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Er sah immer noch zur Decke und kratzte sich das dünne Haar im Nacken, als Ralph nach links abbog, zum Abschied grüßend die Hand hob und den alten Oldsmobile mit einem letzten Winken den Hospital Drive hinunter zu dem flachen Backsteingebäude von Woman-Care steuerte.

Nachdem die Sonne aufgegangen war, stand nur noch ein Wachmann da, und die Demonstranten hatten sich ganz verzogen. Ihre Abwesenheit rief in Ralph Erinnerungen an alle Dschungelfilme wach, die er in seiner Jugend gesehen hatte, besonders an den Teil, wo die Trommeln der Eingeborenen verstummten und der Held - Jon Hall oder Frank Bück - sich zum Anführer seiner Träger umdrehte und sagte, daß ihm das nicht gefiele, daß es zu still sei. Der Wächter zog ein Notizbrett unter dem Arm hervor, betrachtete Ralphs Olds mit verkniffenen Augen und schrieb etwas auf - wahrscheinlich die Autonummer. Dann kam er auf dem mit Karteikarten übersäten Rasen auf sie zugeschlurft.

Zu dieser frühen Morgenstunde konnte sich Ralph einen Parkplatz gegenüber dem Gebäude aussuchen. Er parkte, stieg aus und ging um das Auto herum, um Lois die Tür zu öffnen, wie er es gelernt hatte.

»Wie willst du es machen?« fragte sie, als er ihr die Hand reichte und aus dem Auto half.

»Wahrscheinlich müssen wir ein bißchen nett sein, aber wir wollen es nicht übertreiben. Richtig?« »Richtig.« Sie strich nervös mit der Hand an der Vorderseite ihres Mantels hinunter, als sie über den Rasen gingen, dann strahlte sie dem Wachmann ein Megawattlächeln entgegen. »Guten Morgen, Officer.«

»Morgen.« Er sah auf die Uhr. »Ich glaube nicht, daß um diese Zeit jemand da ist, außer der Dame am Empfang und der Putzfrau.«

»Genau zu der Dame am Empfang möchten wir«, sagte Lois fröhlich. Das war neu für Ralph. »Barbie Richards. Ihre Tante Simone hat eine Nachricht, die ich ihr überbringen soll. Sehr wichtig. Sagen Sie ihr, es ist Lois Chasse.«

Der Wachmann dachte darüber nach, dann nickte er in Richtung der Tür. »Das wird nicht nötig sein. Gehen Sie ruhig rein, Ma'am.«

Lois sagte strahlender lächelnd denn je: »Wir werden keine zwei Minuten brauchen, oder, Norton?«

»Eher anderthalb«, stimmte Ralph zu. Als sie sich dem Gebäude näherten und den Wachmann hinter sich zurückließen, beugte er sich zu ihr und murmelte: »Norton? Großer Gott, Lois, Norton?«

»Das war der erste Name, der mir eingefallen ist«, antwortete sie. »Ich schätze, ich habe an The Honeymooners gedacht Ralph und Norton, weißt du noch?«

»Ja«, sagte er. »Eines Tages, Alice... peng! Bis zum Mond!«

Zwei der drei Türen waren verschlossen, aber die ganz links ging auf, und sie traten ein. Ralph drückte Lois' Hand und spürte, wie sie den Druck erwiderte. Im gleichen Augenblick spürte er, wie seine Aufmerksamkeit stark gebündelt wurde und sein Wille und seine Konzentration sich verstärkten. Rngs um ihn herum schien das Auge der Welt zuerst zu blinzeln und dann weit aufgeschlagen zu werden. Um sie beide herum.

Der Empfangsbereich war schmucklos, fast nüchtern. Die Wände bestanden aus druckbehandeltem Fichtenholz, die Sessel und Sofas waren streng und zweckdienlich, das dekorative Beiwerk gedämpft. Bei den Plakaten an den Wänden handelte es sich um den Typus, den die Fremdenverkehrsämter fremder Länder gegen Portoerstattung verschickten. Die einzige Ausnahme befand sich rechts von der Rezeption: ein großes Schwarzweißfoto einer jungen Frau im Umstandskleid. Sie saß auf einem Barhocker und hielt ein Martiniglas in einer Hand. WENN SIE SCHWANGER SIND, TRINKEN SIE NIE ALLEIN! lautete die Legende unter dem Foto. Nichts deutete darauf hin, daß in einem oder mehreren Zimmern hinter diesem freundlichen, unaufdringlichen Büro auf Verlangen Abtreibungen durchgeführt wurden.

Nun, dachte Ralph, was hast du erwartet? Eine Werbung? Ein Plakat mit abgetriebenen Föten in einem emaillierten Mülleimer zwischen einem Plakat mit der Insel Capri und einem mit den italienischen Alpen drauf? Komm zu dir, Ralph.

