»Viel Glück, Kapitän! Das Kommando gehört Euch!«
»Viel Glück!«
Dann kletterte er die kurze Leiter hinunter, ergriff die Ruder und löste sich vom Schiff, bis die Dunkelheit der Nacht ihn einhüllte und man nur noch das rhythmische Klatschen des Wassers hörte.
Dann aber schallte aus der Ferne ein Ruf aus zitternder Kehle herüber, so laut, als käme er aus dem Totenreich.
»Adios…!! Und gute Jagd…!!!«
»Adios, Kapitän…« schallte es im Chor zurück.
Als nur noch Stille und Dunkelheit herrschten, gab Sebastián Heredia Matamoros, der frischgebackene Kapitän Jacare Jack, seinen ersten Befehl, der keinen Widerspruch duldete.
»Die Segel hoch! Kurs Südsüdwest…!«
Vor dem Golf von Biscaya und Kap Finisterre wühlten heulende Stürme das Meer auf. Für die Mannschaft, die an ein anderes Klima gewöhnt war, waren diese tobenden Unwetter eine schauerliche Erfahrung, noch mehr aber für das Schiff, das für ganz andere Breiten konstruiert worden war.
Um Mitternacht brachen die Eisenklammern, die den »falschen« Besanmast am Topp mit dem echten verbanden. Ein Marsgast fiel über Bord und verschwand. Er hatte die Taue des ins Wasser gefallenen Segels kappen wollen. Dieses hatte einen riesigen Sack gebildet, der das Schiff in Schieflage brachte. Bei jedem schweren Brecher von der anderen Seite drohte das Schiff zu kentern.
In diesen bangen Augenblicken mußte Sebastián seinen ganzen Mut zusammennehmen, um nicht die Nerven zu verlieren. Lucas Castano erwies sich wieder einmal als ein mit allen Wassern gewaschener Seemann, der mit allen Situationen fertigwurde, ohne die Ruhe zu verlieren.
Zwei Kanonen, die sich aus ihrer Verankerung gerissen hatten und drohten, ein Leck in den Rumpf zu schlagen, mußten sie ins Wasser werfen. Als sie schließlich die portugiesische Küste erreichten und das Unwetter sich legte, hatten ihnen Sturm und Wellen so übel mitgespielt, daß sie das Ruderboot eines Fischers hätten entern können.
»Jetzt ist mir klar, warum das hier die Küste des Todes heißt«, murmelte Zafiro Burman und blickte auf die hohen Wellen, die sie hinter sich gelassen hatten, als wären sie ein Gespenst, das sie immer noch einholen könnte. »Das hier ist kein Meer. Das ist eine verdammte Sauerei!«
»Als Kind habe ich mal einen Wirbelsturm erlebt«, bemerkte der neue Kapitän Jacare Jack, »und ich weiß noch, wie schrecklich der war, obwohl wir uns in die Gewölbe der Festung La Galera geflüchtet hatten. Aber ich hätte mir nicht ausmalen können, gegen so etwas auf offener See anzukämpfen.«
Drei Tage später, als sie bereits ruhig an der afrikanischen Küste entlang segelten, wurde ihnen klar, daß das Schiff angeschlagen war und unterhalb der Wasserlinie kleine Lecks aufwies, die der Zimmermann weitgehend vergeblich während der Fahrt zu reparieren versuchte.
»Wir müssen das Schiff an Land kalfatern«, befand Meister Bertrán schließlich, der jede Planke der Jacare zu kennen schien, als hätte er sie selbst geschnitzt. »In diesem Zustand schafft es die Überfahrt nicht.«
»Wieviel Zeit wirst du brauchen?« wollte der Margariteno wissen.
»Mindestens eine Woche.«
Sein neuer Kapitän wies auf die sandige Küste, die Backbord in der Ferne zu sehen war.
»Hier scheint es keinen geeigneten Ort zu geben. Und wenn wir nicht aufpassen wie die Luchse, schneiden uns die Mauren hier die Kehle durch.«
»In vier oder fünf Tagen sind wir in Sichtweite der Kanarischen Inseln«, mischte sich Lucas Castano ins Gespräch. »Auf einigen Inseln finden wir sicher einen einsamen Strand, an dem wir arbeiten können.«
»Die Kanaren gefallen mir auch nicht gerade«, urteilte Sebastián Heredia. »Wahrscheinlich wissen sie dort, daß die Casa einen Preis auf unsere Köpfe ausgesetzt hat, und die Jacare ist ein unverwechselbares Schiff.«
»Dieses Risiko müssen wir eingehen«, beharrte Meister Bertrán selbstbewußt. »Ansonsten haben wir bald sechs Strich Wasser im Kielraum.«
Damit hatte er nicht unrecht, denn obwohl die Männer im Turnus Stunde um Stunde schöpften, ging der Wasserstand nicht zurück. Das malträtierte Schiff ächzte und stöhnte während der Fahrt derart, daß man in der Stille der Nacht hätte glauben können, sein letztes Stündlein habe geschlagen.
