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»Du hast schon so viel getan«, warf der große Schwarze ein, den sie aus dem Meer gerettet und auf den passenden Namen Moises getauft hatten. »Du hast uns das Leben gerettet, dafür werden wir dir ewig dankbar sein.«

»Am besten dankt ihr mir, indem ihr euch nicht noch einmal versklaven laßt«, entgegnete der Margariteno lächelnd. »Ich sehe, daß ihr unterschiedlichen Stämmen angehört und viele verschiedene Sprachen sprecht, doch werdet ihr nur frei sein, wenn ihr eure Unterschiede für immer vergeßt.«

»Wie viele Verfolger wird man schicken?«

»Keine Ahnung«, räumte Sebastian Heredia ein, »doch es werden einfache Soldaten sein, die Urwald und Hitze hassen. Daher werden die Sümpfe stets eure besten Verbündeten sein. Laßt euch auf keine offene Schlacht ein, sondern lockt die Verfolger immer tiefer ins Dickicht, bis sie der Suche müde sind. Dieser Kontinent ist sehr groß, und wenn ihr es schafft, daß sie euch vergessen, ist genügend Platz für alle da.«

»Wähle du unseren Anführer«, bat der älteste der Sklaven, wobei er bedeutungsvoll auf Moises blickte. »Keiner wird deine Entscheidung in Frage stellen.«

Der junge Kapitän wandte sich den Gefährten des Schwarzen zu.

»Seid ihr damit einverstanden?«

Schweigend nickten sie.

»Na schön! Wenn das so ist, wähle ich Moises. Er hat viel Mut bewiesen, als er sich über Wasser hielt, während die Haie um ihn kreisten, und ich bin sicher, daß er euch mit ebensoviel Mut zum Sieg führen wird. Gott mit euch!«

»Welcher Gott?«

Jacare Jack musterte verblüfft den kleinen Mann, der eine so merkwürdige Frage gestellt hatte, und zuckte schließlich die Schultern.

»Alle Götter. Je mehr, desto besser. Ihr werdet sie brauchen.«

Am Abend gingen sie in einer stillen und einsamen Bucht vor Anker, die von dichter Vegetation umgeben war. Dann brachte man die Sklaven der Reihe nach an Land. Viele aber zogen es vor, sich kopfüber ins Wasser zu stürzen und fröhlich zum Strand zu schwimmen. Nachdem man ihnen alles übergeben hatte, was man an Waffen, Munition und Proviant gefahrlos entbehren konnte, setzte die Jacare ihre Fahrt fort, nach wie vor mit der langsamen und stinkenden Four Roses im Kielwasser.

Ohne seine menschliche Fracht erinnerte das Sklavenschiff an eine auf dem Wasser schaukelnde Nußschale. Sie hatte so wenig Tiefgang, daß man so gut wie keine Segel setzen konnte aus Angst, das wie eine Feder im Wind manövrierunfähig treibende Schiff würde kentern.

Nach vier mühsamen Tagen ließ man den unförmigen Pott mitten in der Bucht von Porlamar vor Anker gehen. Auf dem einzigen Segel, das er gehißt hatte, stand mit riesigen ungelenken Buchstaben geschrieben zu lesen: »Pedrárias, Sklavenhändler. Das ist dein Schiff.«

Sofort strömten fast alle Einwohner am Strand zusammen.

Über Stunden hinweg verharrte die Roses an Ort und Stelle, damit auch die Bewohner der benachbarten Dörfer herbeieilen konnten, um sie zu sehen. Die Kanonen der Jacare – die in sicherer Entfernung beigedreht hatte – sorgten in der Zwischenzeit dafür, daß niemand das riesige Segel bergen konnte. Kurz vor Sonnenuntergang feuerten die gleichen Kanonen auf das Schiff, und wenige Augenblicke später brannte der düstere Sarg wie Zunder.

Seine vier Mann Besatzung stürzten sich rechtzeitig ins Wasser und schwammen langsam zur Küste, wo sie unverzüglich von einer Abteilung Soldaten abgeführt wurden. Als der stinkende Pott schließlich vollständig untergegangen war, lichtete die Jacare die Anker und ging auf Kurs Nordost.

In der folgenden Nacht näherte sich eine Schaluppe in aller Stille der Festung La Galera. Mit drei seiner besten, bis an die Zähne bewaffneten Männer sprang Sebastián Heredia an Land, stieg still und leise die breite Steintreppe empor und klopfte diskret an die Pforte von Hauptmann Sancho Mendana.

Der Offizier schien nicht überrascht zu sein, ihn zu sehen.