Links von ihnen wusch eine kräftige Frau Ende vierzig oder Anfang Fünfzig die Platte eines Glastischs ab; heben ihr stand ein kleiner Wagen mit verschiedenen Putzmitteln. Sie steckte in einer dunkelblauen Aura mit ungesunden schwarzen Flecken, die wie unheimliche Insekten über den Stellen ausschwärmten, wo sich Herz und Lungenflügel befanden, und sie sah die Neuankömmlinge mit unverhohlenem Argwohn an.

Direkt vor ihnen beobachtete eine andere Frau sie vorsichtig, allerdings nicht so argwöhnisch wie die Putzfrau. Ralph kannte sie vom Fernsehbericht am Tag der Demonstration mit den Puppenwürfen. Simone Castonguays Nichte war dunkelhaarig, um die Fünfunddreißig und sah selbst zu dieser frühen Morgenstunde atemberaubend aus. Sie saß hinter einem nüchternen Schreibtisch aus grauem Metall, der einen krassen Gegensatz zu ihrem Aussehen bildete, und inmitten einer waldgrünen Aura, die bei weitem gesünder als die der Putzfrau aussah. Auf einer Ecke des Schreibtischs stand eine Glasvase mit Herbstblumen.

Sie lächelte ihnen zögernd zu, ohne Lois zu erkennen, und deutete mit dem Finger auf die Uhr an der Wand. »Wir öffnen erst um acht«, sagte sie. »und ich glaube nicht, daß wir Ihnen heute helfen könnten. Sämtliche Ärzte sind abwesend - ich meine, Dr. Hamilton hat offiziell Dienst, aber ich bin nicht einmal sicher, ob ich sie erreichen könnte. Es ist eine Menge los - dies ist ein großer Tag für uns.«

»Ich weiß«, sagte Lois und drückte Ralphs Hand noch einmal, bevor sie sie losließ. Einen Augenblick hörte er ihre Stimme in seinem Geist, ganz leise - wie bei einem Überseetelefongespräch mit schlechter Verbindung -, aber verständlich:

[»Bleib, wo du bist, Ralph. Sie hat -«]

Lois schickte ihm ein Bild, das noch schwächer als der Gedanke und fast wieder verschwunden war, ehe Ralph es richtig erfassen konnte. Diese Art von Kommunikation fiel auf den höheren Ebenen wesentlich leichter, aber was er mitbekam, reichte aus. Die Hand, mit der Barbara Richards auf die Uhr gedeutet hatte, ruhte jetzt auf dem Schreibtisch, aber die andere hatte sie darunter, wo sich ein kleiner weißer Knopf neben der Knieöffnung befand. Sollte einer von ihnen das geringste Anzeichen seltsamen Verhaltens erkennen lassen, würde sie diesen Knopf drücken und zuerst ihren Freund mit dem Notizbrett rufen und danach den größten Teil der privaten Sheriffs in Derry.

Und mich betrachtet sie mit ganz besonderem Argwohn, weil ich ein Mann bin, dachte Ralph.

Als Lois sich dem Schreibtisch näherte, kam Ralph ein beunruhigender Gedanke: Angesichts der momentanen Atmosphäre in Derry, könnte diese Form der Geschlechterdiskriminierung - unbewußt, aber deshalb nicht weniger real - diese hübsche junge Frau in Gefahr bringen; sie könnte verletzt... möglicherweise sogar getötet werden. Er erinnerte sich, wie Leydecker ihm sagte, daß sich in Eds kleinem Kader von Mitverrückten auch eine Frau befand. Blasser Teint, hatte er gesagt, schlimme Akne, so dicke Brillengläser, daß ihre Augen wie pochierte Eier aussehen. Sandra Sowieso hieß sie. Und wenn Sandra Sowieso sich Ms. Richards Schreibtisch genähert hätte, wie Lois sich ihm jetzt näherte, wenn sie zuerst die Handtasche geöffnet und dann hineingegriffen hätte, würde die Frau mit der waldgrünen Aura dann den Alarmknopf gedrückt haben?

»Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht an mich, Barbara«, sagte Lois, »weil ich dich selten gesehen habe, seit du das College besucht hast; damals bist du mit dem jungen Sparkmeyer ausgegangen -«

»O mein Gott, Lennie Sparkmeyer, an den hab ich seit Jahren nicht mehr gedacht«, sagte Barbara Richards und stieß ein kurzes, verlegenes Lachen aus. »Aber ich erinnere mich an Sie. Lois Delancey. Tante Simones Pokerpartnerin. Spielt ihr immer noch?« »Ich heiße Chasse, nicht Delancey, und wir spielen noch.« Lois klang hocherfreut, weil Barbara sich an sie erinnerte, und Ralph hoffte, sie würde darüber nicht vergessen, weshalb sie eigentlich hier waren. Aber er hätte sich keine Sorgen machen müssen. »Wie dem auch sei, Simone hat mir eine Nachricht für Gretchen Tillbury aufgetragen.« Sie holte einen Zettel aus der Handtasche. »Ob du ihr die wohl geben könntest?«