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»Schade!« bedauerte der Vater. »Ich habe stets gehofft, daß du es doch rechtzeitig aufgeben würdest. Tritt ein! Wir sind da.«

Sie waren an einer winzigen Hütte am Waldrand angekommen, auf halber Höhe des Hügels, der das fruchtbare Tal beherrschte.

Der Margariteno warf einen langen Blick auf den armseligen, übelriechenden Verschlag, um bestürzt zu fragen:

»Hier also wohnst du?«

»Nur vorläufig. Bald werden wir aufbrechen.« Sein Vater lächelte leicht ironisch und blinzelte ihm zu. »Mit deinem Schiff, wenn sie es dir noch nicht abgenommen haben.«

Er war tatsächlich ein völlig anderer Mensch. Sogar jünger wirkte er, als hätte ihm der Aufenthalt auf der Insel die besten Jahre seines Lebens zurückgebracht.

Sebastian machte eine Geste in Richtung Herrenhaus und fragte:

»Was hast du herausgefunden?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß du es bald wissen wirst.«

»Und warum nicht jetzt?« quengelte Jacare Jack. »Warum so geheimnisvoll?«

»Ich mag einfach jetzt noch nicht davon sprechen«, lautete die ausweichende Antwort. »Hast du Hunger?«

Er hatte einen alten Kasten geöffnet, in dem Käse und Wurst verstaut waren, und da sein Vater entschlossen schien, keine Erklärungen zu geben, begnügte sich sein immer verdutzterer Sohn damit, schweigend zu essen, bis es an der klapprigen Tür klopfte und ein Mädchen mit riesigen blauen Augen eintrat.

Sebastians Herz machte einen Hüpfer.

»Gütiger Gott…!« rief er mit zitternder Stimme. »Bist du…?«

Das Mädchen ließ ihm keine Zeit, die Worte zu beenden, sondern fiel ihm um den Hals und küßte ihm das ganze Gesicht ab, während der Vater lächelnd dabei zusah.

»Verstehst du jetzt? Das ist meine große Überraschung.«

Nach neuen Küssen, Umarmungen und langen Blicken, mit denen sich die Geschwister davon zu überzeugen schienen, daß sie sich tatsächlich nach so vielen fahren wiedergefunden hatten, entschloß sich Celeste dazu, ihrem Bruder haarklein und nicht ohne Humor zu erzählen, wie sie ihr Vater an einem Nachmittag während eines Ausritts in der Nähe des Hauses angesprochen und sie beschlossen habe, ihn in der armseligen Hütte zu verstecken, bis Sebastián auftauchen würde.

»Und wenn ich nicht gekommen wäre?« wollte Sebastián wissen.

»Wir waren sicher, daß du kommen würdest!« lautete die bestimmte Antwort des Mädchens. »Wir wußten es ebenso, wie ich niemals die Hoffnung aufgeben wollte, auch wenn ich sehr bittere Augenblicke erlebt habe.« Sie nahm das Gesicht ihres Bruders in die Hände und gab ihm einen dicken Kuß. »Wie hübsch du bist, gütiger Himmel! Du bist immer noch der hübscheste Bruder auf der ganzen Welt.«

»Und keine Schwester küßt so oft wie du.«

»Hab ja auch seit ewiger Zeit keinen mehr geküßt!« Celeste machte eine bittere Pause. »Und keiner hat mich geküßt…«

»Wie ist es dir all die Jahre ergangen?«

Das Mädchen, dessen überschäumende Lebensfreude scheinbar durch nichts zu erschüttern war, zuckte mit den Schultern, als wolle sie ihren vielen leidvollen Tagen keine Bedeutung zumessen.

»Was soll ich dir schon sagen? Am Anfang hab ich geheult wie ein Schoßhund, dann kam ich drauf, daß mir die Tränen nicht weiterhelfen würden, und beschloß, stark zu sein. Später gaben sie mir einen Hauslehrer, einen alten, sehr sympathischen Pfarrer, der mir über die schlimmsten Augenblicke hinweggeholfen hat. Als mir Hauptmann Mendana dann erzählte, daß du mit den Leuten auf der Insel Geschäfte machst, hab ich gehofft, daß du bald kommen würdest.« Sie kniff ihn fest in die Nase. »Aber dann sind Jahre vergangen!«

»Ich konnte doch nicht«, gab ihr Bruder zurück. »Wir waren auf einem Piratenschiff gefangen.«

»Ich weiß. Papa hat mir alles erzählt. Es gefällt mir nicht, daß du ihr Kapitän geworden bist. Doch da ich dich dadurch wiedergefunden habe, sei Gott dafür gedankt…Wann brechen wir auf?«

»Willst du wirklich alles aufgeben und mit uns kommen?« fragte der Margariteno erstaunt.

