstead höchst interessant«, fuhr ich fort. »Der Ort ist ein leuchtendes Beispiel für Präsident Roosevelts Wiederaufbauprogramm.«

»Oh ja, Sir. Olmstead war vorher kaum lebenswert. Aber jetzt haben wir überall neue Gebäude, eine neue Bücherei, einen neuen Lagerhausbezirk und eine Feuerwehr. Es gibt sogar eine Eisfabrik am Ufer, wie in den großen Häfen.«

»Zufälligerweise habe ich gerade eben erst einen Lastwagen voller eingefrorener Fische gesehen, der nach Ipswich unterwegs war. Dann darf ich davon ausgehen, dass die Fischerei hier noch gut läuft?«

Sie reichte mir eine Schüssel und einen Löffel. »Es lief nie besser, Sir …«

»Bitte nennen Sie mich Foster, Mary, und bitte erlauben Sie mir, Ihnen ebenfalls ein Eis auszugeben.«

Meine Großzügigkeit schien sie zu erfreuen. »Vielen Dank, Sir … äh, Foster.« Dann bereitete sie sich selbst ebenfalls eine Schüssel zu. »Aber die Fischerei ist tatsächlich der Rückhalt der Stadt. Wir verkaufen unseren Fisch an viele Städte, sogar bis nach Boston, während wir in der Vergangenheit immer Fisch kaufen mussten, wenn wir welchen essen wollten. Die Fischerei läuft hier besser als überall sonst. In Olmstead merkt man kaum etwas von der Rezession.«

Da sie es ausgesprochen hatte, viel es mir auf einmal auch wie Schuppen von den Augen: Ich hatte seit meiner Ankunft nur saubere Straßen, schmucke Gebäude und lächelnde Menschen gesehen, keine entmutigten Leute, die sich für Brot anstellten, keinen herumliegenden Abfall und auch keine einstürzenden Häuser. Überdies erkannte ich eine weitere Parallele zu Lovecraft: Innsmouth war wie Olmstead eine Fischereistadt, der es ungewöhnlich gut ging.

»Sehen Sie«, erzählte sie voller professionellem Stolz weiter, während sie mit dem Löffel auf die schimmernden weißen Maschinen deutete, »hier gibt es auch Westinghouse-Fleischzüchter mit einem eigenen Lieferwagen, der nagelneu ist. Und …«

Ich wartete darauf, dass sie weitersprach, aber stattdessen schwieg sie und ihre Augen weiteten sich.

»Was ist, Mary?«

»So ein Zufall!«, verriet sie. »Ich meine Ihr Buch!«

Ich hatte meine Ausgabe von Schatten über Innsmouth auf die Theke gelegt, als ich die Eisschüssel in die Hand genommen hatte. Es erstaunte mich, dass sie es erkannte. »Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie den großen H. P. Lovecraft ebenfalls lesen?«

»Nein, Foster, aber das liegt daran, dass ich nie richtig lesen gelernt habe. Ich erkenne den Namen, weil sich Mr. Lovecraft kurze Zeit hier in Olmstead aufgehalten hat, als ich etwa achtzehn Jahre alt war.«

Ich hätte beinahe die Schüssel fallen lassen. »Mary. Sie sind doch nicht zufällig … Mr. Lovecraft begegnet, oder?«

»Oh nein, dieses Privileg hatte ich leider nicht, aber ich kann Ihnen etwas Interessantes erzählen. Damals war das Baxter’s eine Zweigstelle der First National Bank, und mein Bruder Paul, der zu der Zeit siebzehn gewesen ist, hat Mr. Lovecraft in eben diesem Geschäft, in dem Sie gerade stehen, bedient. Mr. Lovecraft wollte sich in der Stadt ein wenig umsehen, daher hat Paul ihm eine Karte gezeichnet.«

Vor Erschütterung drohten meine Knie nachzugeben. Der Bruder dieser attraktiven Frau war dem Meister begegnet! Was für eine faszinierende Unterhaltung sich da abgespielt haben musste. Und jetzt noch das: Sie erwähnte eine Karte, die ihr Bruder gezeichnet hatte! Diese hatte zweifellos Einfluss auf eine der frühen Szenen in der Geschichte gehabt, als Robert Olmstead von einem liebenswürdigen »Ladenangestellten« genau das erhielt: eine Karte von Innsmouth. Wie die meisten Autoren hatte Lovecraft eine alltägliche Begebenheit, die sich tatsächlich abgespielt hatte, benutzt, um die Fiktion auszuschmücken.