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Der Waliser zögerte aufs neue, blickte seine Männer an und kam zu dem Schluß, daß er ausgespielt hatte. Er murmelte mit einer fast unmerklichen Geste des Gleichmuts:

»Gines Alvarado, Hernando Pedrárias und Borja Centeno.«

»Pedrárias Gotarredona, der Gesandte auf Margarita?« Da der Kapitän heftig nickte, drang Jacare Jack weiter. »Seid Ihr sicher?«

»Ihm lege ich einmal im Jahr Rechenschaft ab.«

»Wie sieht er aus?«

»Mittelgroß, kräftig, blond und mit sehr hellen Augen.«

»Kennt Ihr seine Frau?«

»Verheiratet ist er nicht, aber er lebt mit einem Weib zusammen, das sehr schön sein muß.«

»Hat er Kinder?«

»Eine Tochter.« Der Waliser legte eine kurze Pause ein und fuhr fort: »Eigentlich ist sie fast schon eine Frau.« Abschätzig verzog er den Mund. »Offensichtlich aber nicht seine Tochter, sondern die der Hure.«

»Ich sehe, Ihr sagt die Wahrheit.« Der Margariteno wandte sich zu Lucas Castano und befahl ihm ohne leisestes Zögern: »Ab ins Meer mit ihm!«

Ohne Umschweife packte der Angesprochene den Waliser, der keinerlei Widerstand leistete, am Kragen, schleifte ihn an die Bordkante und warf ihn ins Wasser.

Sebastian Heredia sah zu, wie der Kapitän abtrieb und dabei schweigend mit den Armen ruderte. Dann wandte er sich der übrigen, zu Tode erschrockenen Mannschaft der Four Roses zu, und nachdem er die vier Fähigsten ausgewählt hatte, verkündete er mit ungerührtem Ton:

»Diese vier folgen mir mit dem Schiff. Der Rest der Mannschaft wird dem Kapitän Gesellschaft leisten. Anschließend befreit ihr die Sklaven und laßt sie an Deck.«

»Sie passen nicht alle drauf«, gab Nick Cararrota zu bedenken. »Und wenn du sie freiläßt, werden sie sich auf uns stürzen. Es sind verdammt viele.«

Jacare Jack dachte einige Augenblicke nach, dann ließ er den riesigen Schwarzen an Bord kommen, den sie in der Nacht zuvor gerettet hatten, und erklärte ihm, so gut er konnte, daß er sie auf dem Festland absetzen wollte.

»Wenn ihr tut, was ich euch sage, werdet ihr frei sein und könnt ein neues Leben anfangen. Aber wenn ihr Probleme macht, dann schicke ich euch mit Kanonenschüssen auf den Grund des Meeres. Ist das klar?«

Der andere nickte, stieg in die Laderäume hinab und blieb eine lange Weile unten. Als er zurückkehrte, lächelte er glücklich.

»Wenn du ihnen die Ketten abnimmst, werden sie der Reihe nach Luft schöpfen. Es wird keine Probleme geben.«

»Also einverstanden!« Der Margariteno wandte sich den vier Sklavenhändlern zu, die ihn mit einem Funken Hoffnung in den Augen betrachteten. »Folgt unserem Kielwasser! Wenn ihr eure Sache gut macht, könnt ihr vielleicht eure Haut retten. Ansonsten wißt ihr, was euch erwartet.«

Minuten später löste sich die Jacare von der Four Roses und setzte ihre langsame Fahrt nach Westen fort. Das stinkende Schiff folgte ihr mit einer guten Meile Abstand. Auf dem Deck wimmelte es nunmehr von schwarzen schwitzenden Körpern, die fröhlich mit den Händen winkten, während sie ein seltsames Danklied anstimmten.

Im Kielwasser des Sklavenschiffs blieben der walisische Kapitän und acht seiner Männer zurück, die verzweifelt mit den Armen ruderten, um sich über Wasser zu halten, während um sie herum bereits die Haie zu kreisen begannen.

Wieder allein in seiner Kajüte, betrachtete Sebastián durch die Achterluke das grausige Schiff, das mit einer guten Meile Abstand dem Kielwasser der Jacare folgte, und dachte lange Zeit über die Ereignisse des Tages nach. Besonders machte ihm zu schaffen, daß der Mensch, der sein Leben und das unzähliger Margaritenos zerstört hatte, sich nicht nur als Tyrann, sondern jetzt auch als Sklavenhändler erwiesen hatte, der sich mit dem Leiden Hunderter dieser Menschen bereicherte.

»Sind doch nur Neger!«

Diese verächtliche Bemerkung wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Zwar hatte er schon als Kind die Sklaverei in den Kolonien als etwas Normales erlebt, doch wie haltlos diese schreiende Ungerechtigkeit war, hatte er bisher noch nicht nachvollziehen können.

