»Wohl wahr«, räumte sein Gegenüber ein und ließ sich in einen Sessel fallen, als hätte ihn sein Energieausbruch plötzlich erschöpft. »Ich habe alles verloren außer meiner Wut im Bauch. Ich werde ein Schiff ausrüsten. Das beste, das es gibt! Und ich werde diesen Hurensohn fangen.«
»Das beste Schiff, das es gibt, ist die Jacare«, erinnerte ihn Oberst Arismendi. »Wenn du es mit einem schweren Flottenschiff zu jagen versuchst, auch wenn es noch so gut bewaffnet ist, kannst du ebensogut versuchen, einen Delphin am Schwanz zu packen.«
»Ich werde schon eine Möglichkeit finden.«
Der Offizier stand mühevoll auf und ging zur Tür, als sähe er nicht nur das Gespräch, sondern auch die unbequeme Beziehung für beendet an.
»Das hoffe ich für dich, und ich sollte dir Glück wünschen. Allerdings weiß ich in diesem besonderen Fall nicht recht, ob ich auf der Seite eines ehrenwerten schottischen Piraten oder der eines unwürdigen spanischen Edelmanns stehen soll. Gute Nacht!«
Unter anderen Umständen hätte Don Hernando Pedrárias Gotarredona eine solche Behandlung niemals hingenommen, sondern die Person, die ihn derart beleidigt hatte, unverzüglich zum Duell gefordert. Aber das war nicht der Augenblick, mit einem vorzüglichen Fechter und sicheren Pistolenschützen die Waffen zu kreuzen. Daher schluckte er seinen Groll hinunter, denn es war ihm klar, daß die meisten Menschen ihn von nun an auf diese Weise behandeln würden.
Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Oberst Arcadio Arismendi das Haus tatsächlich verlassen hatte, goß er sich ein weiteres Glas Rum ein, leerte es in einem Zuge und läutete mehrere Male ein Glöckchen, bis ein Diener auf der Türschwelle erschien.
»Wo bleibt Don Samuel? Warum ist er nicht gekommen?«
»Seine Frau versichert, daß er in Porlamar ist, Senor«, erwiderte der arme Mann, also fürchtete er, daß man ihm nicht glauben würde. »Er kommt erst übermorgen zurück.«
Sein ungeduldiger Herr wollte gerade eine ärgerliche Antwort geben, als er es sich anders überlegte und befahclass="underline"
»Sattle mein Pferd. Ich reite nach Juan Griego.«
»Um diese Zeit, Senor?« wollte der beunruhigte Diener wissen. »Es wird bald Nacht.«
»Wir haben Vollmond, und ich kenne den Weg. Um so kühler wird der Ritt sein.«
Es war tatsächlich ein kühler Ritt und in mancher Hinsicht wesentlich angenehmer als unter der brennenden Sonne Margaritas, doch während er auf dem engen Pfad zur Westküste hinuntergaloppierte, hatte Don Hernando Pedrárias ein bohrendes Gefühl im Magen, wenn er diesen fast verstohlenen Ritt mit der Fahrt verglich, die er vor Jahren mit seiner Kutsche und einem Dutzend Mann Begleitung gemacht hatte, die auf Schritt und Tritt für seine Sicherheit sorgte.
Weder der wirtschaftliche Ruin noch der Verrat Celestes oder die Aussicht, den Rest seines Lebens in der Festung des feuchtheißen Cumaná zu verbringen, machten dem Ex-Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla so sehr zu schaffen wie die Tatsache, daß er all seine Macht verloren hatte. Bitter mußte er feststellen, daß nur noch zwei alte Diener seine Befehle ausführten und kein einziger Leibwächter mehr bereit war, sein Leben für ihn aufs Spiel zu setzen.
Don Hernando Pedrárias, Sohn eines geachteten Staatsanwalts der Casa de Contratación von Sevilla und Enkel eines ihrer tüchtigsten obersten Richter, war in der unerschütterlichen Überzeugung aufgewachsen, daß die Angehörigen seines Geschlechts dazu berufen waren, über die Geschicke der Neuen Welt zu schalten und zu walten. Ihre Autorität war ebenso unantastbar wie die der Personen königlichen Geblüts.
Über Jahre hinweg hatte er die Beamtenschule der Casa besucht, gemeinsam mit vielen anderen Söhnen und Enkeln hoher Würdenträger, und die gesamte Zeit über hatten weder Lehrer noch Schüler auch nur ein einziges Mal die Tatsache in Frage gestellt, daß nur sie wußten, und niemand sonst, was die fernen Länder jenseits der Meere benötigten und was gut für deren Einwohner war.
Die Pfarrer waren für die Religion, die Höflinge für die Politik und die Offiziere für die Schlachten zuständig, doch die Beamten der Casa kontrollierten die Wirtschaft des Landes, und das bedeutete, daß auf die eine oder andere Weise Pfarrer, Politiker und Militär von ihnen abhängig waren.
