Выбрать главу

»Ich sehe mich nicht als Diebin, Vater«, widersprach ihm seine Tochter ungerührt. »Für diese Perlen haben Hunderte geschuftet, die von diesen Schweinen der Casa nur ausgebeutet werden. Ich habe bestimmt eine sinnvollere Verwendung dafür.« Voller Inbrunst küßte sie ihren Vater auf die Wange. »Ich sehe sie als Entschädigung für die verlorenen Jahre.«

»Aber…!«

»Kein Aber!« unterbrach ihn Sebastián. »Ich bin in der Absicht gekommen, die Hauptstadt zu überfallen und mir die Perlen zu holen, denn meine Leute haben schon monatelang keine Beute mehr gesehen, aber das macht es natürlich leichter…« Er wandte sich seiner Schwester zu und fragte: »Wie viele sind es?«

»Etwas über zweitausend, aber alle prachtvoll.«

»Und hast du eine Idee, wie wir sie aus dem Haus bringen?«

»Wie sie hineingekommen sind…!« erklärte das Mädchen schulterzuckend, als wäre das die dümmste Frage der Welt. »In der Kutsche.«

»In der Kutsche des Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla?« wiederholte ihr Vater, dessen Fassungslosigkeit weiter wuchs. »Nicht möglich!«

»So geht es am besten«, gab Celeste zurück, in ihrem typischen ungerührten Ton, der die absurdesten Dinge völlig normal erscheinen ließ. »Jeden Tag fahre ich mit der Kutsche zur Frühmesse des Franziskanerklosters. Ich kann mitnehmen, was ich will.«

»Begleitet dich denn deine Mutter nicht?«

»Früher schon, aber seit eine alte Frau sie beleidigt und bespuckt hat, nicht mehr.«

»Langsam habe ich den Eindruck, daß sie einen allzu hohen Preis für das bezahlt, was sie getan hat«, flüsterte Miguel Heredia.

Die Tochter schüttelte sanft den Kopf:

»Für sie ist er nicht zu hoch. Sie kann spät aufstehen, essen, was sie mag, teure Kleider anziehen und eine Menge Diener haben. Dafür ist ihr kein Preis zu hoch.«

»Früher war sie nie so.«

»Vielleicht ist sie immer so gewesen, hatte aber nie Gelegenheit, es zu zeigen. Nichts macht ihr mehr Spaß, als Leute herumzukommandieren, die ihr aufs Wort gehorchen.«

»Haßt du sie?«

Celeste Heredia wandte sich ihrem Bruder zu, der die Frage gestellt hatte, und schüttelte ohne Groll den Kopf.

»Eine Zeitlang habe ich sie für das gehaßt, was sie uns angetan hat und weil es mich anwiderte, daß sie sich wie eine läufige Hündin aufführte, um Hernando bei Laune zu halten, aber das ist vorbei. Heute kann ich sie nur noch bemitleiden, weil sie zusehen muß, wie ihr die Felle wegschwimmen. Ich bin sicher, daß sie mich als rettenden Strohhalm ansieht.« Sie schüttelte den Kopf, als machte es ihr Mühe, die Realität zu akzeptieren. »Ich, der ich all die Jahre ihr Alptraum war, weil ich sie allein durch meine Anwesenheit an ihr Verhalten erinnert habe, bin jetzt ihre einzige Hoffnung. Man sollte es nicht glauben!«

»Sprechen wir nicht mehr von ihr«, schloß ihr Vater das leidige Thema ab. »Das führt zu nichts, und die Erinnerung an Dinge, die wir ein für allemal vergessen sollten, verbittert uns nur.« Er ergriff die Hände der beiden. »Jetzt sind wir alle zusammen, und so soll es bleiben, mit oder ohne Perlen.«

»Mit den Perlen«, erwiderte seine Tochter. »Entweder nehme ich sie mit, oder ich esse sie auf, aber zurück lasse ich sie auf keinen Fall.«

»Einverstanden! Dann also mit den Perlen…«

»Also schön«, bemerkte Sebastián. »In diesem Fall bleibst du am besten hier, damit dich keiner in La Asuncion erkennt.« Er wandte sich seiner Schwester zu. »Samstag nacht nimmt mich das Schiff am Strand von Manzanillo auf. Der ideale Tag, um zur Messe zu gehen.«

»Das wird die schönste Messe meines Lebens«, lachte sie. »Bei Gott! Seit Jahren zerbreche ich mir den Kopf über meine Rache, aber daß sie so perfekt sein würde, hätte ich nie gedacht. Was für ein Gesicht wird er machen, wenn er entdeckt, daß sein unschuldiges Täubchen ausgeflogen ist und ihn gerupft hat statt er sie! Und wie wird er dreinschauen, wenn ihn der Gouverneur wieder nach Cumaná ruft und fragt, wo die Perlen geblieben sind!«

»Bist du sicher, daß sie ihn einsperren werden?«

»Für den Rest seines Lebens…! Und es wäre ein Wunder, wenn sie ihn nicht aufhängen. Die Casa versteht keinen Spaß, wenn es um ihre Interessen geht. Ein Gesandter kann berauben, wen er will, aber nicht sich selbst berauben lassen.« Wieder nahm sie das Gesicht des Bruders in die Hände, um ihm einen weiteren geräuschvollen Kuß aufzudrücken. »Ich bete dich an!« rief sie aus.