»Hab dich schon erwartet«, murmelte er lächelnd. »Ich habe mir gedacht, daß du vorbeikommen wirst nach all dem Zirkus, den dein Schiff in Porlamar veranstaltet hat.«

»Hat sich ja schnell herumgesprochen.«

»Auf der ganzen Insel redet man von nichts anderem mehr.«

»Pedrárias, der Sklavenhändler.«

»Wenn das stimmt, ist er seinen Posten los.«

»Es stimmt…«, befand der Margariteno, um unvermittelt das Thema zu wechseln und gespannt zu fragen: »Habt Ihr meinen Vater gesehen?«

Hauptmann Mendana nickte.

»Eines schönen Tages stand er vor eurem alten Haus und wollte die jetzigen Bewohner hinauswerfen. Ich habe es geschafft, daß sie ihn nicht angezeigt haben, und ihn mit einem Freund nach Boca del Rio geschickt, doch seit zwei Wochen ist er verschwunden.«

»Glaubt Ihr, daß er meine Mutter sucht?«

»Gut möglich.«

»Weiß Pedrárias, daß er wieder auf der Insel ist?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aber dieser gottverdammte Hurensohn hat seine Augen und Ohren überall. Früher oder später erfährt er es doch.«

»Ich muß meinen Vater vor Pedrárias finden.«

Der Offizier machte es sich in einem zerschlissenen Lehnstuhl bequem, zündete sich bemerkenswert bedächtig seine riesige Pfeife an, und als der Tabak richtig brannte, erwiderte er.

»Ich werde mein Bestes tun, um dir zu helfen, doch versprechen kann ich nichts. Pedrárias haßt mich und wird jeden Vorwand nutzen, mich abzusetzen.« Er schnalzte mit der Zunge und verzog angewidert seinen Mund. »Und die Zeiten sind schlecht für Leute ohne Einkommen.«

»Das waren sie immer.«

»Heute ist es schlimmer. Die Casa setzt Sklaven ein, um nach Perlen zu tauchen, und obwohl die meisten dabei krepieren oder ersaufen, sind es so viele, daß die traditionellen Taucher keine Arbeit mehr haben. Ganze Familien mußten auswandern, um nicht zu verhungern.«

»Und keiner tut was?«

»Was sollten sie schon tun? Pedrárias ist hier wie ein Vizekönig, und wenn man ihm nicht sicher nachweisen kann, daß er wirklich ein Sklavenhändler ist, wird keiner ihm die Macht entreißen.«

»Es war sein Schiff, das ich versenkt habe.«

Hauptmann Mendana musterte ihn, ohne seine Verblüffung zu verbergen.

»Du willst das gewesen sein? Nach allem, was erzählt wird, hat Kapitän Jacare Jack den Pott versenkt. Wenigstens war es sein Schiff.«

Die Antwort des Jungen klang ungewöhnlich ernst:

»Um Euch zu belügen verdanke ich Euch zu viel, und ich bin sicher, Ihr werdet es niemandem weitererzählen, was ich Euch jetzt sage.« Sebastián machte eine kurze Pause, bevor er leise hinzufügte: »Inzwischen bin ich Kapitän Jacare Jack, und das Schiff gehört mir.«

Der Offizier brauchte eine Weile, bevor er einen leisen erstaunten Pfiff ausstieß, musterte sein Gegenüber von Kopf bis Fuß, als fiele es ihm unendlich schwer zu akzeptieren, daß jener kleine Junge, dem er manche schmerzhafte Kopfnuß verpaßt hatte, heute ein gefürchteter Piratenführer war. Beiläufig, als hätte das alles nicht die geringste Bedeutung, fuhr er fort:

»Das ändert die Lage, und wenn ich dich noch einmal auf der Insel erwische, laß ich dich aufhängen.«

»Das weiß ich.«

»Niemals hätte ich geglaubt, daß so was aus dir werden würde«, versetzte Sancho Mendana mit sichtlichem Bedauern. »Es hat mir gefallen, dich als meinen eigenen Sohn anzusehen, und obwohl ich zugeben muß, daß sie dich dazu getrieben haben, kann ich einfach nicht akzeptieren, daß aus dir etwas geworden ist, was ich verabscheue.«

»Verabscheut Ihr die Piraten mehr als die Beamten der Casa oder die Sklavenhändler?«

»Nicht mehr, aber ebenso. Die ehrlichen Menschen in diesem Teil der Welt leben in ständiger Furcht, daß Leute von eurem Schlag sie mitten in der Nacht überfallen, ihre Frauen schänden, ihre Söhne umbringen und ihre Häuser anzünden. Kein Pirat, nicht einmal du, verdient etwas anderes als eine Schlinge um den Hals.«