»Immer schon! Und lieber heute als morgen, denn Don Hernando hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu verführen. Jeden Tag fällt es mir schwerer, ihn mir vom Leib zu halten.«

»Ich bringe ihn um«, sagte Kapitän Jacare Jack so kalt, daß es einen Augenblick lang selbst seine Schwester erstaunte. Schließlich ergriff sie seinen Arm, während sie ein ums andere Mal verächtlich den Kopf schüttelte.

»Vergiß ihn. Er verdient es nicht einmal, daß man sich seinetwegen die Hände schmutzig macht.«

»Wie kann ich ihn vergessen nach all dem Leid, das er uns angetan hat?«

Celeste Heredia schaute ihren abwesend wirkenden Vater an, der sich aus dieser heiklen Angelegenheit lieber heraushielt, und wandte sich schließlich wieder ihrem Bruder zu.

»Wir wissen alle, daß Mama die meiste Schuld trifft«, sagte sie. »Und für sie ist es schon Strafe genug, daß sie ihre Familie verloren hat, und bald ist sie auch ihr Haus und alle Privilegien los, denn ich bin sicher, daß Hernando sie schon seit einiger Zeit nicht mehr erträgt. Er hat sie nur noch nicht vor die Tür gesetzt, weil er sicher ist, daß sie mich früher oder später überreden wird, auf seine Avancen einzugehen.«

»Sei’s drum«, sagte Sebastian, »ich werde nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich ihn am Leben lasse.«

»Ihn umzubringen nützt gar nichts, und vielleicht gehst du selber dabei drauf, und davon haben wir auch nichts«, gab ihm das kluge Mädchen zu bedenken. »Töten wollen ihn viele, und daher hat er die halbe Garnison nach Cumaná mitgenommen, denn nicht einmal dort fühlt er sich sicher.«

»Und was macht er dort?« fragte ihr Vater überrascht.

»Der Gouverneur hat ihn rufen lassen. Offensichtlich hat sich eine Gruppe entlaufener Sklaven in den Wäldern des Orinoco niedergelassen, und einige sagen, daß es seine waren.«

»Ich weiß, daß sie es waren!« stellte Sebastian klar. »Ich selbst habe sie befreit. Jetzt verstehe ich auch, warum ich in La Asuncion kaum Soldaten auf den Straßen gesehen habe.«

»Keiner wird es wagen, La Asuncion anzugreifen.«

»Nicht mal dann, wenn in den Schatzkammern der Casa ein Vermögen an Perlen liegt?«

»In diesem Jahr gibt es dort kaum Perlen«, gab ihm Celeste mit bedeutungsvollem Blick zu verstehen, was den Bruder etwas verwirrte.

»Was willst du damit sagen? Ist die Flotte vielleicht schon angekommen?«

»Bisher nicht«, lautete die lächelnde Antwort, die ein amüsantes Geheimnis zu bergen schien. »Als Hernando erfahren hat, daß ein Piratenschiff die Küste unsicher macht, habe ich ihm eingeflüstert, daß es wesentlich sicherer wäre, die besten Perlen hier im Haus zu verstecken.«

»Nicht möglich!« rief Sebastian fassungslos aus. »Hier? In diesem Haus?«

»Ganz genau! Es war nicht schwer, ihn davon zu überzeugen, daß niemand auf die Idee käme, die Perlen in einem kleinen Fäßchen zu suchen, das wiederum in einem riesigen Sherryfaß versteckt ist.« Sie lächelte schelmisch. »Und da sind sie immer noch und warten darauf, daß sie sich einer holt.«

Ihr Vater blickte sie tadelnd an:

»Denkst du vielleicht daran, sie zu stehlen?«

Die Antwort kam spontan und unverblümt, wie es Celeste stets gewesen war.

»Natürlich!« rief das Mädchen aus und schüttelte belustigt die lange, dunkle Mähne. »Seit Jahren denke ich daran, und wenn diese Perlen verschwinden, weil Hernando sie gegen alle Vorschriften der Casa aus den Schatzkammern geholt hat, wird ihn dieselbe Casa für den Rest seines Lebens in das tiefste Verlies werfen lassen. Ich kenne ihre Methoden!«

»Du liebe Zeit!« griff sich ein niedergeschlagener Miguel Heredia Ximénez an den Kopf. »Jetzt habe ich nicht nur einen Piraten zum Sohn, sondern auch noch eine Diebin zur Tochter. Wo soll das noch hinführen?«