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»Tut mir leid, Euch so sprechen zu hören«, entgegnete der Junge betrübt. »Ich schätze Euch.«

»Ich dich auch. Doch du bist es, der sich außerhalb des Gesetzes gestellt hat.«

»Gesetz?« klagte der Margariteno. »Was für ein Gesetz? Das Gesetz, das mir alles genommen hat, was ich besaß?«

»Deine Mutter hat dich aus freien Stücken verlassen, und ich denke, es gibt kein Gesetz dagegen«, gab ihm der andere zu bedenken und legte die Pfeife zur Seite, als wollte sie ihm plötzlich nicht mehr schmecken. »Es war bestimmt nicht gerecht, deinen Vater einzusperren, darum habe ich euch auch bei der Flucht geholfen, aber zu akzeptieren, daß du zum Piratenkapitän wirst, ist was ganz anderes. Geh in dich! Noch ist es Zeit.«

Sebastián Heredia schüttelte den Kopf.

»Zu spät! Vor drei Wochen habe ich eine Schar Sklavenhändler ins Meer werfen lassen.«

»Wen schert denn das?« warf der Offizier ein. »Meiner Meinung nach ist es kein Verbrechen, Sklavenhändler über Bord zu werfen. Eher im Gegenteil.« Er legte seine Hand auf den Unterarm des Jungen und fuhr fast flehentlich fort: »Vergiß sie, gib dieses verfluchte Schiff auf, und such dir das Leben, das sie dir als Kind beigebracht haben.«

»Als Kind habe ich gelernt, daß nur ein reicher Mann aufzutauchen braucht, und alles, woran du glaubst, ist nur noch ein Scherbenhaufen«, lautete die bittere Antwort. »Eine einzige Tat löscht eine Million Worte aus.«

»Wenn du dein Leben nach dem ausrichtest, was sie dir in einem bestimmten Augenblick angetan haben, dann machst du dich zum Sklaven deiner Vergangenheit«, urteilte der Offizier überzeugt. »Jetzt, wo du schon ein Mann bist, hast du kein Recht mehr, deine Taten mit den Irrtümern deiner Mutter zu entschuldigen.«

»Da gehen die Meinungen auseinander.«

»Meinungen helfen dir wenig, wenn du unter dem Galgen stehst. Ob du willst oder nicht, wenn du eine Bande Verbrecher befehligst, wirst du selbst einer werden. Du kannst nicht im Dreck wühlen, ohne dir die Hände schmutzig zu machen.« Er zündete seine Pfeife wieder an, als würde diese ihm dabei helfen, die richtigen Argumente zu finden. »Ich weiß nicht, was du bisher getrieben hast, aber etwas sagt mir, daß du noch nicht verdorben bist. Gib das Schiff jetzt auf!«

»Um was zu tun?« fragte der Margariteno, als wäre er überzeugt, keine vernünftige Antwort zu erhalten. »Welches Schicksal erwartet mich, wenn ich das Schiff aufgebe und mir eine ehrenwerte Arbeit suche? Du hast von schwierigen Zeiten gesprochen, aber das waren sie schon, als mein Vater seine Haut an den Felsen dort unten ließ.« Verächtlich zuckte er mit den Schultern. »Die Casa schnürt den Leuten über Jahre hinweg die Kehle zu, bis sie schließlich ersticken. Da ist es mir schon lieber, wenn sie mich irgendwann gleich richtig aufhängen.«

»Und das Übel, das du inzwischen anrichtest oder das deine Männer anrichten, wenn du sie nicht im Griff hast?« Der Offizier senkte die Stimme, damit die Begleiter, die Sebastian draußen hatte warten lassen, ihn nicht hören konnten: »Piraten sind sie. Verstehst du nicht? Räuber, Frauenschänder und Mörder. Der Abschaum der Welt!«

»Für mich sperrt sich der Abschaum der Welt in einen Palast ein und plündert mit ungerechten Gesetzen die Schwachen aus«, widersprach ihm der Margariteno. »Das sind die wahren Blutsauger. Die machen aus der Welt eine Kloake und riskieren noch nicht mal den Hals dabei! Wir leben monatelang auf dem Meer, müssen Flauten und Stürme ertragen, und jedesmal, wenn wir uns einem Schiff nähern, riskieren wir, daß man uns mit Kanonenschüssen empfängt. Aber die nicht! Die haben einen Kaperbrief für das Land in der Tasche, und wenn es noch etwas Schlimmeres gibt als Piraten, dann Korsaren.«

Hauptmann Sancho Mendana zögerte lange mit der Antwort. Er ging zum Fenster, betrachtete die stille Bucht, in der sich nur einige Sterne spiegelten, und plötzlich wirkte er um Jahre gealtert oder unendlich müde.

