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»Was?« »Bist du oben? Siehst du die Farben?«

Er sah sie kurz an. Sie sah immer noch wunderschön aus, und unfaßbar jugendlich, aber von einer Aura war keine Spur zu sehen. »Nein«, sagte er. »Du?«

»Ich weiß nicht. Das da sehe ich immer noch.« Sie deutete durch die Windschutzscheibe auf den dunklen Fleck über dem Hügel. »Was ist das? Wenn es kein Leichentuch ist, was dann?«

Er machte den Mund auf, um in Worte zu fassen, was sie auf einer bestimmten Ebene bereits wissen mußte - es war Rauch, und da oben konnte höchstwahrscheinlich nur eines brennen -, aber bevor er ein Wort sagen konnte, ertönte ein gewaltiger, überhitzter Knall aus dem Motorblock des Oldsmobile. Die Haube erzitterte und wölbte sich sogar an einer Stelle, als hätte eine Faust wütend von innen dagegen geschlagen. Das Auto schnellte einmal ruckartig vorwärts, was sich wie ein Schluckauf anfühlte; die roten Warnlichter gingen an, und der Motor starb ab.

Er steuerte den Olds an die weiche Böschung, und als der Rand unter den rechten Reifen nachgab und das Auto in den Graben kippte, verspürte Ralph die deutliche, klare Vorahnung, daß er gerade seine letzte Dienstfahrt als Betreiber eines Motorfahrzeugs hinter sich gebracht hatte. Bei diesem Gedanken verspürte er nicht das geringste Bedauern.

»Was ist passiert?« fragte Lois mit einem Anflug von Hysterie.

»Kolbenfresser«, sagte er. »Sieht aus, als müßten wir den Rest des Weg auf Schusters Rappen zurücklegen, Lois. Steig auf meiner Seite aus, damit du nicht im Schlamm versinkst.«

Eine frische Brise wehte von Westen, und als sie aus dem Auto ausgestiegen waren, nahmen sie den Geruch von Rauch, der von der Hügelkuppe herunterwehte, deutlich wahr. Die letzten fünfhundert Meter legten sie zurück, ohne darüber zu sprechen, sie gingen Hand in Hand, und sie gingen schnell. Als sie den Streifenwagen sahen, der quer über die Straße stand, stiegen ganze Rauchwolken über den Bäumen auf, und Lois rang keuchend nach Luft.

»Lois? Alles in Ordnung?«

Plötzlich überkam ihn die gräßliche Erinnerung an das Bild, das Lachesis ihnen in dem Fächer aus Licht zwischen seinen Fingern gezeigt hatte: Bill McGovern, der zuerst hinter dem Mann mit der pflaumenfarbenen Aura zurückblieb und sich dann mit einer Hand an der Wand abstützte und sich bückte wie ein ausgepumpter Läufer. Wie fühlte sich der Beginn eines Herzanfalls an? Wie ein rostiges Skalpell in der Brust, das sucht, sich dreht, alle wichtigen Leitungen und Röhren durchschneidet, die die Maschine versorgen? Ralph vermutete, daß es sich so verhielt. Und wenn Lois so etwas zustoßen sollte...

»Ja?« wollte er wissen, packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich um. »Hast du Schmerzen in der -«

»Mir geht es gut«, keuchte sie. »Ich wiege nur zu -«

Peng-peng-peng: Pistolenschüsse hinter dem Auto, das die Straße versperrte. Ihnen folgte ein heiserer, hustender Laut, den Ralph mühelos aus Nachrichtensendungen über Bürgerkriege in Ländern der Dritten Welt und über Schießereien in amerikanischen Städten der Dritten Welt kannte: eine auf Schnellfeuer gestellte automatische Waffe. Weitere Pistolenschüsse, dann der lautere, rauhere Knall einer Schrotflinte. Darauf folgte ein Schmerzensschrei, bei dem Ralph zusammenzuckte und sich die Ohren zuhalten wollte. Er nahm an, daß es der Schrei einer Frau war, und da fiel ihm plötzlich wieder ein, woran er sich nicht mehr hatte erinnern können: der Nachname der Frau, die John Leydecker erwähnt hatte. Sandra McKay.

Daß ihm das gerade in diesem Augenblick wieder einfiel, erfüllte ihn mit unbegründetem Entsetzen. Er versuchte sich einzureden, daß jeder x-beliebige geschrien haben konnte selbst Männer hörten sich manchmal wie Frauen an, wenn sie verletzt worden waren -, aber er wußte es besser. Sie war es. Sie waren es alle. Eds Irre. Sie hatten einen Anschlag auf High Ridge verübt.

