Sehr schnell hatten sie ihn gefunden. Es war ein riesiger Schwarzer, der aber so erschöpft und starr war, daß er, kaum an Bord gezogen, in eine Ohnmacht fiel, aus der er erst am Vormittag erwachte.
Sein Bericht, den er in einer seltsamen Mischung aus englischen, spanischen und portugiesischen Wortfetzen stammelte, gespickt mit zahlreichen Wörtern aus irgendeinem gottverlassenen afrikanischen Land, bestätigte die Aussage des Maltesers. Das einzige, was man wirklich verstehen konnte, war, daß der Kapitän ihn wegen unaufhörlichen Durchfalls über Bord hatte werfen lassen.
Als sie wissen wollten, wie viele Leute an Bord waren, konnte er noch nicht einmal eine ungefähre Zahl nennen.
»Muita!« war alles, was er sagte. »Muita people!«
Sebastian Heredia ging zu seiner Kajüte zurück und dachte über das Gehörte nach. Schließlich steckte er seinen Kopf wieder heraus und gab einen barschen Befehclass="underline"
»Die Masten hoch und alle Segel setzen! Wir machen Jagd auf diese Hurensöhne.«
Das Sklavenschiff konnte nicht viel Vorsprung haben, doch wehte nicht die leiseste Brise, was das Segeln auch für ein so behendes Schiff wie die Jacare zum aussichtslosen Unterfangen machte. Allein von dem Augenblick, in dem man in der Ferne voraus einen Leichnam ausmachen konnte, bis zu dem Moment, da dieser sich achtern aus den Augen verlor, verging eine Ewigkeit.
Plötzlich fiel dem Margariteno eine Geschichte ein, die seine Mutter ihm erzählt hatte: das Märchen vom kleinen Jungen, der sich im Wald verirrt und Steinchen streuend den Rückweg findet.
Das Sklavenschiff hinterließ eine ähnliche Spur und verriet damit seine genaue Route, und tatsächlich entdeckte der Ausguck schließlich erfreut im Westen einen Punkt am Horizont.
Bei Anbruch der Nacht hatten sie das Schiff allerdings noch immer nicht erreicht, und als es dunkel wurde, drehte der Verfolgte unvermittelt nach Süden ab, um ihnen auszuweichen. Doch jetzt half ihnen ein rächender Vollmond, in dessen Licht sie das Sklavenschiff sehen konnten, bevor es sich backbord davonstehlen konnte.
Im Morgengrauen waren sie nur eine knappe Meile von seiner Steuerbordseite entfernt. Bald wehte ein dermaßen grauenvoller Gestank herüber, daß selbst einige der erfahrensten Seeleute, die mit Gleichmut die schlimmsten Stürme ertrugen, kurz davor waren, sich zu übergeben.
»Aber was ist denn das?« wollte Zafiro Burman wissen. »Was ist das nur für ein Gestank?«
»Der Duft der Sklavenschiffe«, entgegnete in aller Seelenruhe der Malteser. »Er hat mich monatelang verfolgt, obwohl ich mir die Kleider vom Leib gerissen, das Haar abrasiert und mich hundertmal gebadet habe. Wie ich schon sagte: die elendste Arbeit auf Erden.«
Kurz vor Sonnenaufgang ließ Kapitän Jacare Jack die Krokodilsflagge mit dem Totenkopf hissen und einen Warnschuß vor den Bug des schwarzen Schiffs setzen, das alle an Bord für den riesigsten, häßlichsten und schwerfälligsten Seelenverkäufer hielten, der je auf den Weltmeeren gesegelt war.
Kein Schoner, keine Brigantine, keine Fregatte, keine Korvette, sondern eine Art Kreuzung zwischen alter Karavelle und Rumpelkasten, allerdings zu breit und zu kurz. Die drei asymmetrisch angeordneten Masten waren unterschiedlich hoch, und das ganze Schiff war ein einziges unförmiges Chaos, als hätte man es ohne jeglichen Plan und mit den unfähigsten und unordentlichsten Zimmerleuten der Küste gebaut.
Warum jemand diesen Schrotthaufen zu Wasser gelassen hatte, war ebenso unerklärlich, doch hier war er, schaukelte hin und her wie in einem Sturm, obwohl der Ozean an diesem Tag so ruhig war wie ein Ölsee.
Die Besatzung machte nicht die geringsten Anstalten, zu fliehen oder zu kämpfen. So ging die jacare längsseits, und ein halbes Dutzend Männer sprangen an Bord, als müßten sie sich kopfüber in eine Kloake stürzen. Der Geruch von heißem Schweiß, Kot und Urin schlug ihnen wie eine gewaltige Ohrfeige entgegen.
Dieses Schiff war die Hölle.