»Ich habe keine Lust, weiter zu diskutieren. Bald wird es hell, und dann hast du besser schon das Weite gesucht.« Er drehte sich um und musterte den kleinen Jungen von früher. »Ich gebe dir eine Woche, um deinen Vater zu finden. Nur eine Woche! Danach werde ich dein schlimmster Feind sein.«

»Niemals werde ich Euch als meinen schlimmsten Feind betrachten können«, hauchte der junge Mann. »Und niemals werde ich die Hand gegen Euch erheben, so sehr Ihr mich auch bedrängen werdet.«

»Das wird nicht mein Problem sein. Ich habe dir gesagt, was dich erwartet. Und jetzt ab mit dir! Geh, und komm nicht wieder.«

Als der noch fast bartlose Kapitän Jacare Jack den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte der bedrückte Offizier seine Stirn gegen das Fensterglas und stieß einen kurzen, bitteren Seufzer aus.

Stets war er ein einsamer Mann gewesen, und seine Ersatzfamilie bestand heute nur noch aus einem armen verrückten Teufel, der durch irgendeinen gottverlassenen Winkel der Insel irrte, und einem sanftmütigen Jungen, der dabei war, ein schmutziger Pirat zu werden. Was nützten ihm die Mühen und Opfer vieler Jahre, all die Schlachten und alten Wunden? Was half es, Prinzipien treu zu bleiben, die niemand mehr zu respektieren schien?

Aufgrund seiner untadeligen Dienste und seiner unerschütterlichen Loyalität hätte er längst zum Obersten befördert werden müssen, zum Festungskommandanten in Cartagena de Indias, San Juan de Puerto Rico oder Panama. Doch die Jahre gingen dahin, und noch immer war er hier, vergessen und dazu verdammt, unzählige Male die unvergeßlichen Sonnenuntergänge von Juan Griego zu betrachten. Dabei wußte er, daß ihm die Nacht nur Einsamkeit und Stille brachte und der neue Tag neue Einsamkeit und wieder eine lange Abenddämmerung, die ihn bereits zu Tode langweilte.

Emiliana Matamoros, die einzige Frau, die er in seinem ganzen Leben geliebt und stets wie eine unerreichbare Jungfrau verehrt hatte, war die Geliebte des abscheulichsten Wesens, das er jemals kennengelernt hatte, geworden, und in den Schenken konnte er hören, daß Emilianas Tochter Celeste schon bald die Mutter im Bett des gehaßten Don Hernando Pedrárias ablösen würde.

Auf der Insel ging das Gerücht um, daß die fett und welk gewordene Emiliana Matamoros schon vor einiger Zeit zum bitteren Schluß gekommen war, daß ihre früheren Reize die Leidenschaft des Gesandten der allmächtigen Casa de Contratación von Sevilla nicht mehr zu wecken vermochten, und sie fürchten mußte, von einer der zahlreichen attraktiven Mulattinnen, die auf der Insel ihren Körper zu Markte trugen, aus dem schönen Palast am Rand von La Asunción, den sie seit Jahren bewohnte, verdrängt zu werden. Deshalb war sie offensichtlich entschlossen, die Angelegenheit innerhalb der Familie zu regeln und ihre Rolle als herrische Geliebte mit der einer unterwürfigen Kupplerin zu vertauschen.

»Wer den Luxus kennengelernt hat, will nicht zurück in die Armut«, tuschelten die bösen Stimmen. »Vor allem dann nicht, wenn die Armut nicht einmal Würde hat.«

Hauptmann Sancho Mendana fragte sich, was eine noch so würdevolle Armut sollte, wenn sie nur, wie die seine, traurige Erinnerungen nährte, und ebenso fragte er sich, ob Sebastián Heredia nicht recht hatte, dem es lieber war, ein einziges Mal aufgehängt zu werden, statt das ganze Leben mit dem Strick um den Hals zu verbringen.

Wenn er nicht binnen zwei Jahren zum Kommandanten befördert wurde, mußte er, das sahen die Dienstvorschriften des Königs vor, seinen Abschied nehmen und Reservist werden, und Hauptmann Mendana wußte nur zu gut – er hatte es bei vielen Waffengefährten gesehen –, daß in diesen Fällen der kärgliche Sold die meisten Monate nicht ausgezahlt wurde.

Die Krone, die unzählige Male grausame Opfer verlangt hatte, vergaß die geleisteten Dienste nur zu schnell, und Hunderte von Veteranen mußten ihren Lebensabend als Bettler unter Bettlern verbringen.