Hinter ihnen weitere Sirenen. Der Geruch von Rauch, jetzt dicker. Lois sah ihn mit erschrockenen, ängstlichen Augen an und rang weiter nach Luft. Ralph sah bergauf und erblickte einen silbernen Briefkasten am Wegesrand. Selbstverständlich stand kein Name darauf; die Frauen von High Ridge hatten sich größte Mühe gegeben, unauffällig zu bleiben und ihre Anonymität zu wahren, was ihnen heute freilich wenig genützt hatte. Die Flagge des Briefkastens zeigte nach oben. Jemand hatte einen Brief für den Briefträger eingeworfen. Da mußte Ralph an den Brief denken, den Helen ihm von High Ridge geschrieben hatte - ein zurückhaltender Brief, aber dennoch voller Hoffnung.

Weitere Schüsse. Das Heulen eines Querschlägers. Berstendes Glas. Ein Aufschrei, der Wut ausdrücken konnte, wahrscheinlicher aber Schmerzen. Das hungrige Prasseln heißer Flammen, die trockenes Holz verschlangen. An- und abschwellende Sirenen. Und Lois' dunkle spanische Augen, die auf ihn gerichtet waren, denn er war der Mann, und sie war in dem Glauben erzogen worden, daß Männer wußten, was in solchen Situationen zu tun war.

Dann tu etwas! schrie er sich selbst an. Um Himmels willen, tu etwas!

Aber was? Vernunft und logisches Denken verschwanden hinter einer Windhose durcheinanderwirbelnder Bilder: Bills Panamahut mit der angebissenen Krempe; leuchtende Spuren -die Spuren des weißen Mannes - auf dem Bürgersteig vor May Lochers Haus; Trigger Vachons Brieftasche, die aufund zuklappte, als er Ralph winkte, damit er anhalten sollte; ein fliegender Dumbo, zwischen dessen übergroße, ausgebreitete Ohren das Bild von Susan Day geklebt worden war.

»PICKERING!« bellte eine lautsprecherverstärkte Stimme hinter der Stelle, wo sich der Weg in eine Schonung junger, weihnachtsbaumgroßer Fichten verzweigte. Ralph konnte jetzt rote Funken und orangefarbene Flammenzungen in dem dichten Rauch über den Fichten sehen. »PICKERING! ES SIND FRAUEN DA DRIN! LASSEN SIE UNS DIE FRAUEN IN SICHERHEIT BRINGEN!«

»Er weiß, daß Frauen da drin sind«, murmelte Lois. »Ist ihnen nicht klar, daß er das weiß? Sind sie dumm, Ralph?«

Ein seltsam bebender Schrei antwortete dem Polizisten mit der Flüstertüte, und Ralph merkte erst nach einer oder zwei Sekunden, daß es sich bei der Antwort um eine Art Gelächter handelte. Eine weitere Salve automatischen Gewehrfeuers ertönte. Sie wurde von einem Bombardement von Pistolen- und Flintenschüssen beantwortet.

Lois drückte Ralphs Hand mit kalten Fingern. »Was sollen wir tun, Ralph? Was sollen wir jetzt tun?«

Er betrachtete die grau-schwarzen Rauchschwaden über den Bäumen, dann die Polizeiautos, die den Hügel heraufgerast kamen - diesmal mehr als ein halbes Dutzend - und zuletzt Lois' blasses, verhärmtes Gesicht. Sein Denken klärte sich ein kleines bißchen - nicht sehr, aber soweit, daß ihm klar wurde, es gab nur äne mögliche Antwort auf ihre Frage.

»Wir gehen rauf«, sagte er.

Blinzel! und die Flammen, die über dem Fichtenhain loderten, wurden von Orange zu Grün. Das gierige Prasseln klang gedämpfter, wie Kracher, die in einer geschlossenen Kiste explodieren. Ralph, der immer noch Lois' Hand hielt, führte sie an der vorderen Stoßstange des Polizeiautos vorbei, das als Straßensperre quergestellt worden war.

Die neu eingetroffenen Streifenwagen hielten vor der Straßensperre. Männer in blauen Uniformen stiegen aus, noch ehe sie richtig zum Stillstand gekommen waren. Mehrere trugen Tränengaspistolen, fast alle dicke schwarze Westen. Einer von ihnen sprintete durch Ralph hindurch wie ein warmer Windstoß, bevor er beiseite springen konnte: ein junger Mann namens David Wilbert, der glaubte, daß seine Frau eine Affäre mit ihrem Boss im Maklerbüro hatte, wo sie als Sekretärin arbeitete. Aber die Frage seiner Frau war, zumindest vorübergehend, von David Wilberts fast unerträglichem Drang zu pinkeln und dem fortwährenden ängstlichen Gesang verdrängt worden, der sich wie eine Schlange durch sein ganzes Denken wand:

[»Du wirst dich nicht blamieren, du wirst dich nicht blamieren, nein, nein, nein.«]

»PICKERING!« bellte die Megaphonstimme, und Ralph stellte fest, daß er die Worte tatsächlich im Mund schmecken konnte, wie kleine Silberkügelchen. »IHRE FREUNDE SIND TOT, PICKERING! WERFEN SIE DIE WAFFE WEG UND KOMMEN SIE AUF DEN HOF! LASSEN SIE UNS DIE FRAUEN IN SICHERHEIT BRINGEN!«