An Bord angelangt verstand man allerdings, warum die Ausrüster es auf so absurde Weise hatten bauen lassen. Das war kein Schiff, mit dem man von einem Ort zum anderen fuhr, sondern eine Art riesiger schwimmender Sarg, in dessen vier übereinanderliegenden Lagerräumen man so viele Sklaven wie möglich unter den schlimmsten Bedingungen einpferchte.
Männer, Frauen und Kinder lagen ausgestreckt auf schweren Tischen, die etwas geneigt waren, damit Urin und Exkremente zum Boden abfließen konnten. Hand- und Fußgelenke waren mit dicken Eisenketten gefesselt, so daß sie nicht die geringste Bewegung machen konnten.
Schulter an Schulter lagen sie aneinandergereiht. Kaum ein Meter Höhe trennte sie von der nächsten Menschenschicht, und das alles in einer Hitze, die über fünfzig Grad betragen mußte, und mit so wenig Luft, daß es ein Wunder war, überhaupt noch einen Menschen am Leben anzutreffen.
Die nicht minder übelriechende Besatzung bestand aus einem walisischen Kapitän und zwölf rohen Männern. Als man sie gereizt zur Rede stellte, warum sie diese armen menschlichen Wesen so grausam behandelten, schien sich der Kapitän zu erstaunen.
»Menschliche Wesen? Was für menschliche Wesen? Sind doch nur Neger!«
»Sind Neger vielleicht keine Menschen?«
»Natürlich nicht!« gab der andere mit verblüffender Sicherheit zurück.
»Was dann?«
»Sklaven.«
»Sklaven? Nichts weiter?«
»Es waren Sklaven, wir haben sie als Sklaven gekauft, und wir bringen sie nach Jamaika, um sie dort als Sklaven zu verkaufen.« Der Waliser zuckte die Schultern, als hätte er damit alles erklärt. »Was sollten sie sonst sein außer Sklaven?«
»Verstehe… Wie viele habt ihr?«
»In Dakar sind wir mit 780 aufgebrochen, doch etwa hundert sind unterwegs gestorben.«
»Gestorben, oder habt ihr sie lebendig ins Wasser geworfen?«
»Was tut das zur Sache? Sie waren krank! Wir haben ihnen Leiden erspart, als wir sie ins Meer warfen, denn sie haben sich fast zu Tode geschissen.« Der widerliche Kerl schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Ein Sklave mit Durchfall bringt keinen müden Heller ein und macht nur Probleme.«
Der frischgebackene Kapitän Jacare Jack dachte eine lange Zeit nach, wobei er sich in einem vergeblichen Versuch, dem Gestank zu entgehen, die Nase zuhielt. Schließlich deutete er auf die übrige Besatzung, deren schwimmende, stinkende Schande man ironischerweise auf den absurden Namen Four Roses getauft hatte.
»Keiner von Euren Männern leidet an Durchfall?«
»Nicht daß ich wüßte…« beeilte sich sein Gegenüber mit der Antwort, sichtlich pikiert.
»Schade, denn sonst hätte ich einen wunderbaren Grund gehabt, euch alle über Bord werfen zu lassen.« Er machte eine kurze Pause, während der er sich genüßlich am Kopf kratzte, und fuhr schließlich im gleichen Ton fort. »Aber wenn ich’s mir recht überlege, brauche ich gar keinen Vorwand. Ich lasse euch ins Meer werfen, weil ihr alle Hurensöhne seid.«
»Das könnt Ihr nicht machen!« protestierte der Kapitän. »Wir haben uns ergeben, und die Gesetze der Piraten sehen vor…«
»Von Sklavenschiffen steht nichts in den Vorschriften der Bruderschaft der Küste, deshalb tu ich, was mir gefällt. Wem gehören die Sklaven?«
Der Waliser zögerte einige Augenblicke, doch dann schien er zu begreifen, daß ihm Lügen hier nicht weiterhalf, und antwortete mißmutig:
»Der Casa de Contratación in Sevilla.«
Jetzt schien der Margariteno überrascht zu sein. Er und Lucas Castano, der neben ihm stand, schauten sich erstaunt an, und er entgegnete schließlich mit Härte: »Das ist gelogen. Die Gesetze verbieten es der Casa, mit Sklaven zu handeln.«
»Das mag schon sein, aber ich arbeite seit fünf Jahren für sie. Nicht offiziell, aber wenigstens drei ihrer Gesandten zählen zu den Ausrüstern des Schiffs.«
»Wer alles?«
»Das kann ich Euch nicht sagen.«
»Natürlich könnt Ihr das!« erregte sich der Margariteno. »Ich lasse Euch so oder so ins Meer werfen, doch gibt es zwei Arten: mit oder ohne hundert Peitschenhiebe.« Er drohte mit dem Finger. »Also sagt mir diese Namen!«