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»Celeste ist kein Kind mehr«, protestierte der andere. »Seit Ihr sie das letzte Mal gesehen habt…«

»Sagt lieber nichts, Don Hernando!« rief sein Gegenüber empört aus. »Sagt lieber nichts! Was Ihr getan habt, ist unverzeihlich. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Das Schlimmste ist, daß Ihr den guten Namen der Casa de Contratación in den Schmutz gezogen habt. Gütiger Gott!« Don Caye-tano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza warf einen langen Blick auf das riesige Bildnis von Monsignore Rodrigo de Fonseca, der über das strenge Gemach wachte. »Was würde unser Gründer sagen, wenn er sähe, wie tief wir gesunken sind…? Und was wird man in Sevilla sagen, wenn die Flotte dort eintrifft und man feststellt, daß keine einzige Perle dabei ist, die auch nur eine elende Dublone wert ist?«

Schweigen war die Antwort, denn Don Hernando Pedrárias Gotarredona wußte auf keine einzige Frage eine Antwort und war so beschämt und niedergeschlagen, daß er fast in Tränen auszubrechen schien.

»Viele Irrtümer haben wir im Laufe der Jahre begangen!« fuhr schließlich Seine Exzellenz fort. »Leider viele, auch wenn ich felsenfest daran glaube, daß die meisten ohne böse Absicht geschahen. Aber daß einer unserer Beamten nicht nur des Sklavenhandels und der Verführung Minderjähriger anzuklagen, sondern darüber hinaus auch noch ein unfähiger Einfaltspinsel ist, das ist die Höhe. O Herr!« rief er aus und hob die Augen gen Himmel. »Ein Glück, daß Euer Vater, den ich so bewundert habe, das nicht mehr miterleben muß.«

»Ich bin hier, um für meine Taten Rede und Antwort zu stehen und öffentlich die Verantwortung dafür zu übernehmen, Exzellenz«, murmelte Don Hernando Pedrárias schließlich fast tonlos. »Was noch kann ich tun?«

»Verantwortung?« wiederholte sein Vorgesetzter mit knirschenden Zähnen und rang um Fassung. »Was hilft es mir, daß Ihr öffentlich Verantwortung übernehmt? Damit gießt Ihr nur mehr Öl ins Feuer und macht den Skandal noch größer, ohne daß wir unser Ansehen zurückerhalten, geschweige denn unsere Perlen.«

Der hochgewachsene, hagere, ja asketisch wirkende Mann, der geradewegs einem Gemälde El Grecos entstiegen zu sein schien, erhob sich, ging zum Fenster und blickte lange Zeit auf den ruhigen, dunklen Fluß hinaus, der nicht weit von hier in die kristallklare Karibische See mündete.

Schließlich und ohne sich zu dem Mann umzudrehen, der unentwegt auf seine Stiefelspitzen starrte, wies er mit einer leichten Kopfbewegung auf die massive Festung, die sich in der Ferne abzeichnete.

»Meine Pflicht wäre es, Euch für den Rest Eures Lebens in den tiefsten Kerker der Festung San Antonio werfen zu lassen, und ich gestehe, daß dies mein sehnlichster Wunsch ist, weil Ihr in mir nur Abscheu und Widerwillen erweckt.« Er blickte aus dem Fenster, bis ein schwerer Pelikan, der sich kopfüber ins Wasser gestürzt hatte, mit einem dicken Fisch im Schnabel wieder auftauchte und auf drollige Weise den Hals hin und her schüttelte, um den Fisch hinunterzuwürgen, ohne ihn dabei zu verlieren, und schließlich fügte er im gleichen Tonfall hinzu: »Dennoch ist es meine Pflicht, die Interessen der Casa vor alle anderen Überlegungen zu stellen. Im Augenblick verlangen es die Interessen der Casa, daß alle Welt erfährt, daß dieser Kapitän Jacare Jack und seine gesamte Besatzung schnell und streng bestraft worden sind. Aus diesem Grund werde ich Euch eine Gnadenfrist gewähren.«

Er kehrte zu seinem Sessel zurück und richtete seine bohrenden grauen Augen drohend auf den rötlichen schütteren Bart des wieder Hoffnung schöpfenden Don Hernando Pedrárias:

»Kehrt zurück nach Margarita. Versetzt alle Eure Habe und rüstet auf eigene Kosten ein Schiff aus, mit dem Ihr diese Elenden bis ans Ende der Welt verfolgen könnt. Wenn Ihr binnen Jahresfrist mit ihren an den Masten baumelnden Köpfen zurückkehrt, werdet Ihr begnadigt.« Wieder nahm er eine kleine Prise Schnupftabak. »Falls nicht, werden Euch meine eigenen Schiffe verfolgen, um mit Eurem Kopf zurückzukehren. Ist das klar?«