Und jetzt wagte es eine Marionette wie Oberst Arismendi, der jahrelang vor ihm gekatzbuckelt und von ihm profitiert hatte, ihn zu beleidigen, jetzt wo der Offizier wußte, daß Don Hernando keine Fäden mehr ziehen konnte, um ihn sofort in das übelste Urwaldkaff versetzen zu lassen.
Macht!
Macht war die sanfte Geliebte, mit der er jahrelang geschlafen hatte, und in jener Nacht, in der er allein den staubigen Weg nach Juan Griego entlangritt, kam Don Hernando Pedrárias zur schmerzlichen Erkenntnis, daß sie niemals mehr sein Bett teilen würde.
Der Morgen graute, als er in der Ferne die schwarzen Mauern des Forts erkennen konnte, und als die ersten Sonnenstrahlen über Cabo Negro blinzelten, stand er vor Hauptmann Sancho Mendana, der gerade sein Frühstück auf der riesigen Seeterrasse beendet hatte.
»Oberst Arismendi hat mir empfohlen, zu Euch zu kommen«, bog Don Hernando die Wahrheit zurecht. »Er hat mir versichert, daß ihr mir vielleicht die Information geben könnt, die ich benötige.«
»Über?«
»Kapitän Jacare Jack.«
»Und was soll ich dem Oberst nach über Kapitän Jacare Jack wissen?« lautete die mißmutige Antwort des Hauptmanns, die vermuten ließ, daß er tatsächlich eine Menge wußte. »Ein Pirat ist er, nichts weiter.«
»Der Oberst hält Euch für eine Autorität in Sachen Piraten. Ihr sollt gegen viele gekämpft haben.«
»Ich war bei einem gescheiterten Angriff auf Tortuga dabei, habe mit meinen Kanonen Mombars, den Todesengel, in die Flucht geschlagen, und einmal habe ich an einer Treibjagd teilgenommen, auf der wir achtzehn Freibeuter aufgehängt haben, aber deshalb sehe ich mich noch nicht als Autorität in dieser Angelegenheit.« Bedächtig zündete der phlegmatische Hauptmann seine Pfeife an und fügte mit gezwungener Natürlichkeit hinzu: »Jeder Offizier, der so lange wie ich in diesen Breiten gedient hat, dürfte ähnliche Erfahrungen haben.«
»Nichtsdestotrotz!« rief Don Hernando Pedrárias aus. »Ich weiß, daß die Jacare mehrere Male in der Bucht vor Anker gegangen ist.«
»Immer schön außer Reichweite meiner Kanonen«, stellte sein Gastgeber spöttisch klar. »Seit Jahren mache ich Eingaben, daß man diese alten Schrotthaufen austauscht und Munition schickt, doch keiner hat sich je darum geschert. O ja, die Jacare ist in der Bucht von Kap zu Kap gefahren, weil sie genau wußte, daß ich ihr mit meinen vier Fischerkähnen und einem halben Dutzend Reservisten nichts anhaben konnte.« Wütend blickte er sein Gegenüber an, als dächte er darüber nach, ob es sich lohnte, seine Spucke an ihn zu verschwenden: »Alle Piraten und Korsaren, Engländer, Franzosen, Holländer, Portugiesen, ja sogar Chinesen, falls es in China Korsaren gibt, wissen nur zu gut, daß sie uns ungestraft plündern, schänden und töten können, weil die Casa lieber ein Schiff mit Ölfässern schickt, um es gegen Perlen einzutauschen, statt ein Schiff mit Pulverfässern, die verhindern könnten, daß man uns diese Perlen raubt…« Er deutete auf die alte Kanone, deren schwarze Mündung fast direkt über ihren Köpfen schwebte: »Wißt Ihr, wie oft ich sie bei einem Angriff abfeuern kann? Einmal! Nur ein einziges Mal! Und der Schuß erreicht nicht einmal dieses gelbe Boot dort.«
»Ich hätte nie gedacht, daß die Situation so kritisch ist«, gab Don Hernando mit absoluter Ehrlichkeit zu.
»Als ob ich Euch nicht über die Jahre hinweg ein gutes Dutzend Berichte geschickt hätte«, tönte es fast zornig zurück. »Wir wollen das größte Reich sein, das jemals ein allmächtiger Souverän regiert hat, das Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, doch anderthalb Jahrhunderte, nachdem wir dieses Reich erobert haben, lassen wir zu, daß man uns Stück um Stück entreißt. Hier in der Karibik haben wir schon Jamaika, Barbados, Guadeloupe, Aruba, Martinique und Curacao verloren. Was müssen wir noch alles verlieren, bis die Casa sich endlich entschließt, uns Waffen zu schicken, damit wir uns verteidigen können? Wenn die Piraten, die gerade im Hafen von Port-Royal liegen, ihre Kräfte vereinen würden, brauchten sie nicht einmal 24 Stunden, um Margarita einzunehmen.«