Schließlich tauchte in der Ferne ein düsteres Kap auf, dann ein weiteres, und schließlich kamen die hohen Klippen der Nordküste von Lanzarote in Sicht, die eine Wasserstraße von nur einer Meile Breite von den seichten Stränden der kleinen Insel Graciosa trennte. Hier konnte man sehr gut ein Schiff an Land ziehen, da sich keine Menschenseele sehen ließ. Waren auf der Insel aber Soldaten stationiert, das war dem Margaritefio bewußt, stand er vor unlösbaren Problemen, wenn es galt, einen Angriff zurückzuschlagen.
Auf offener See waren seine Männer erfahrene Kämpfer und wurden mit jeder Schwierigkeit fertig, solange sie die Planken eines Schiffs unter ihren Füßen spürten. Doch hatte Sebastian keine Ahnung, wie seine Männer reagieren würden, wenn sie nicht mehr auf die Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit der Jacare vertrauen konnten, die sie notfalls aus der Schußlinie brachte.
»Eine Woche ist viel Zeit…« dachte er sich ein ums andere Mal, während er sorgenvoll auf die Steilküste blickte. »Verdammt viel Zeit.«
Schließlich entschloß er sich, mit den fünf besten Schützen der Mannschaft an Land zu gehen, und übergab Lucas Castano das Kommando an Bord mit der strikten Anweisung, bei Anzeichen der geringsten Gefahr die Anker zu lichten.
Als es dunkel wurde, ließen sie die Schaluppe zu Wasser, steuerten die letzte Landspitze auf der Luvseite der Insel an und gingen in tiefster Finsternis an einem breiten Strand mit hohen Dünen an Land, zwischen denen sie das Boot mühelos verstecken konnten.
Im Morgengrauen sahen sie sich verblüfft an, in was für karge, von Felsen übersäte Gefilde sie geraten waren. Zahlreiche hohe Vulkankegel verliehen der Landschaft ein unwirkliches Aussehen, als wären sie auf einem anderen Planeten gelandet. Die nackte Erde hatte nichts mit den Antillen gemein, auf denen sie geboren oder zumindest aufgewachsen waren.
Kein Baum, kein Bach, ja nicht einmal eine winzige Wiese, auf der ein einfaches Maultier hätten weiden können, und die Luft war so trocken, daß man sich andauernd räuspern mußte.
»Was für ein seltsamer Ort«, murmelte hinter dem Rücken Sebastians einer, der sich offenbar ein Land ohne Wälder kaum vorstellen konnte. »Zum Fürchten!«
Dann hörten sie das vom Winde verwehte Läuten einer fernen Glocke: ein Klang, der ihnen völlig unpassend erschien auf diesem Boden, auf dem wohl nur Eidechsen leben konnten.
Unendlich vorsichtig tasteten sie sich weiter vorwärts, und bald konnten sie die drohende Silhouette eines düsteren Forts ausmachen, das an einem der schlafenden Vulkane förmlich zu kleben schien. Unterhalb der Festung breitete sich ein kleines weißes Dorf aus, dessen stolze Kirche ein Kuppeldach zeigte.
»Hier leben ja doch Menschen«, murmelte der gleiche von vorhin, als wolle er seinen eigenen Worten nicht trauen. »Wovon leben die nur, zum Teufel?«
»Wirklich ein Wunder«, erwiderte Sebastian.
Den restlichen Tag lagen sie auf der Lauer, ohne auch nur eine Menschenseele zu entdecken. Erst als die Sonne nicht mehr auf die Felsen brannte, konnten sie einen Mann ausmachen, der sehr langsam auf sie zukam und das seltsamste Tier am Zügel führte, das sie je gesehen hatten.
»Was für ein häßliches Pferd!« rief der ewige Schwätzer aus. »Und wie komisch das läuft!«
»Das ist doch kein Pferd, du Idiot!« fuhr ihn der Margariteno an. »Das muß ein Kamel sein.«
Bei Anbruch der Dunkelheit näherten sie sich den ersten Häusern und achteten über zwei Stunden lang auf alle Geräusche und Stimmen, bis sie davon überzeugt waren, daß es dort lediglich ein halbes Dutzend Männer im waffenfähigen Alter gab.