»Völlig klar, Exzellenz!«

»Dann macht Euch auf den Weg und denkt immer daran: Spätestens in einem Jahr möchte ich vor diesem Fenster Köpfe sehen, und ich versichere Euch, daß es mich wenig kümmert, ob Eurer dabei ist oder nicht.«

Der nunmehr Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla auf der Insel Margarita verließ tief beschämt das Gemach und ging langsam am Fluß entlang die anderthalb Meilen vom Palast Seiner Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza in Cumaná zum Hafen zurück, ohne sich um die Sonne zu kümmern, die mörderisch auf sein Haupt brannte. Erst gegen Abend hatte er seine Sprache teilweise wiedergefunden und betrat die einsame Schenke, in der seit Stunden sein treuer Sekretär Lautario Espinosa auf ihn wartete.

»Du bleibst hier«, befahl er, als er ihm gegenüber Platz genommen hatte, »und schickst Boten in alle Häfen der Region, die dort verkünden sollen, daß ich für das bestbewaffnete Schiff dieser Meere bezahlen werde, was immer sie verlangen…« Er zeigte mit dem Finger auf ihn. »Was immer sie verlangen! Außerdem zahle ich für jegliche Information, die zur Auffindung der Jacare beiträgt. Ich will ihre Routen wissen, welche Häfen sie anläuft oder wo sie vor Anker geht, wenn sie nicht auf Beutefahrt ist…« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas, das der andere vor sich hatte, um in höchster Erregung hinzuzufügen: »Und dann heuerst du eine Besatzung an, die es mit Tod und Teufel aufnehmen kann. Piraten, Banditen, Frauenschänder, Mörder! Was immer du auftreiben kannst!«

»Wißt Ihr eigentlich, Senor, was Ihr da verlangt?« protestierte der andere, den der Tonfall sichtlich mehr beeindruckt hatte als die Worte selbst.

»Natürlich weiß ich das!« tönte es brüsk zurück. »Ich bitte dich, mir dabei zu helfen, meinen Kopf zu retten und übrigens auch den deinen, denn wir beide wissen, wie hoch die Provision war, die dir für jeden Sklaven der Four Roses zustand.« Anklagend wies er mit dem Finger auf ihn. »Wir sitzen in einem Boot: Entweder kommen wir beide heil aus der Sache heraus, oder wir gehen gemeinsam unter… Ist das klar?«

Lautario Espinosa nickte und schluckte heftig.

»Völlig klar, Senor!«

»Dann spute dich, denn noch heute abend breche ich nach La Asunción auf.« Er sprang auf. »Gib aus, was notwendig ist, doch bei meiner Rückkehr möchte ich ein Schiff mit zweihundert Mann unter Deck im Golf von Paria sehen…« Er stieß einen Fluch aus: »So wahr meine Name Hernando Pedrárias ist, werde ich diesen verfluchten Schotten und seine verdammte Hure finden!«

Zwei Tage später betrat er das Herrenhaus auf Margarita und stieg eilends in den Weinkeller hinab, in den er Emiliana Matamoros hatte einsperren lassen. Als er vor der inzwischen schmutzigen, zerzausten und angetrunkenen Frau stand, für die er früher soviel Leidenschaft empfunden hatte, konnte er eine verächtliche Geste des Abscheus nicht unterdrücken:

»Du stinkst wie ein toter Hund, und heute kann ich mir nicht erklären, daß du mir einmal den Kopf verdrehen konntest! Aber das ist vorbei. Heute sollst du mir lediglich sagen, was dieser Pirat mit deiner Tochter zu tun hat.«

Sein Gegenüber musterte ihn mit geröteten Augen, berauscht von den Litern Sherry, mit dem sie versucht hatte, ihren Hunger zu betäuben, und nachdem sie ewig lang darüber nachgedacht hatte, grunzte sie schließlich:

»Ich hab verdammt noch mal keine Ahnung, wovon du redest.«

Als Antwort verpaßte ihr der Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla eine schallende Ohrfeige. Ihre Unterlippe riß auf, und eine Blutspur lief über ihr Kinn.

»So redest du nicht mit mir!« drohte er. »Und spiel mir nicht die Betrunkene vor. Das alles war viel zu gut geplant. Sie haben die Perlen mitgenommen und in der gleichen Nacht die Kutsche angezündet, um sich in Manzanillo einzuschiffen. Wie erklärst du dir das?«

»Ich habe wirklich keine Ahnung!« beharrte sie erschreckt. »Ich schwör’s dir. Ich wußte ja nicht einmal, daß die Perlen im Keller waren. Woher sollte ich es auch wissen?«