Eine Stunde später sagte sie ihnen, daß sie gehen müsse, ansonsten würde ihre Mutter lästige Fragen stellen. Kurz darauf verabschiedete sich auch Sebastián von seinem Vater, um ohne Hast in die Stadt zurückzukehren.

Während er dem staubigen Weg folgte, den er tags zuvor viel mutloser gegangen war, konnte er seine überschwengliche Freude darüber nicht unterdrücken, welch glückliche Wendung sein Leben in so kurzer Zeit genommen hatte. Als er am Herrenhaus vorbeiging, bedrückte ihn allerdings der Gedanke, seiner Mutter zu begegnen, doch mehr noch machte ihm seine Schwester zu schaffen.

Die Jahre der Trennung, der Luxus und der Einfluß Fremder hätten aus Celeste ein hochmütiges Mädchen machen können, das von einem armseligen, verrückt gewordenen Vater und von einem Bruder, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt war, nichts mehr wissen wollte. Doch aus einem unerfindlichen Grund war sie immer noch das zärtliche, impulsive und anhängliche Mädchen, das ihn wie ein Schatten überallhin verfolgt hatte, als hätte die Zeit bei ihr keinerlei Spuren hinterlassen.

Ihre fröhliche, spontane und unbekümmerte Art hatte offensichtlich auch bei ihrem Vater ein erstaunliches Wunder bewirkt. Allein die Tatsache, sie wiedergefunden zu haben, schien den unglücklichen Miguel Heredia für alle Leiden zu entschädigen und wie eine wohltuende Seebrise die schwarzen Gedanken zu verscheuchen, die ihn an den Rand der geistigen Umnachtung getrieben hatten.

Während er über sie nachdachte, mußte Sebastian an ein altes Lied denken, das die Matrosen sangen, wenn sie auf den höchsten Mast kletterten. Es handelte von Männern, die auf See verlorengehen und bei ihrer Rückkehr in den Hafen feststellen, daß nichts sich in den Jahren der Abwesenheit geändert hat. Der Urheber dieser traurigen Ballade mußte etwas von einem Propheten gehabt haben, denn in gewisser Weise sagte er voraus, daß zwei Menschen, die sich im stürmischen Ozean ihrer Erinnerungen verloren hatten, unverhofft in einen sicheren Hafen zurückgekehrt waren, in dem sich ihre bittere Vergangenheit wie von Zauberhand in eine süße Gegenwart verwandelte.

Vielleicht deshalb fühlte der junge Kapitän Jacare fack, als er kurze Zeit darauf an der Pforte einer kleinen Einsiedelei am Eingang der Stadt vorbeiging, zum ersten Mal in seinem Leben die drängende Verpflichtung, Gott zu danken, und daher trat er, ohne zu zögern, in die abgeschiedene, stille Kapelle ein.

Das erste, was seine Aufmerksamkeit erregte, als er auf einer groben Bank Platz nahm, war ein riesiges wurmstichiges Bildnis der Jungfrau mit Kind, das ihn sofort an seine Mutter erinnerte, wenn sie Celeste stillte. Er mußte sich fragen, wie es möglich war, daß sich ein Wesen, das ihm so himmlisch und engelsgleich vorgekommen war, sich in jemanden verwandelt hatte, der in der Lage war, die eigene Tochter zu verderben, nur um weiterhin erst mittags aufstehen zu müssen und acht Diener zu haben.

In der langen Stunde auf der harten Bank dachte der Margariteno inniger über seine Gefühle nach als für den gesamten Rest seines Lebens. Er war so überglücklich, seine Schwester wiedergefunden zu haben, daß er nicht einmal seine Mutter hassen konnte.

Schließlich richtete er seinen starren Blick auf das Madonnenbild und murmelte, als hätte er in Wahrheit eine Abbildung von Emiliana Matamoros vor sich, die ihn hören könnte:

»Geh mir aus dem Sinn. Geh mir aus dem Sinn und kehr nicht wieder, weder in guter noch in schlechter Erinnerung. Ich will weder an die Mutter denken, die ich liebte, noch an die schändliche Frau, die ich verabscheue, noch an die unwürdige Alte, die du sein wirst.« Er starrte das Bild geradezu herausfordernd an. »Ich möchte nicht wissen, in welchen Häfen du dich herumtreiben wirst, um die Reste deiner Schönheit zu verhökern, während du daran denkst, daß du einen Mann und zwei Kinder hattest, die dich verehrten. Tu mir den Gefallen, geh mir für immer aus dem Sinn.«