Die wenigen Sklaven, die er bislang kennengelernt hatte, standen auf der sozialen Leiter kaum tiefer als die meisten Fischer von Juan Griego, die unter den harten Gesetzen der Casa de Contratación ihr Leben fristen mußten. Niemals war ihm in den Sinn gekommen, daß man diese Unglücklichen gewaltsam aus ihrem Heim und dem Kreis ihrer Familie gerissen hatte, um in den Besitz einer jeden Person überzugehen, die bereit war, den Preis dafür zu bezahlen.

»Neger« war auf Margarita stets gleichbedeutend mit »Sklave« gewesen, aber erst, seit er gesehen hatte, wie man sie wie wilde Tiere unter Deck der Four Roses einpferchte, war Jacare Jack klargeworden, was Sklaverei wirklich bedeutete.

Nicht einmal Schweine zerrte man so zum Schlachthof. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben wurde dem blutjungen Kapitän bewußt, daß die Gesellschaft sich nicht in Reiche und Arme, Priester und Piraten, Soldaten und Zivilisten teilte.

Unterdrücker und Unterdrückte, das kam der Sache schon viel näher, und das, was Sebastian an diesem Morgen beobachtet hatte, legte den Schluß nah, daß die Gier der Unterdrücker keine Grenzen kannte. Schließlich gab es Männer wie Hernando Pedrárias, denen eine fast absolute Macht nicht zu reichen schien, da sie zu den unvorstellbarsten Ungerechtigkeiten fähig waren, um dadurch noch ein wenig reicher zu werden.

Sebastián fragte sich, ob er, Anführer einer ruchlosen Bande von Seewölfen, so tief sinken könnte, mit Menschen zu handeln, und kam zu dem Schluß, daß er zwar ohne Skrupel acht Menschen in den Tod schicken konnte wie vorhin, doch allein bei dem Gedanken, auch nur einen der wehrlosen Afrikaner zu verkaufen, wurde ihm übel, auch wenn viele von ihnen, wie Cararrota versicherte, die Sklaverei als völlig selbstverständliche Lebensweise akzeptierten.

»Die meisten werden schon als Sklaven ihrer Stammeshäuptlinge geboren«, hatte er einmal erläutert. »Eigentlich ändert sich nur die Hautfarbe ihres Herrn, und oft werden sie von den Weißen schonungsvoller behandelt. Das Schlimmste ist stets die Überfahrt, da die Händler den größten Profit herausschlagen wollen und aus den Schiffen wahre Tierkäfige machen.«

»Würde es dir vielleicht gefallen, Sklave zu sein?« fauchte ihn Lucas Castano mißmutig an.

»Was bin ich anderes gewesen, bevor ich mich dazu entschlossen habe, Wegelagerer, Sklavenhändler oder Pirat zu werden?« gab der andere bitter zurück. »Von früh bis spät habe ich mich für einen Hungerlohn abgerackert, und von der Hautfarbe abgesehen ging es mir kaum anders als diesen Unglücklichen.« Er warf seinen Zuhörern einen griesgrämigen Blick zu, um in einem fast vorwurfsvollen Ton zu schließen: »Wer von euch noch nie in ähnlicher Weise ausgebeutet worden ist, der soll die Hand heben.«

Keiner meldete sich, und wenn Sebastian an die harten Zeiten dachte, in denen die verwünschte Casa de Contratación von seinem Vater verlangte, ein ums andere Mal zwischen den Haien nach Perlen zu tauchen, die sie ihm dann zum läppischen Preis von Perlmutt abkaufte, mußte er zugeben, daß der Malteser tatsächlich recht hatte und sich ihr damaliges Leben nur wenig von dem eines beliebigen afrikanischen Sklaven unterschied.

Als sie eine Woche später endlich die Küste des Festlands erblickten, ließ der Kapitän daher eine Abordnung der Schwarzen an Bord der Jacare kommen, die als Älteste unter ihren Gefährten das größte Ansehen genossen.

»Ich habe beschlossen, euch im Golf von Paria an Land zu bringen. Dort könnt ihr in den Wäldern der Orinoco-Mündung verschwinden. Ihr bekommt Waffen, damit ihr überleben könnt.« Er musterte sie der Reihe nach, während er fortfuhr: »Den Spaniern wird es gar nicht gefallen, eine Gruppe geflohener Sklaven frei herumlaufen zu sehen, denn wenn sich das herumspricht, werden sich euch viele Sklaven anschließen. Ihr müßt eure Freiheit mit Blut und Feuer verteidigen. Doch dafür müßt ihr euch erst einmal einen Anführer wählen, denn mehr kann ich nicht mehr für euch tun.«